Hochwasserbilanz der Versicherungen: „Schlimmste Naturkatastrophe seit Zweitem Weltkrieg“

Die Schäden in Altenahr in Rheinland-Pfalz sind nach der Flutkatastrophe im Juli groß (Archivbild).

Die Schäden in Altenahr in Rheinland-Pfalz sind nach der Flutkatastrophe im Juli groß (Archivbild).

Berlin. Jörg Asmussen ist seit 2020 geschäftsführendes Präsidiumsmitglied und Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft. Der Volkswirt war bereits Staatssekretär im Bundesfinanz- und im Arbeitsministerium sowie Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB).

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Herr Asmussen, zehn Wochen sind seit der Hochwasser­katastrophe in West- und Süddeutschland vergangen. Können die Versicherer eine Bilanz ziehen?

Können wir. Das Regentief „Bernd“ und das folgende Hochwasser waren die schlimmste Naturkatastrophe, die wir in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen haben. Wir haben 250.000 einzelne Schadensfälle registriert. Allein 50.000 davon sind zerstörte Autos. Die versicherten Schäden haben eine Größenordnung von 7 Milliarden Euro. In 400 Fällen liegen die Schäden bei mehr als einer Million Euro.

Jörg Asmussen ist seit 2020 geschäftsführendes Präsidiumsmitglied und Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Jörg Asmussen ist seit 2020 geschäftsführendes Präsidiumsmitglied und Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft.

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Wie weit sind Sie mit der Regulierung?

Mehr als ein Fünftel der Schadenssumme haben wir bereits ausgezahlt, also etwa 1,5 Milliarden Euro. Etwa eine Milliarde Euro ging an private Haushalte und etwa eine halbe Milliarde Euro an Gewerbetreibende, darunter auch viele kleine und mittlere Unternehmen.

Die Schadensregulierung haben auch Versicherungskunden außerhalb der Hochwassergebiete mitbekommen. Zum Teil war es schwer, Ansprechpartner bei den Versicherungen zu erreichen.

Das mag vereinzelt stimmen. Es stimmt aber auch, dass die Versicherungen mit großem Einsatz versucht haben, den Menschen in den Überschwemmungs­gebieten zu helfen. Unsere Leute haben praktische Hilfe bei den Aufräumarbeiten geleistet, zum Beispiel Trocknungsgeräte und Hochdruckreiniger verteilt. Außerdem wurden Vorschüsse ausbezahlt, damit die Menschen nötigste Dinge wie Kleidung und Lebensmittel kaufen konnten.

Und dann haben wir den Zustand Tausender Gebäude begutachtet. Insgesamt waren 16.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Versicherer und Versicherungsvermittler im Einsatz. Dazu kommen 2500 externe Kräfte, zum Beispiel Gutachter.

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Wie sehr belastet das Hochwasser die Versicherer?

Die Versicherungen können mit Schadensereignissen wie der Hochwasser­katastrophe umgehen. Sie sind Teil unseres Geschäftes. Erstens sind unsere Unternehmen rückversichert. Und zweitens hat die Versicherungswirtschaft einen ausreichend großen Kapitalpuffer. Allein die Schadens- und Unfallversicherungen verfügen über Eigenmittel von rund 120 Milliarden Euro.

Nach der Flut: Milliarden Euro für den Wiederaufbau
18.07.2021, Nordrhein-Westfalen, Stolberg: Ein Mann steht an einer eingest��rzten Stra��e. Foto: Marius Becker/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Der Bundesfinanzminister verspricht bei einem Besuch im Katastrophengebiet umfassende Hilfen.

Seit der Katastrophe wird wieder über Pflichtversicherungen diskutiert, auch weil Häuser in besonders risikoreichen Lagen gar nicht mehr versicherbar sind. Wie stehen Sie zu der Debatte?

Praktisch alle Gebäude in Deutschland sind versicherbar. Dass sich gut 99 Prozent versichern könnten, wird auch von Verbraucherschützern nicht bestritten. Tatsächlich versichert sind bundesweit aber nur 46 Prozent. In Nordrhein-Westfalen liegt die Quote bei 47 Prozent, in Rheinland-Pfalz bei 37 Prozent. Da ist also Luft nach oben.

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Mit einer Pflichtversicherung würde die Quote schlagartig steigen.

Klar. Trotzdem lehnen wir eine Pflichtversicherung als einziges Instrument ab. Es wäre ein Fehler, eine Versicherung verpflichtend einzuführen, die dann ganz allein die Kosten der fehlenden Anpassung an die Klimafolgen tragen muss. Viel wichtiger wäre aus unserer Sicht ein Gesamtkonzept, das auch staatliche und private Prävention umfasst.

Wie genau stellen Sie sich das vor?

In der Schweiz gibt es in Gebieten mit starkem Hochwasserrisiko Bebauungsverbote. Es gibt dort auch an vielen Stellen verpflichtende Präventionsauflagen für private Hauseigentümer in Überschwemmungs­gebieten. Prävention beginnt damit, dass in Überschwemmungs­gebieten in Kellern nur Fliesen und keine Teppiche verlegt werden und dass Häuser ohne Keller oder auf einem Sockel gebaut werden müssen. Ich denke, solche Regelungen werden wir auch brauchen.

Der Staat kümmert sich um die Prävention, die Assekuranzen um die finanzielle Absicherung – ist das die Arbeitsteilung, die Ihnen vorschwebt?

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Ich könnte mir auch eine Kombination aus staatlicher und privater Absicherung vorstellen. In der Schweiz gibt es einen Verluststopp-Mechanismus. Schadensereignisse bis zu einer Milliarde Schweizer Franken tragen die Versicherer. Alles, was darüber hinausgeht, zahlt der Staat. Ist ein solches System auch in Deutschland vorstellbar? Das müssen wir diskutieren. Wir werden im Herbst dazu konkrete Vorschläge machen.

Machen sich die Versicherer mit einem Modell, an dem am Ende der Staat einspringt, nicht einen schlanken Fuß?

Nein, das sollte man ganz unideologisch betrachten. Ich komme aus Norddeutschland. Sturmfluten kannten wir dort immer. Für Menschen, die an Flüssen wohnen, sind Überflutungen ebenfalls nichts Neues. Beides ist geografisch begrenzt. Starkregen aber kann überall auftreten und wird durch den Klimawandel weiter zunehmen. Sich darauf einzustellen ist nicht allein Aufgabe der Versicherer, sondern eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft.

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