Im RND-Interview

Handwerkspräsident Jörg Dittrich: „Für viele Eltern ist gefühlte Überforderung Realität“

Jörg Dittrich im Interview mit der dpa Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Handwerkspräsident Jörg Dittrich.

Berlin. Herr Dittrich, Sie führen einen Dachdeckerbetrieb mit mehr als 60 Mitarbeitern, sind Vater von sechs Kindern, Chef der Handwerkskammer Dresden und nun auch noch Handwerkspräsident. Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden?

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Leider nein (lacht). Aber ich bin ganz gut organisiert. Außerdem weiß ich meine Frau, meinen erwachsenen Sohn und meinen Neffen an der Seite. Wir sind ein echtes Familienunternehmen, das operativ auch in Abwesenheit des Seniorchefs funktioniert. Und der Einsatz für das Handwerk macht mir so große Freude, dass ich dadurch keine Kraft verliere, sondern welche gewinne.

Sie sind Dachdeckermeister und Hochbauingenieur. Stehen Sie manchmal noch auf dem Dach?

Nein, das machen die jüngeren Familienmitglieder und die Beschäftigten. Die Techniken haben sich rasant weiterentwickelt. Klar könnte ich noch einem Lehrling zeigen, wie man Schiefer behaut. Aber mit modernen Materialien wie zum Beispiel Flüssigfolie arbeiten besser die, die das von Grund auf gelernt haben.

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Was war Ihre Motivation, Handwerkspräsident zu werden?

Die tiefe Überzeugung, dass Menschen sich in einer Demokratie einbringen müssen, um sie zu gestalten. Die Interessen und Sichtweisen des Handwerks an höchster Stelle einbringen zu können reizt mich sehr. Und was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, muss mir niemand etwas erzählen. Darüber weiß ich durch meine Familiensituation vermutlich mehr als manches Regierungsmitglied.

Erschöpfte Mutter am Laptop PC im Home Office schaut auf Baby im Bett im Hintergrund || Modellfreigabe vorhanden

Warum das Wohl der Eltern in Erziehungsratgebern wieder mehr im Mittelpunkt stehen muss

Elternschaft befindet sich in einem steten Wandel. Selten war sie öffentlicher als dieser Tage. Das zeigt auch der boomende Markt an Erziehungsratgebern. Doch wie haben sich die Fragen der Eltern verändert?

Sind Familie und Beruf überhaupt vereinbar?

Ja, auch wenn das oft mit einem Überforderungsgefühl einhergeht. Ich glaube, dass eine gefühlte Überforderung die Realität vieler Eltern ist. Es bringt nichts, das zu leugnen, sondern wir müssen es akzeptieren und unsere Lehren daraus ziehen. Gerade bei jungen Eltern wird die Familie manchmal vorgehen. Betriebe müssen dafür ein Verständnis entwickeln, zumal sie umgekehrt ja auch darauf angewiesen sind, dass ihre Leute in Zeiten hoher Arbeitslast auch mal die Familie zurückstellen.

Handwerk beliebter machen

Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit vorgenommen?

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Mein wichtigstes Ziel ist es, die Wertschätzung für das Handwerk und seine Berufe zu erhöhen. Das Image des Handwerks ist zwar gut, aber schätzen wir die Arbeit der Handwerker wirklich so, wie sie es verdient hätte? Ich denke an die Entlohnung, die Gleichwertigkeit von Handwerks- und Universitätsabschlüssen und die leider immer noch vorherrschenden Stereotype, die Eltern dazu bringen, sich für ihre Kinder eher ein Hochschulstudium als eine Handwerksausbildung zu wünschen.

Welche Stereotype meinen Sie?

Dass Handwerkertätigkeiten vor allem mit Schmutz und körperlicher Anstrengung einhergehen. Die Berufe haben sich wahnsinnig gewandelt, sind digitaler und moderner geworden. In der Öffentlichkeit ist das noch lange nicht angekommen. Das zeigt sich immer wieder, wie jüngst auf der Handwerksmesse, als ein Moderator davon sprach, dass Häuser im Wesentlichen wie vor 100 Jahren gebaut werden. Das stimmt einfach nicht. Die Technologien, die Materialien, die Logistik, die Anforderungen an Energieeffizienz und vieles mehr sind heutzutage andere. Die moderne Seite des Berufs, die Fokussierung auf Technologien und Innovationen, muss in die Köpfe. Wir müssen endlich wieder dahin kommen, handwerkliche und universitäre Ausbildung gleichwertig zu behandeln und zu fördern.

Wo sehen Sie da Benachteiligungen für die berufliche Bildung?

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Nur ein Beispiel: Studenten bekommen ein Semesterticket, für Lehrlinge im Handwerk gibt es in mehreren Bundesländern das Azubi-Ticket. Klingt erst mal ähnlich. Nur bringt das ÖPNV-Ticket einem Auszubildenden herzlich wenig, wenn er um 5.30 Uhr beispielsweise aus einem kleinen sächsischen Dorf nach Bautzen muss, weil um diese Uhrzeit noch kein Bus fährt. Also braucht der einen Führerschein, den sein Chef zwar bezahlen, aber dann nicht voll bei der Steuer geltend machen kann. An solche Dinge müssen wir ran, um die berufliche Ausbildung attraktiver zu machen.

Letzte Anweisungen: Sheraz Chaudhry (links) wird von seinem Chef Mathias Puchta instruiert.

Fachlich top – aber pakistanischer Azubi scheitert in Prüfung an Erklärung von „Tarifautonomiestärkungsgesetz“

Er ist ein fleißiger Auszubildender, sagt sein Meister – und sogar Lehrgangsbester. Doch weil der aus Pakistan geflüchtete und fließend Deutsch sprechende Sheraz Chaudhry „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ nicht schriftlich erklären kann, darf er kein Geselle werden.

Ist das Ihre Strategie im Kampf gegen den Fachkräftemangel?

Das kann natürlich nur ein kleiner Teil davon sein. Wir brauchen eine echte Bildungswende hin zu einer gleichwertigen ideellen Wertschätzung wie finanziellen Unterstützung von beruflicher wie akademischer Ausbildung. Doch mindestens genauso wichtig ist in diesem Kontext: Wir müssen bei jungen Menschen wieder die Lust auf den eigenen Betrieb erhöhen. Selbstständig zu sein hat eine Menge an Attraktivität verloren. Wir haben eine Befragung unter jungen Meisterinnen und Meistern gemacht, von denen nur noch etwa 20 Prozent sagen, dass sie sich eine Selbstständigkeit vorstellen können. Das ist wirklich besorgniserregend, umso mehr, als allein im Handwerk in den kommenden fünf Jahren rund 125.000 Betriebsübernahmen geregelt werden müssen.

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Warum sind es so wenige?

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Die jungen Meister nannten als Grund vor allem die Bürokratie. Die hat inzwischen ein Maß erreicht, das einem jegliche Motivation rauben kann. Wir haben ein Korsett aus Vorschriften und Regeln, das kaum noch Freiheiten zulässt, und das verhindert, dass sich Unternehmergeist entfalten kann. Nehmen Sie den Umweltschutz: Es gibt Vorschriften für das Inverkehrbringen ökologischer Produkte, für ihre Zulassung, Normung, Weiterverarbeitung, eine europäische Ökorichtlinie und dann noch die Taxonomie. Handwerker sollen Solaranlagen oder Wärmepumpen installieren und sich nicht vor allem damit beschäftigen müssen, Formulare auszufüllen.

Beim Bau der LNG-Terminals ging es plötzlich mit ganz wenig Bürokratie. Braucht Deutschland ein solches Beschleunigungsprogramm auch für die Energie- und Wärmewende?

Definitiv ja! Ohne ein Bürokratiemoratorium für den Ausbau von Ökostromerzeugung und Leitungen werden wir die Energiewende nie in dem Tempo hinbekommen, das sich die Politik vorstellt. Mein Gefühl ist, dass der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister das auch verstanden haben. Nicht umsonst hat der Kanzler vom neuen Deutschland-Tempo gesprochen. Die Frage ist nun, ob das auch so umgesetzt wird. Ich bin gespannt.

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Was halten Sie von dem Vorhaben des Wirtschaftsministers, ab 2024 den Einbau von Gasheizungen zu verbieten?

Handwerker sind pragmatisch, insofern habe ich grundsätzlich eigentlich nichts gegen ehrgeizige Ziele. Allerdings muss man realistisch bleiben. Im vergangenen Jahr wurden 250.000 Wärmepumpen verbaut. Selbst wenn wir diese Zahl verdoppeln, würde das nicht reichen, um die 600.000 im gleichen Zeitraum installierten Gasheizungen zu kompensieren. Einfach, weil die Betriebe diese Anzahl an Wärmepumpen nicht haben. Was wir haben, bauen wir ein. Handwerker sind die wahren Vorreiter beim Klimaschutz in Deutschland.

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Ihr Vorgänger hat immer gesagt, lieber installieren als demonstrieren.

Sehen Sie! Und ich sage: Wir kleben uns nicht irgendwo fest. Wir bauen ein und schließen an.

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