Gaspreise steigen immer weiter – aber vielleicht wird Strom etwas billiger
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Der Preis für Gas steigt und steigt – immerhin könnten die Preise für Strom eventuell sinken.
© Quelle: Marijan Murat/dpa
Frankfurt am Main. Die gute Nachricht zuerst: Durch die Nord-Stream-1-Pipeline wurde am Montagmorgen so viel Erdgas wie seit Mitte voriger Woche nicht mehr gepumpt. Gut 30 Millionen Kilowattstunden pro Stunde waren es. Was aber kaum etwas an der Gaskrise hierzulande verändert. Die Preise für den Brennstoff haben sich erneut deutlich erhöht. Geringe finanzielle Entlastungen für Verbraucher könnte es demnächst allenfalls beim Strompreis geben.
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Am Wochenende hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) das Umschalten auf eine Art Notbetrieb bei der Gasversorgung angekündigt, nachdem der russische Staatskonzern Gazprom die Lieferungen via Ostseepipeline massiv zurückgefahren hatte. Trotz nun leicht erhöhter Mengen blieben die Lieferungen nach Angaben des Gasimporteurs Uniper zum Wochenbeginn weiterhin deutlich unter den vertraglich vereinbarten Mengen. Der Kreml hat dies mit Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten begründet. Habeck hält diese Argumente für vorgeschoben.
Der für Europa maßgebliche Gaspreis an den Energiebörsen schoss am Montag auf 127 Euro pro Megawattstunde in die Höhe, nachdem in der vorigen Woche noch weniger als 80 Euro notiert wurden. Vor einem Jahr waren es sogar nur rund 20 Euro gewesen.
Hitze erhöht die Nachfrage nach Gas
Der Preisschub hat damit zu tun, dass nicht nur in Deutschland, sondern unter anderem auch in Italien und in Österreich die Nachfrage extrem hoch ist. Die Hitzewelle in Europa und der damit verbundene Einsatz von Klimaanlagen ist ein Faktor. Hinzu kommt, dass Gas gekauft wird, um es für den Winter in unterirdischen Speichern einzulagern. Derzeit sind die hiesigen Reservoire zu gut 57 Prozent gefüllt.
Habeck hat vorgegeben, dass es Anfang Oktober 80 Prozent sein sollen. Damit dieses Ziel erreicht wird, erhält die Firma Trading Hub Europe (THE) – ein Zusammenschluss von Gasunternehmen – von der Staatsbank KfW nun eine Kreditlinie über 15 Milliarden Euro, um die Liquidität zu sichern. THE hat im Prinzip die Mission, buchstäblich um jeden Preis so viel Gas zu kaufen, wie zu kriegen ist. Das verteuert den Brennstoff.
Die Alternative sei, ab einem bestimmten Preispunkt auszusteigen, darauf werde sich die Politik wegen der Gefahr massiver Engpässe im Winter aber nicht einlassen, so ein Insider. Weitere Gaspreiserhöhungen seien damit programmiert. Wobei Erdgas aktuell schon sehr viel kostet. Nach aktuellen Berechnungen des Verbraucherportals Check 24 muss ein Standardhaushalt (Verbrauch: 20.000 Kilowattstunden pro Jahr) derzeit bei Abschluss eines Neuvertrages gut 2700 Euro zahlen – rund 110 Prozent mehr als vor einem Jahr.
DIW-Studie: Verzicht auf russisches Gas im Winter möglich
Der Anteil russischer Lieferungen beim Gas ist inzwischen auf gut 40 Prozent gesunken – nach zuvor etwa 55 Prozent.
© Quelle: dpa
Um den Verbrauch und damit auch die Preise zu drosseln, will Habeck demnächst ein „Auktionsmodell“ an den Start bringen, das sich vor allem an die Großverbraucher in der Industrie richtet: Nach RND-Informationen sollen Unternehmen eine Prämie erhalten, wenn sie den Verbrauch drosseln. Das Geld dafür kommt letztlich von den Gaskunden.
Thilo Schaefer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft begrüßt den Vorstoß. „Es ist eine gute Idee, den Preismechanismus einer Versteigerung dafür zu nutzen, die besten Potenziale zu heben“, sagte Schaefer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er fügt hinzu: „Selbst wenn es dabei zu gewissen Mitnahmeeffekten kommen könnte, ist dies effizienter, als Unternehmen staatlicherseits das Gas einfach abzudrehen.“ Die Kosten von Produktionsausfällen, die daraus resultieren könnten, seien weitaus höher als die Kosten der Versteigerung. Mitnahmeeffekte können entstehen, wenn Unternehmen aus eigenem Antrieb, um Kosten zu drücken, Gas einsparen und dafür dann zusätzlich noch die Prämie kassieren.
Auch Habecks zweites Vorhaben findet Zustimmung in der Wirtschaft: Er will Kohlekraftwerke reaktivieren, um den Anteil von Gas bei der Stromerzeugung – aktuell rund 10 Prozent – zu drücken. Vordringlich sollen Braunkohleblöcke wieder ans Netz gehen, die ohnehin in der „Sicherheitsbereitschaft“ sind und insgesamt auf eine Leistung kommen, die fast zwei Kernkraftwerken entspricht. Verstromte Steinkohle könnte mit einer noch deutlich größeren Leistung hinzukommen.
Nur ein Drittel der Gaskraftwerke kann abgeschaltet werden
Allerdings macht Kerstin Andreae, Chefin des Energiedachverbandes BDEW, darauf aufmerksam, dass dafür erstmal der Rohstoff auf dem Weltmarkt beschafft werden müsste. Zugleich erinnert der Verband daran, dass das „kurzfristige Substitutions- und Reduktionspotenzial“ nur 36 Prozent des Erdgasverbrauchs der Kraftwerke der öffentlichen Versorgung und in der Industrie betrage. Auf Gaskraftwerke könne nicht vollständig verzichtet werden, da sonst die Wärmeversorgung von Haushalten und Betrieben gefährdet wäre. Ferner würden Gaskraftwerke stundenweise benötigt – wenn wenig Wind weht und der Strombedarf groß ist. Wirtschaftsverbände haben gefordert, die Gasverstromung komplett zu stoppen.
Wird zukünftig mehr Strom durch die derzeit günstigere Kohlekraft erzeugt und der Strombedarf dadurch gedeckt, könnten Preise an der Strombörse und schlussendlich dann auch für Verbraucherinnen und Verbraucher sinken.
Steffen Suttner,
Experte von Check 24
Gas durch Kohle zu ersetzen, das ist zwar Gift fürs Klima. Dennoch gibt es für Verbraucher auch eine gute Nachricht: „An der Strombörse bestimmt die teuerste Erzeugungsart den Preis“, sagte Steffen Suttner von Check24 dem RND. „Das ist momentan in der Regel die Stromerzeugung mittels Gas. Wird zukünftig mehr Strom durch die derzeit günstigere Kohlekraft erzeugt und der Strombedarf dadurch gedeckt, könnten Preise an der Strombörse und schlussendlich dann auch für Verbraucherinnen und Verbraucher sinken.“
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