Führungswechsel bei Siemens: Joe Kaeser “hat fertig”
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Joe Kaeser, bislang CEO von Siemens, tritt ab.
© Quelle: Getty Images
München. In Momenten wie diesen wird klar, warum virtuelle Aktionärstreffen ein Notnagel sind. Ohne Pandemie stünde Aktionärsvertreterin Daniela Bergdolt jetzt in einer gefüllten Olympiahalle in München. “Die Ära Kaeser geht zu Ende”, würde sie sagen und dem in Teilruhestand gehenden Manager erfolgreiche Arbeit bescheinigen. “Sie hatten eine Vision für Siemens und haben diese durchgesetzt”, lobt sie virtuell. Mitaktionäre wären jetzt aufgestanden und hätten dem 63-jährigen Beifall gespendet.
In der aktuellen Corona-Realität aber verbringt der als Josef Käser geborene Niederbayer, der nach einem US-Einsatz für Siemens zu Joe Kaeser wurde, seine letzten Stunden als Konzernchef mit ein paar Kollegen ohne die von ihm geschätzte große Bühne.
“Ich freue mich auf den heutigen Tag und auch auf morgen”, bekennt er zwei Stunden vor Beginn der Online-Veranstaltung bei einer letzten Pressekonferenz als Siemens-Chef. Zuletzt hätten sich die Dinge mit Blick auf ein fulminantes Auftaktquartal des Geschäftsjahrs 2020/21 (zum 30. September) trotzt Pandemie unerwartet gut entwickelt. Wer es schafft, operative Gewinne von Oktober bis Dezember 2020 um fast 40 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro zu hieven, müsse etwas richtig gemacht haben, lobt er das Team Siemens und sich selbst.
Drei Siemens-Unternehmen sind 190 Milliarden Euro wert
“Alle drei Siemens-Unternehmen zeigen sich von ihrer besten Seite”, findet Kaeser großzügig. Wenn sein Wirken für etwas steht, dann die Dreiteilung des gut 170 Jahre alten Konzerns in die Abspaltungen Siemens Healthineers mit höchstprofitabler Medizintechnik und Siemens Energy mit dem kriselnden Kraftwerksgeschäft, das gerade 7.800 Jobs streicht. Am Ende könnten alle drei Siemens-Konzerne, die addiert auf 190 Milliarden Euro Börsenwert kommen, im Dax notieren.
Bei Siemens Energy mischt der Sohn einer Friseurin und eines Mechanikers als Aufsichtsratschef weiter mit. Auch beim Autobauer Daimler bleibt Kaeser Aufseher. Den verbleibenden Mutterkonzern vererbt der Weltbürger aus Arnbruck im Bayerischen Wald an Nachfolger Roland Busch. “Kaeser hat das Gesicht von Siemens geliftet, auch wenn es einige Schönheitsfehler gab”, beschreibt Fondsmanager Winfried Mathes von Deka Invest dessen Wirken in seinem Hauptversammlungsbeitrag.
Auch Kaeser hat Fehler gemacht
Zu den Flecken auf der Weste Kaesers zählt der milliardenschwere Fehleinkauf des US-Konzerns Dresser-Rand, einem Zulieferer der Öl- und Gasindustrie oder auch das Schicksal von Osram. Der einst zu Siemens zählende Lichttechnikkonzern ist gerade unter dem Dach des kleineren Sensorherstellers AMS verschwunden. Beim Krisenmanagement um Zulieferungen für die australische Kohlemine Adani machte der Twitter-König unter Deutschlands Managern zuletzt auch keine gute Figur. “Siemens bleibt in der fossilen Vergangenheit verhaftet”, finden kritische Aktionäre unvermindert mit Blick auf das Energiegeschäft. In unguter Erinnerung bleibt ein Treffen mit Wladimir Putin 2014, wo er die Annexion der Krim als “kurzfristige Turbulenz” verharmlost hat.
Andererseits hat sich Kaeser als betont politischer Manager mit der AfD angelegt und China zum Vorgehen in Hongkong kritisiert wie sonst kein Amtskollege. “Zahlen veralten schnell, das Eintreten gegen Nationalismus, Ausgrenzung und Rassismus bleibt”, unterstreicht Kaeser noch einmal an seinem letzten Arbeitstag für Siemens. “Wegducken war noch nie ein probates Mittel”, findet er und sorgt sich über Spaltung der Gesellschaft sowie Kasino-Kapitalismus. Die sozial-ökologische Marktwirtschaft der Grünen schätzt Kaeser als Modell der Wahl, Toleranz als hohes Gut und inklusiven Kapitalismus unter Einschluss der Gesellschaft als Managementformel der Zukunft.
Geht Kaeser in die Politik?
Einige hatten ihn nach seiner Zeit bei Siemens in der Politik gesehen. Die Frage nach einem Politiker Kaeser scheint abschlägig entschieden, aber wer weiß. Mit den Großen dieser Welt konnte er von Bundeskanzlerin Angela Merkel bis zum Ex-Präsidenten der USA, Donald Trump, wenn auch nicht immer unfallfrei.
Führende IG Metaller wie Jürgen Kerner schätzen ihn als hart, aber fair und berechenbar, andere Wegbegleiter als lernfähig und nicht abgehoben. In der Ära Kaeser wurden aber auch viele Jobs bei Siemens abgebaut. Wenn es ans Zerlegen und Abstoßen ging, ähnelte sein Tun oft dem eines Portfoliomanagers. Beruhigt, wie er es 2013 zu Amtsantritt als Siemens-Boss versprochen hatte, hat Kaeser den Traditionskonzern nicht - eher das Gegenteil.
Der Nachfolger ist Digitalexperte
Dafür ist unter ihm der erste geordnete Übergang an einen neuen Siemens-Vorstandschef seit 15 Jahren geglückt. Bei den Abgängen von Klaus Kleinfeld und Peter Löscher hatte es noch erheblich gekracht. Der 56-jährige Nachfolger und Physiker Busch sei einer, der mehr vom heute vor allem digitalen Siemens-Geschäft versteht als er selbst und damit der bessere Chef, räumt Kaeser ein.
“Siemens verabschiedet eine seiner größten Führungspersönlichkeiten”, lobt Oberaufseher Jim Hagemann Snabe. Kurz danach flimmert als Abschiedsgeschenk ein Porträtfilm mit dem Titel “Servus Joe” über die Monitore. “Ich habe fertig”, sagt Joe dann noch.