Kein Fleisch zur Grillsaison? Tarifkonflikt in der Fleischindustrie geht in die nächste Runde
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Sachsen, Leipzig: Schweinefleisch und Rindfleisch liegen in einer Fleischtheke in einem Supermarkt. Die Tarifverhandlungen in der Fleischindustrie gehen am Montag in die nächste Runde.
© Quelle: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Gerade beginnt die Grillsaison. Man stelle sich vor: Die Sonne scheint, die Holzkohle glüht, aber keine Steaks und keine Würstchen sind da. Dieses Szenario ist nicht ganz abwegig. „Wenn es zu längeren Streiks kommen sollte, dann könnte es auch leere Fleischtheken in den Supermärkten geben“, sagte Freddy Adjan von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Wichtige Verhandlungen über einen Tarifvertrag für die Fleischindustrie stehen Anfang nächster Woche an.
In zwei vorangegangenen Runden hatte sich kaum etwas bewegt. Die Arbeitgeber haben offeriert: einen Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde vom 1. Juli an, was knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn läge. Er soll in vier Stufen bis zum 1. Juli 2024 auf zwölf Euro erhöht werden. Die Gewerkschafter lehnen das ab. Als „völlig indiskutabel“ kategorisiert Adjan, Vize-Vorsitzender der NGG, das Angebot. Die Gegenforderung: 12,50 Euro schon jetzt und zwar für alle Beschäftigten in den Bereichen Schlachtung und Verarbeitung, etwa der Wurstherstellung, als Einstieg. Nach einer kurzen Einarbeitungszeit soll auf 14 Euro erhöht werden. Facharbeiter, etwa gelernte Metzger, sollen in jedem Fall 17 Euro pro Stunde bekommen.
Vehid Alemic, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Ernährungswirtschaft, kontert und bezeichnet den Vorschlag aus seinen Reihen als Wegmarke, die ohnehin schon „große ökonomische Herausforderungen“ für die Betriebe bringe.
Verhandlungen unter Druck
So ähnlich funktionieren bei Tarifverhandlungen fast immer die Positionierungen. Doch in der Fleischindustrie ist die Lage etwas vertrackter. Am Montag treffen sich beide Seiten zu den womöglich entscheidenden Verhandlungen. Das hat einerseits mit der Grillsaison zu tun und andererseits mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz, das die große Koalition im vorigen Jahr als Reaktion auf heftige Missstände in den Schlachthöfen beschlossen hat: Beim Schlachten und Zerlegen sind Werksverträge und Leiharbeit seit Jahresbeginn verboten. Ausnahmen in begrenztem Maß gibt es in der Fleischverarbeitung. Aber von nächstem Donnerstag, 1. April, an ist auch dort Leiharbeit nur noch möglich, wenn es einen Tarifvertrag gibt. „Und diesen Tarifvertrag wird es nur geben, wenn wir bei Arbeitsbedingungen und Löhnen zu einer Einigung kommen“, so Adjan.
Es geht um Arbeitszeit, Zuschläge und Urlaub für rund 160.000 Beschäftigte
„Wir gehen davon aus, dass es am Montag Bewegung auf der Arbeitgeberseite geben wird. Zumal die Arbeitgeber uns seit Monaten erzählen, dass sie ohne Leiharbeiter keine Grillsaison bestreiten können“, sagte der NGG-Vize-Chef dem RND. Er betont dabei, dass der Marktführer Tönnies immer wieder deutlich gemacht habe, dass ein Mindestlohn von zwölf Euro überhaupt kein Problem sei, wenn dieser Mindestlohn überall in der Branche gezahlt werde. Dies lässt sich relativ einfach umsetzen, wenn die Tarifverträge nämlich nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch für allgemeinverbindlich erklärt werden. Die Bundesregierung könnte dies per Verordnung recht schnell tun.
Ob es tatsächlich schon bald so kommt, ist aber unklar. Branchenkenner machen darauf aufmerksam, dass das Arbeitgeberlager heftig zerstritten ist. Geflügelproduzenten sollen andere Interessen haben als Schlachter, die sich auf Schweine und Rinder spezialisiert haben. Und auch Wursthersteller sollen nicht unbedingt mit Managern von Zerlegebetrieben einer Meinung sein. Für Adjan ist indes klar: „Die aktuelle Lage kann sehr schnell definitiv bis zu einem Streik eskalieren.“ Die NGG habe in der zurückliegenden Woche zahlreiche Aktionen gemacht. Dabei habe sich gezeigt, dass die Bereitschaft, für einen Tarifvertrag zu kämpfen, sehr groß sei. „Auch die Kollegen aus Polen und Rumänien sind nicht mehr bereit, Hungerlöhne zu akzeptieren“, erläutert der Gewerkschafter.
Billigfleisch in Deutschland: Politik gibt Fleischindustrie freie Hand
Deutschland gilt als das Land mit den niedrigsten Fleischpreisen in Westeuropa. Hauptgrund dafür ist das, was in der Branche das System Tönnies genannt wird. Das Unternehmen aus Ostwestfalen hat ein Geschäftsmodell perfektioniert, mit dem gewährleistet wird, dass Supermärkte und Discounter ständig mit billigem Fleisch versorgt werden. Dazu gehören auch enge Verzahnungen mit Mastbetrieben, die Schweine, Rinder und Geflügel termingenau in den Schlachthöfen abliefern. Viele Wettbewerber haben diese Praktiken imitiert. Hinzu kommt, dass die Politik der Fleischindustrie hierzulande lange Zeit weitgehend frei Hand gab, was unter anderem zu verschachtelten Systemen mit Niedriglöhnen über Leiharbeit und Werkverträge führte. Gewerkschafter sprachen von „ausbeuterischen Arbeitsbedingungen“. Das ist nun durch das Arbeitsschutzkontrollgesetz stark eingeschränkt worden.
Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass höhere Löhne auch höhere Fleisch- und Wurstpreise nach sich ziehen. Zumal die Sensibilität der Kundschaft ausgeprägt ist, wenn es um Euro und Cent geht. So musste der Discounter Lidl vor einigen Wochen Aufschläge schnell wieder zurücknehmen, weil der Absatz massiv zurückging. Doch Adjan macht darauf aufmerksam, dass die Personalkosten lediglich zehn Prozent des Umsatzes der Betriebe ausmachen würden. Schon allein aus diesem Grund gebe es Spielräume für höhere Löhne. Zudem sei bei den Kunden die Bereitschaft gestiegen, steigende Preise für Fleisch zu akzeptieren. Sofern sichergestellt werde, dass die Arbeitsbedingungen in den Betrieben sowie die Löhne der Beschäftigen stimmten und auf das Tierwohl geachtet werde. Und wenn zudem klar sei, dass auch etwas bei den Landwirten hängenbleibe.