Euro bald auf Dollar-Niveau: eine Währung in freiem Fall
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Die Parität von Euro und Dollar steht kurz bevor.
© Quelle: IMAGO/IlluPics
Frankfurt am Main. Die Gaskrise schlägt immer stärker in der europäischen Wirtschaft ein. Jetzt zieht sie auch noch den Euro nach unten – auf das niedrigste Niveau seit vielen Jahren. Von einer Weichwährung ist bereits die Rede.
Wer für diesen Sommer einen Urlaub in den USA geplant hat, muss etwas tiefer in die Tasche greifen. Denn beim Umtausch in den Greenback gibt es jetzt deutlich weniger als noch vor einigen Monaten. Ein Euro war am Freitagmorgen zeitweise nur noch 1,0084 Dollar wert – die niedrigste Notierung seit fast zwei Jahrzehnten. Vor einem Jahr waren es noch fast 1,19 Dollar gewesen.
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Für die Devisenhändler ist die Parität, also das 1:1-Verhältnis, nur noch eine Frage der Zeit. Mehr noch: Es laufen bereits Wetten in großem Stil darüber, wie viel tiefer der Euro noch stürzen werde. Die Analysten der niederländischen ING-Bank halten 95 Dollar-Cent für den „worst case“ innerhalb der nächsten vier Wochen. Der Vermögensverwalter Bluebay taxiert sogar mit 90 Cent.
Ist das schon der Weg von der Gemeinschaftswährung in eine Weichwährung? Sebastian Dullien, Direktor des gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforschungsinstituts IMK, mahnt zur Gelassenheit. Die Euro-Schwäche sei keine Katastrophe. „Wir hatten schon einmal einen Euro bei 84 Dollar-Cent“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Indes herrscht weitgehend Einigkeit über die Ursachen für den Schwächeanfall. Anlegerinnen und Anleger würden sehen, „dass es bei uns Risiken gibt durch die Gasabhängigkeit und dass es bei uns eine Rezession geben könnte“, so Dullien. Genauer gesagt geht es darum, dass Russland Anfang nächster Woche die Lieferung des leicht flüchtigen Brenn- und Rohstoffs fast vollständig einstellen wird.
Zunächst nur für Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1. Doch die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur haben in den vergangenen Tagen deutlich gemacht, dass sie massive Zweifel haben an einem erneuten Hochfahren der Gaslieferungen durch die enorm wichtige Rohrleitung. Auch die Internationale Energieagentur warnt: Ein kompletter Lieferstopp könne nicht ausgeschlossen werden wegen des „unberechenbaren Verhaltens“ der russischen Regierung. Es herrscht Konsens unter westlichen Politikerinnen und Politikern, dass das drohende Embargo als Vergeltung vor allem für die deutsche Unterstützung der Ukraine zu werten ist.
Analysten wetten auf Kurse deutlich unter der Parität zum Dollar
Für Portfoliomanager Kaspar Hense von Bluebay ist klar, dass die Einstellung des Gaspumpens gen Westen Europa in eine „signifikante Rezession“ stürzen werde. Es könne ein langer Winter werden. „Und da kommt dann hinzu, dass die EZB in eine Rezession hinein die Zinsen nicht besonders stark erhöhen könnte. Deshalb ist es derzeit attraktiver, Geld in den USA anzulegen“, ergänzt Dullien.
Hinter diesem Szenario steckt ein Mechanismus, den Devisenhändler bereits als „perfekten Sturm“ beschreiben: Höhere Zinsen ziehen Investoren an, die ihr Geld vor allem in Staatsanleihen anlegen. Das erhöht die Nachfrage nach der jeweiligen Währung. Derzeit liegt der Leitzins in der Euro-Zone noch bei null Prozent. Es gilt aber als sicher, dass die Europäische Zentralbank (EZB) noch in diesem Monat auf 0,25 Prozent erhöhen wird. Aber die US-Notenbank hat die Dollar-Zinsen bereits auf 1,5 bis 1,75 Prozent erhöht.
Deshalb saugen die USA Kapital an und der Euro wird geschwächt. Das hat eine Reihe von Effekten. Einerseits kann das hierzulande fast wie ein Konjunkturprogramm wirken. Denn damit wird der Export angekurbelt: Deutsche Autobauer können ihre Fahrzeuge in den USA billiger anbieten. Zugleich werden aber für deutsche Unternehmen, Verbraucherinnen und Verbraucher die Einfuhren aus dem Ausland teurer. Das macht sich ausgerechnet bei Energie und Rohstoffen derzeit besonders stark bemerkbar. Denn vieles wird auf den Weltmärkten in Dollar gehandelt.
Das gilt für Öl und mit einigen Abstrichen auch für Erdgas. Daraus kann ein Effekt entstehen, der sich selbst verstärkt. Teure Rohstoffe und teure Energie können Unternehmen dazu bringen, die Preise zu erhöhen, was die Inflation zusätzlich anheizen würde. Gelingt es aber nicht, die höheren Kosten weiterzugeben, könnten Firmen Profitabilität einbüßen, was die Wirtschaftsleistung hemmen würde. Auch eine Mischung aus beidem ist denkbar.
Höhere Zinsen können auch einen Rückschlageffekt bringen
Vielfach diskutiert wird dieser Tage, ob eine kräftige Zinserhöhung durch die Europäische Zentralbank (EZB) ein Ausweg sein könnte. Dullien ist da skeptisch: „Die Frage ist: Wie stark müsste man die Zinsen im Euro-Raum heraufsetzen, um das Gefälle zu den US-Leitzinsen auszugleichen?“ Ein halbes Prozent höhere Zinsen könne eine Aufwertung des Euro in ähnlicher Größenordnung bringen. Doch das ist keineswegs ausgemacht.
So erinnert Dullien daran, dass es in der Frühphase des Euro auch die Situation gab, dass die EZB die Zinsen erhöhte und der Euro sogar abgewertet wurde. „Weil von einer Übertreibung ausgegangen wurde, die eine Rezession provoziert“, so der IMK-Chef. Und genau diese Gefahr spielt in den aktuellen Szenarien eine wichtige Rolle.
Viele Devisenhändler gehen nämlich davon aus, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde in jedem Fall ein zu strenges Anziehen der geldpolitischen Zügel vermeiden will, um Verwerfungen durch die Gaskrise und den Ukraine-Krieg abzumildern, und deshalb nur in kleinen Schritten vorangeht. Vielfach wird damit gerechnet, dass die Leitzinsen bis zum Jahresende „nur“ auf 1,25 Prozent steigen werden. Möglicherweise könnte die Zinserhöhungskampagne auch auf halbem Weg abgebrochen werden. In jedem Fall würde die Zinsdifferenz zum Dollar bestehen bleiben, zumal die Fed weitere Erhöhungsschritte angekündigt hat. Deshalb die vielen Wetten der Devisenhändler auf einen weiteren Verfall des Euro.
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