Konzept hat auch Tücken

„Es hat sehr, sehr gut geklappt“: Wie weit ist Deutschland bei der Viertagewoche?

Die Viertagewoche finden viele Menschen in Deutschland gut.

Die Viertagewoche finden viele Menschen in Deutschland gut.

Geht es um die Viertagewoche, ist Ayleen Bauser rundum zufrieden: „Ich kann nichts Negatives darüber sagen – und würde auch selbst nicht mehr tauschen wollen“, schildert die Geschäftsführerin eines Sanitärbetriebs in Denkingen nah der Schwäbischen Alb. Dort setzen Bauser und ihr Mann schon seit Langem auf die verkürzte Arbeitswoche mit verlängertem Wochenende bei weiterhin vollem Gehalt. Das erfreut sich immer größerer Beliebtheit in Deutschland: Die Viertagewoche hätten drei von vier Beschäftigten gern, wie zuletzt eine Umfrage der HDI-Versicherung zeigte.

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Mehr Freizeit und weniger Gesundheits­belastungen sind demnach der Hauptgrund – was in der Praxis durchaus klappt: Die körperliche Arbeit mache ihren Monteuren dank des verlängerten Wochenendes weniger zu schaffen, erzählt Unternehmerin Bauser. Auch könne beispielsweise ein Monteur seinen Sohn nun freitags von der Schule abholen: „Für den ist das ein Highlight und für die Frau ist es auch entlastend.“

Unternehmen werben mit spektakulären Bedingungen

Auch Heike Wenzel ist mit der Viertagewoche durchaus glücklich. Im Stammwerk im bayerischen Wiesthal fertigt ihre Wenzel-Gruppe Messtechnik – und setzt seit Anfang 2022 auf die Viertagewoche dort, wo sie noch vergleichsweise selten ist: in der Produktion. „Es war ein Versuch, und es hat sehr, sehr gut geklappt“, sagt Geschäftsführerin Wenzel. Ihr sei es darum gegangen, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. „Zugleich hat sich in Gesprächen gezeigt, dass spätestens seit der Pandemie Freizeit wichtiger wird.“

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Heike Wenzel ist Unternehmerin, in ihrem Betrieb läuft die Produktion am Freitag nicht mehr.

Heike Wenzel ist Unternehmerin, in ihrem Betrieb läuft die Produktion am Freitag nicht mehr.

Wenzel wie auch Bauser und ihr Mann sehen sich als Pionierinnen und Pioniere, was neue Arbeitszeitmodelle anbelangt – obgleich sie mit der verkürzten Arbeitswoche in Deutschland nicht mehr allein sind: manche Hotel-, Bäckerei- und Friseurbetriebe setzen ebenso darauf, auch immer mehr Werbeagenturen und IT-Firmen. Fast immer schildern die Unternehmerinnen und Unternehmer, dass Nachwuchsmangel für sie ausschlaggebend war. Die demografische Entwicklung macht sich mittlerweile deutlich in den Personalabteilungen der Unternehmen bemerktbar. Fast alle Branchen müssen um immer weniger Arbeitskräfte buhlen. Und der Kampf um die Talente, der wird nicht mehr nur mit hohen Löhnen ausgefochten, sondern auch mit flexiblen Arbeitszeiten und neuen, teilweise noch vor wenigen Jahren undenkbaren Arbeitsmodellen.

Müsste nicht eigentlich mehr gearbeitet werden?

Flache Hierarchien gehören vielerorts ebenso zum guten Ton wie die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Längst experimentieren Unternehmen mit völliger Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts. Dann kann unter spanischen Palmen gearbeitet werden – oder in aufgemotzten Coworking-Spaces, die mit integriertem Fitnessstudio, E‑Sports-Area und Biorestaurant locken. Nicht nur der Kunde, sondern auch der Angestellte ist in dieser schönen neuen Arbeitswelt König.

Dabei stehen die Zeichen eigentlich auf Wirtschaftskrise: Die Konjunktur stagniert, seit Russland die Ukraine angegriffen und die hiesige Gasversorgung weitgehend gekappt hat. Und es lauert schon die nächste, wesentlich größere Gefahr für die Wirtschaft – und die neue Macht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist bereits Ausdruck davon: Die Babyboomergeneration geht in Rente, geburtenschwache Jahrgänge werden den Mangel an Arbeitskräften nicht ansatzweise ausgleichen können. Schon ab 2025 könnte das Bruttoinlands­produkt dadurch nur noch um magere 0,9 Prozent wachsen, hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft berechnet. Und klar ist auch, dass in den Rentenkassen Hunderte Milliarden fehlen, wenn die Zahl der Erwerbsfähigen Menschen in Deutschland zurückgeht.

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Ökonomen sind uneins

Der Punkt ist schon erreicht, meint das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln: „Besser wird es nicht“ heißt eine dort verfasste Studie zum Arbeitsmarkt, den arbeitgebernahen Ökonominnen und Ökonomen zufolge stehen dem Arbeitsmarkt ab jetzt immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung. Migration und Geflüchtete kompensieren das teilweise, weshalb andere Untersuchungen etwas optimistischer sind. Doch die Angst vor dem Mangel an Arbeitskräften wächst. „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit“, verkündete jüngst Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA. Längst wird deshalb über Mehrarbeit gesprochen, der Ökonom Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) sieht Deutschland etwa vor der Wahl zwischen späterem Renteneintritt und 42-Stunden-Woche.

Auf Nachfrage ist denn auch Hüthers IW-Kollege Holger Schäfer alles andere als überzeut von der Viertagewoche: „Wenn sich die Arbeitnehmer in Deutschland dazu entscheiden, weniger zu arbeiten, produzieren sie auch weniger“, befürchtet er. Dieser Rückgang komme zur demografisch bedingten Arbeitskräfte­verknappung hinzu, in der Konsequenz haben man dann weniger Güter und Dienstleistungen zum Konsumieren oder zum Umverteilen. „Wenn wir unser Wohlstandsniveau halten wollen, müsste jeder Einzelne sogar mehr arbeiten“, sagt Schäfer.

Beschäftigte können mehr fordern

Dass derartige Appelle fruchten, kann man bezweifeln: Schon jetzt zeigt sich, dass der Arbeitsmarkt trotz Energiekrise brummt. BASF etwa mag zahlreiche Stellen streichen, insgesamt steigt die Zahl der Arbeitslosen dennoch kaum – auch, weil sich Unternehmen schon für die Folgen des demografischen Wandels wappnen und fleißig weiter einstellen. Die Appelle von Ökonominnen und Ökonomen sowie der Arbeitgeberseite verhallen deshalb womöglich folgenlos, auf dem Arbeitnehmermarkt entscheiden die Beschäftigten, wo und zu welchen Bedingungen sie tätig werden. „Die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich verbessert“, bestätigt der Wirtschaftsweise Achim Truger.

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Für Unternehmen wird es deshalb immer schwieriger, den Wünschen der Beschäftigten zu trotzen. Gesamtwirtschaftlich führen Arbeitszeitmodelle wie die Viertagewoche Truger zufolge aber nicht zwangsläufig zu Problemen. Abseits davon, dass eine bessere Work-Life-Balance aus seiner Sicht grundsätzlich nicht zu beanstanden sei, könnte die Viertagewoche insbesondere jenen helfen, die entgegen ihren Wünsche in Teilzeit tätig sind: Insbesondere Frauen würden profitieren, wenn die Viertagewoche zum Normalarbeits­verhältnis werde, meint der Ökonom Truger.

Kürzere Arbeitszeiten sind nicht überall möglich

Aber vor allem betont Truger, dass die Viertagewoche nicht automatisch weniger Wertschöpfung mit mit sich bringt: „Die britische Studie zum Thema zeigt, dass mit einer Reduktion der Arbeitszeit die Arbeitsproduktivität aufgrund höherer Motivation und geringerer Krankenstände steigen kann“, sagt Truger. In der vergangene Woche veröffentlichten Untersuchung stellte sich heraus, dass zahlreiche Unternehmen trotz der verkürzten Arbeitswoche den Umsatz leicht steigern konnten. Und dass fast alle von ihnen nach einer Probephase an dem Modell festhalten wollen.

Es geht weniger um kürzere Arbeitszeiten als um längere, durchgängige Freizeit.

Martin Gaedt

Dass die britische Studie besonders aussagekräftig ist, bezweifelt Schäfer indes: Aufgrund der Vorauswahl der Unternehmen sei sie nicht repräsentativ. Auch sei die eigentlich ausschlaggebende Entwicklung der Produktivität gar nicht gemessen worden. In zahlreichen Berufen sei es kaum vorstellbar, dass Arbeitsverdichtung die kürzeren Arbeitszeiten ausgleichen könnte. „Das gilt für Tätigkeiten, in denen es kurzfristig ohnehin keine großen Potenziale für Produktivitäts­steigerungen gibt – etwa Krankenpflege, Kinderbetreuung, Polizei, Lehrer oder persönliche Dienstleistungen“, so Schäfer. „Es erscheint extrem unwahrscheinlich, dass in den Betrieben eine Produktivitätsreserve von 25 Prozent schlummert, die aus unerfindlichen Gründen bislang nicht gehoben werden konnte und sich erst bei Einführung einer Viertagewoche manifestiert“, sagt er.

Die Viertagewoche bringt nicht automatisch weniger Arbeit

Allerdings geht es bei der Viertagewoche längst nicht immer um eine Arbeitszeitverkürzung um 25 Prozent. Im Vereinigten Königreich wurde in vielen untersuchten Betrieben an den verbleibenden Werktagen länger gearbeitet. Ähnlich sieht es auch bei hiesigen Probeläufen mit der kürzeren Arbeitswoche aus, hat Martin Gaedt beobachtet: Der Autor und Coach hat gerade ein Buch zur Viertagewoche in Deutschland verfasst. Ein volles Gehalt gebe es bei der Viertagewoche hierzulande fast überall, meint Gaedt. „Inwiefern die Wochenarbeitszeit sinkt, ist schlussendlich aber Verhandlungssache.“

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Marcus Gaßner und seine Frau Ayleen Bauser setzen in ihrem Betrieb auf die Viertagewoche – und sind zufrieden.

Marcus Gaßner und seine Frau Ayleen Bauser setzen in ihrem Betrieb auf die Viertagewoche – und sind zufrieden.

Das zeigt sich sowohl bei Handwerkerin Bauser als auch bei Unternehmerin Wenzel: Bei Bauser wird durchaus noch 37,5 Stunden in der Woche gearbeitet – nur eben verteilt auf vier statt auf fünf Tage. Bei Wenzel wird täglich eine halbe Stunde länger geschuftet, auf 36 Wochenstunden kommen die Beschäftigten in der Produktion. „Wir haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schlussendlich anderthalb Stunden geschenkt, das entspricht einer Lohnerhöhung um 4 Prozent“, sagt Wenzel.

„Es geht weniger um kürzere Arbeitszeiten als um längere, durchgängige Freizeit“, sagt Gaedt. Kürzere Wochenarbeitszeiten sind ihm zufolge eher ein Nebeneffekt: Wer die Viertagewoche einführe, müsse sich zwangsläufig mit Prozessen befassen und überflüssige Tätigkeiten streichen. „Oft wollen Unternehmer die Produktivitäts­gewinne umverteilen und in der Folge sinken die Arbeitszeiten dann doch“, berichtet Gaedt nach den Recherchen zu seinem Buch.

Unternehmen sehen durchaus Vorteile

Zugleich erzählen sowohl Bauser als auch Wenzel von niedrigeren Kosten: Dass die Beschäftigten ausgeruhter sind, schlage sich in einem niedrigeren Krankenstand nieder, auch würden Arzt- und Behördentermine nun öfter abseits der Arbeitszeit liegen, schildert Bauser. Auch Wenzel berichtet von einem niedrigeren Krankenstand – und von einer höheren Motivation: „Bei uns wird nicht am Fließband gefertigt, stattdessen gibt der Mensch den Takt vor. Und ein motivierter Mitarbeiter schraubt eben auch schneller.“

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Truger macht sich deshalb keine Sorgen über die ökonomischen Folgen der Viertagewoche, im Gegenteil: „Insgesamt könnten also trotz Viertagewoche als neuem Normalarbeits­verhältnis mehr Stunden mit höherer Produktivität gearbeitet werden, sodass insgesamt die Wertschöpfung deutlich zunehmen könnte.“

Die Viertagewoche ist nicht alles

„Wir kriegen mehr abgearbeitet, die Produktivität ist höher“, ist denn auch Handwerks­unternehmerin Bauser nach sechs Jahren mit der Viertagewoche überzeugt. Dass auch in ihrem Umfeld einige nicht glauben, dass das Modell funktioniere, überrascht sie bis heute: Ihr Unternehmen sei von vier auf 15 Mitarbeitende gewachsen. Allerdings betont Bauser, die Viertagewoche sei kein Allheilmittel gegen den Bewerbermangel: „Die Kollegen sagen alle, dass das für sie eher ein Schmankerl war. Betriebsklima und Miteinander waren entscheidender.“

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