Die Griechen gehen auf Gassuche
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Unter dem Mittelmeer vor der Küste Griechenlands werden große Erdgasvorkommen vermutet.
© Quelle: imago images/NurPhoto
Athen. Im Schritttempo von 4,5 Knoten (8,3 km/h) zieht die „Sanco Swift“ im Mittelmeer südwestlich der griechischen Insel Kreta ihre Bahnen. Sie fährt im Auftrag der Energiekonzerne Exxon Mobil und Helleniq Energy. Im Schlepp hat das Schiff fast zehn Kilometer lange Kabel. Die daran befestigten Hydrophone empfangen das Echo von Sonarwellen, die das Forschungsschiff aussendet. So sammelt die „Sanco Swift“ Daten, die Aufschlüsse über Erdgasvorkommen tief unter dem Meeresboden geben sollen.
Mit der Entsendung des Schiffes kommt neue Bewegung in die Gassuche vor den Küsten Griechenlands. Sie wurde lange vernachlässigt – aus klimapolitischen Gründen, aber auch wegen der vermeintlich sicheren und unbegrenzten Verfügbarkeit billiger Gaslieferungen aus Russland. Jetzt erzwingen der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Energiekrise ein Umdenken. Griechenland sucht Ersatz für russisches Gas, das noch im Jahr 2021 rund 45 Prozent des Verbrauchs deckte.
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Die möglichen Vorkommen sind aber nicht nur für Griechenland interessant. Expertenschätzungen beziffern die griechischen Gasreserven auf rund 2000 Milliarden Kubikmeter. Gemessen am Verbrauch des vergangenen Jahres wäre das genug, um die gesamte EU mehr als fünf Jahre lang mit Erdgas zu versorgen.
Wir bleiben zwar auf einen schnellen Übergang zu grüner Energie fokussiert, aber zugleich sind wir verpflichtet, Möglichkeiten der Erdgasförderung zu prüfen, die zu unserer eigenen Energiesicherheit und der Versorgung Europas beitragen könnte.
Kyriakos Mitsotakis,
Ministerpräsident Griechenlands
Jetzt will Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis die Gasexplorationen vorantreiben. „Wir bleiben zwar auf einen schnellen Übergang zu grüner Energie fokussiert, aber zugleich sind wir verpflichtet, Möglichkeiten der Erdgasförderung zu prüfen, die zu unserer eigenen Energiesicherheit und der Versorgung Europas beitragen könnte“, sagt der Premier. Auch Rikard Skoufias, CEO der staatlichen Gesellschaft zur Verwaltung von Kohlenwasserstoffen und Energieressourcen (EDEY), meint, griechisches Erdgas könne „nicht nur für unser Land eine bedeutende Rolle spielen, sondern auch für die Versorgung Europas, das in dieser Zeit nach einheimischen Energieressourcen sucht.“
Die „Sanco Swift“ forscht in einem 40.000 Quadratkilometer großen Seegebiet südwestlich von Kreta und der Halbinsel Peloponnes. Aber die Explorationen sind aufwendig. Selbst wenn sie erfolgreich sind, wird bis zu einer Erschließung der Vorkommen noch viel Zeit vergehen. Nach einem Zeitplan der EDEY sollen die seismischen Untersuchungen bis 2024 abgeschlossen werden. In den Jahren 2024 bis 2026 könnten Probebohrungen stattfinden. Sofern sie die Erwartungen erfüllen, soll die Förderung 2027 oder 2028 beginnen.
Gasvorkommen werden auch westlich der Peloponnes und im Ionischen Meer vor der Insel Korfu vermutet. Dort wollen die Energiekonzerne Helleniq Energy und Energean Hellas Anfang 2023 mit der zweiten Phase seismischer Untersuchungen beginnen. Das kündigte der CEO der zu 35 Prozent staatlich kontrollierten Helleniq Energy, Andreas Siamisis, kürzlich anlässlich der Vorlage der jüngsten Quartalszahlen an.
Gasbedarf könnte sehr lange gedeckt werden
Ein weiteres Gasfeld wird unter dem Festland nahe der nordwestgriechischen Stadt Ioannina vermutet. Die dortige Konzession liegt bei Energean Hellas. Das Unternehmen will 2023 eine erste Probebohrung niederbringen. Der griechische Energieminister Kostas Skrekas schätzt, dass allein die mutmaßlichen Vorkommen bei Ioannina den Gasbedarf Griechenlands auf zehn Jahre decken könnten.
Aristofanis Stefatos, Vorstandsmitglied der EDEY, bezifferte im Frühjahr gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters die geschätzten Gasvorkommen Griechenlands auf 600 Milliarden Kubikmeter (bcm). Das wäre fast das Hundertfache des aktuellen Jahresverbrauchs des Landes. Andere Schätzungen gehen noch in weitaus größere Dimensionen. Yannis Maniatis, griechischer Energieminister in den Jahren 2009 bis 2014, beziffert die Vorräte auf rund 2000 bcm. Zum Vergleich: Der Gasverbrauch der 27 EU-Staaten belief sich 2021 auf knapp 400 bcm.
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Unter Tsipras schlief Gassuche ein
Maniatis forcierte in seiner Amtszeit die Gassuche. Angesichts der damals niedrigen Gaspreise gab es jedoch seitens privater Investoren wenig Interesse, zumal Griechenland seinerzeit tief in der Schuldenkrise steckte. Unter dem radikal linken Premier Alexis Tsipras, der Griechenland von 2015 bis 2019 regierte, schlief die Gassuche fast völlig ein. „Wir haben bei der Gasexploration sieben bis acht wertvolle Jahre verloren“, kritisiert Maniatis, der heute an der Universität Piräus Wirtschaftsgeografie lehrt. Trotz der Verzögerung hält Maniatis es für realistisch, schon 2025 mit der Förderung zu beginnen, wenn die Explorationen forciert und die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Griechenland könne damit zu einem neuen Gasversorger für ganz Europa werden, sagt Maniatis.
Kohlenwasserstoffe werden auch in der Ägäis vermutet. Doch dort gibt es bisher keine Erkundungen, weil Griechenland und die Türkei um die Abgrenzung der Wirtschaftszonen streiten. In den Gebieten, um die es bei den aktuellen Explorationen geht, hat die Türkei keine Ansprüche angemeldet.
Mehr Kohle – trotz geplantem Ausstieg
Auch wenn die griechische Regierung jetzt die Gassuche forciert, will sie an ihren Klimazielen festhalten, versichert Umwelt- und Energieminister Skrekas. Um den Gasverbrauch zu reduzieren, hat Griechenland zwar die Elektrizitätserzeugung mit Braunkohle kurzfristig hochgefahren. Der Anteil der Kohle an der Stromproduktion steigt dadurch aktuell von 10 auf 20 Prozent. Es werde aber dabei bleiben, alle Kohlekraftwerke bis 2028 vom Netz zu nehmen, sagte Skrekas kürzlich im Gespräch mit ausländischen Journalisten in Athen. Möglich werden soll das vor allem durch die beschleunigte Nutzung der erneuerbaren Energiequellen. Bisher wollte Griechenland 2030 rund 65 Prozent seines Strombedarfs mit Erneuerbaren decken. Jetzt strebe man 80 Prozent an, sagte der griechische Energieminister.
Vom Ausbau der Solar- und Windenergie in Griechenland könnte auch Europa profitieren: Skrekas führt mit den Regierungen in Wien und Berlin Gespräche über den Bau von Stromtrassen, die billigen und klimafreundlichen Ökostrom aus Griechenland über den Balkan nach Österreich und Süddeutschland bringen sollen.