Der Handel zwischen Deutschland und Russland wächst trotz Spannungen
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Schweißarbeiten an einer Anlage zur Erdgasverflüssigung (LNG) in Murmansk in Russland. Die russische Wirtschaft ist nach wie vor stark auf die Ausbeutung von Rohstoffen orientiert.
© Quelle: imago images/ITAR-TASS
Berlin. Ungeachtet der wachsenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen unter anderem wegen des Ukraine-Konflikts legt der deutsche Russland-Handel weiter zu, bauen deutschen Unternehmen ihr Engagement im größten Flächenland der Erde zielgerichtet aus. Das geht aus Wirtschaftsdaten hervor, die das Handels- und Wirtschaftsbüros (HWB) an der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin für das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zusammengestellt hat.
Demnach ist der Umfang des deutsch-russischen Handels seit März diesen Jahres höher als im vergangenen Jahr und auch höher als 2019, dem Jahr vor der Corona-Krise. Im September 2021 lag der Handel Russlands mit Deutschland um fast 16 Prozent höher als im September 2019 und erreichte ein Volumen von 5,2 Milliarden Euro. Im Mai 2020 hatte der Handel einen Monatstiefstand von 2,6 Milliarden Euro erreicht und sich seither schrittweise wieder erholt.
Parallel zum wachsenden Handelsvolumen steigen die Investitionen deutscher Unternehmen in Russland und beliefen sich nach jüngsten Zahlen der Bundesbank bis zum Ende des zweiten Quartals auf fast 1,4 Milliarden Euro. „Das zeigt, dass das Interesse deutscher Unternehmen an Russland ungeachtet der aktuellen Umstände ungebrochen ist“, sagte HWB-Abteilungsleiter Dmitri Plakhov.
Mähdrescher und Traktoren
Zu den größeren Playern im Bereich Investitionen gehört der Landmaschinenriese Claas aus Harsewinkel in Nordrhein-Westfalen, der schon 2005 als erster westlicher Landtechnikhersteller mit einer eigenen Fertigung in Russland präsent war. Das Werk im südrussischen Krasnodar ist 2015 deutlich ausgebaut worden, Claas investierte dort rund 120 Millionen Euro. „Russland ist für uns eine Erfolgsstory“, sagte Claas-Unternehmensprecher Wolfram Eberhardt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Russland verfüge über riesige Schwarzerdegebiete mit hervorragenden Böden und Flächen, die noch gar nicht genutzt würden.
Claas investiert jetzt noch einmal 12,6 Millionen Euro in sein Werk zur Herstellung von „Mähdreschern in hoher Fertigungstiefe“ und zur Traktorenmontage. Das Unternehmen beschäftigt inzwischen rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Russland, darunter auch Vertriebsleute in Moskau. Das Produktionsvolumen steigt auf bis zu 2500 Mähdrescher und Traktoren pro Jahr.
Tilsiter und Mozzarella
Der Milchproduktehersteller DMK Deutsche Milchkontor GmbH in Bremen investiert nach HWB-Angaben rund 23 Millionen Euro in den Bau einer zweiten Käsefabrik in Bobrow in der südrussischen Region Woronesh. Da Russland als Reaktion auf westliche Sanktionen schon vor Jahren den Käseimport stoppte, stiegt die DMK vor Ort ein, erhöhte 2018 eine Beteiligung auf 100 Prozent und übernahm ein Werk in Bobrow.
„In Russland stellen wir mit rund 350 Mitarbeitern zum Beispiel Blauschimmelkäse her, zudem Tilsiter, Zutatenkäse, Mascarpone, Mozzarella oder Schmelzkäse“ erläuterte DMK-Sprecherin Vera Hassenpflug gegenüber dem RND.
Die Molkerei dort sei in den letzten Jahren an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen, sodass die DMK Ende 2019 mit dem Bau eines zweites Werkes in der Nähe begann. „Das Gebäude ist fertig, die Tanks stehen, die kommerzielle Produktion startet jetzt“, sagte Hassenpflug. Im zweiten Werk werden Spezialitätenkäse in Block-, Brot-, Zylinder- und später in Kugelform produziert. Die Kapazität beträgt circa 14.000 Tonnen Käse pro Jahr, es werden rund 150 Arbeitsplätze entstehen. „Die Investitionen in den Neubau der zweiten Käserei stammen komplett aus dem laufenden Vor-Ort-Geschäft“, erläuterte Hassenpflug.
Anhänger und Auflieger
Die SAF-Holland SE aus dem bayerischen Bessenbach stellt fahrwerksbezogene Baugruppen und Komponenten für Anhänger und Auflieger, aber auch für Lkw und Busse her und zählt sich selbst in diesem Segment zu den Top-drei-Anbietern weltweit. Von einem Fertigungsstandort im Norden Moskaus sollen ab 2022 Achsen mit Scheiben- und Trommelbremse vom Band rollen. SAF-Holland investiert in ein 4000 Quadratmeter großes Werk, in dem 60 neue Arbeitsplätze entstehen, davon 50 im Produktionsbereich.
„Russland ist für uns bereits heute einer der wichtigsten Einzelmärkte weltweit und verfügt auch langfristig über hervorragende Wachstumsperspektiven“, sagt SAF-Vorstandschef Alexander Geis. „Mit diesem neuen Fertigungsstandort investieren wir in profitables Wachstum entsprechend unserer Strategie 2025.“ Mit dem neuen Werk erfüllt SAF ab 2022 auch die neuen Regelungen des russischen Staates zur Förderung lokaler Produktion. Diese sehen vor, dass der Mindestanteil russischer Vorprodukte in der Produktion von anfänglich 30 Prozent bis Januar 2026 auf 80 Prozent ansteigen muss.
Lieferdienst bringt Lebensmittel
Im Gegenzug drängen auch russischen Unternehmen weiter auf den deutschen Markt. So hat die United Wagon Company (UWC) als Hersteller, Vermieter und Reparateur von speziellen Eisenbahngüterwagen die Zulassung für das Streckennetz der Europäischen Union erhalten. Infolgedessen erweitert das Moskauer Unternehmen seinen Auftragsbestand bei EU-Kunden auf über 1000 Wagen, teilte das HWB mit. Zu den Kunden gehören die Deutsche Bahn und mit der VTG AG der größte europäische Eisenbahngüterwagen-Vermieter und Schienenlogistiker mit Sitz in Hamburg.
Der unter Beteiligung von vier Russen gegründete deutsche Express-Lebensmittellieferdienst Getfaster.io starte im Januar in Düsseldorf und ist jetzt bereits in neun deutschen Städten präsent, darunter auch Berlin. Der Service liefert nach eigenen Angaben Bestellungen von Lebensmitteln aller Art innerhalb von 30 Minuten bis zu zwei Stunden aus. Nach HWB-Angaben arbeitet Getfaster daran, neue Lager in Deutschland zu eröffnen und die Infrastruktur auszubauen.