Bahnchef Richard Lutz: „Claus Weselsky will die Belegschaft bewusst spalten“

Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, beim RND-Interview im Bahntower in Berlin.

Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, beim RND-Interview im Bahntower in Berlin.

Berlin. Im 25. Stock des Bahntowers am Potsdamer Platz begrüßt ein gut gelaunter Richard Lutz die Interviewer. Seine Stimmung wird sich später verdüstern, wenn es um die verfahrene Situation im Tarifkonflikt mit der GDL geht – eine dritte Streikrunde scheint unabwendbar. Die Bahn hat in der Pandemie Milliardenverluste angehäuft, doch so viel Rückhalt in der Politik hatte der Konzern selten – alle Parteien versprechen neue Strecken und neue Züge. Lutz natürlich auch.

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Herr Lutz, haben Sie eine Verbindung zur katholischen Kirche?

Ich bin Katholik und zahle brav meine Kirchensteuern. Warum fragen Sie?

Weil Fahrgastvertreter fordern, Sie und die Chefs ihrer beiden Gewerkschaften wie die Kardinäle bei der Papstwahl in ein Konklave zu schicken und erst wieder herauszulassen, wenn weißer Rauch aufsteigt. Als Berufspendler finden wir diese Idee nicht schlecht.

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Mit dem Vorsitzenden der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Klaus-Dieter Hommel, waren wir ja schon im Konklave (lacht). Aber im Ernst: Ich habe viel Verständnis für die Nöte von Gewerkschaftern, die bei Tarifverhandlungen Erfolge vorweisen müssen. Und ich will natürlich, dass alle Kolleginnen und Kollegen im Konzern angemessen bezahlt werden.

Aber die Bahn erlebt gerade die größte finanzielle Krise ihrer Geschichte, in die sie ohne eigenes Verschulden infolge der Pandemie geraten ist. In dieser Situation geht es um maßvolle Abschlüsse und solidarische Verantwortung für die Zukunft des ganzen Unternehmens. Die eine Gewerkschaft ist bereit, diese zu übernehmen, die andere bisher nicht.

Bahnchef Richard Lutz (M.) im Gespräch mit den RND-Redakteuren Andreas Niesmann (l.) und Jan Sternberg.

Bahnchef Richard Lutz (M.) im Gespräch mit den RND-Redakteuren Andreas Niesmann (l.) und Jan Sternberg.

Weil die Lokführer und Zugbegleiter eben unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen sind.

Wir haben im vergangenen Oktober eine Mitarbeiterbefragung gemacht, danach war die Zufriedenheit und der Zukunftsoptimismus in der Belegschaft noch nie so groß wie heute. Wir investieren, wir modernisieren, wir rekrutieren wie noch nie – alles für unsere gemeinsame Zukunft. Das motiviert unsere Kolleginnen und Kollegen. Und deshalb sind viele auch nicht mit dem Streik einverstanden, selbst unter den Lokführern nicht.

Die hohe Beteiligung der Lokführer am Streik der GDL spricht eine andere Sprache.

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Würde es nur um tarifliche Fragen gehen, hätten wir schnell eine Einigung. In Wahrheit geht es aber um Macht. Die Lokführergewerkschaft GDL will der EVG Mitglieder abjagen, um selbst mehr Einfluss im Unternehmen zu bekommen.

Selbst dafür hätte ich Verständnis, wenn es eine Aussicht auf Erfolg gebe. Die gibt es aber nicht. In den Bereichen Infrastruktur, Verwaltung, Instandhaltung und Werkstätten spielt die GDL zahlenmäßig keine Rolle – und da sehen wir auch keine Bewegung. Die GDL-Spitze hat sich mit ihrer Expansionsstrategie verrannt. Das muss man nüchtern feststellen.

Fürchten Sie um das Betriebsklima?

Eindeutiges Ja. Wir Eisenbahner halten eigentlich zusammen, das haben wir in der Corona-Pandemie jeden Tag bewiesen. Ich selbst bin seit über 27 Jahren bei der Bahn. Und jetzt haben wir zum ersten Mal die Situation, dass Politik, Führungskräfte, Mitarbeitende und Kunden alle das gleiche wollen – nämlich die Schiene stärken, damit wir als Bahn unseren Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten können.

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Wie Herr Weselsky in dieser Situation agiert und vor allem wie er redet, ist absolutes Gift für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Eisenbahnerfamilie. Da werden gerade Wunden geschlagen, die nur schwer wieder verheilen.

Sie wirken auch persönlich angefasst.

Persönlich habe ich kein Problem mit Herrn Weselsky. Aber ich finde es nicht in Ordnung, wenn er bei der Bahn zwischen ehrenwerten und unehrenwerten Berufen unterscheidet und mit Letzterem auch Tausende Führungskräfte meint. Diese haben in der Krise auf viel Geld verzichtet. Denen jetzt vorzuwerfen, dass sie sich die Taschen vollstopfen, ist unredlich und schlicht falsch. In den USA haben wir gesehen, wohin diese Form des Populismus führen kann.

Vergleichen Sie gerade Herrn Weselsky mit dem früheren US-Präsidenten Donald Trump?

Das haben Sie jetzt gesagt. Ich verstehe nur nicht, warum ein Eisenbahner, der das Unternehmen seit Jahrzehnten kennt und genau weiß, wie wichtig Zusammenarbeit und Zusammenhalt für das Funktionieren der Eisenbahn ist, die Belegschaft bewusst spalten will. Das geht über die kulturelle Ebene hinaus.

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Herr Weselsky plädiert ja auch für die Zerschlagung der Bahn in einen Infrastruktur- und einen Transportteil. Kein Eisenbahner, dem das Wohl des Unternehmens am Herzen liegt, würde das wollen. Auch hierbei geht es offenbar vor allem um Macht.

„Wir wollen nächstes Jahr operativ wieder Gewinn machen" Bahnchef Richard Lutz im Video-Interview
Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, aufgenommen in Berlin, 25.08.2021. Copyright: Florian Gaertner/photothek.de

Reisen mit der Bahn wird "deutlich attraktiver, besser und vernetzter" - aber umgekehrte Wagenreihungen sind auch in Zukunft nicht vermeidbar, so Richard Lutz.

Die FDP fordert ebenfalls eine Aufspaltung der Bahn in Betrieb und Netz, auch die Grünen, denen der Bahnverkehr ja sehr am Herzen liegt, sind dafür. Was spricht eigentlich dagegen?

Die Diskussion ist ja alt und sattsam bekannt. Die Forderung wird nicht überzeugender, nur weil sie immer wieder aufgewärmt wird. Da müssen Sie nur ins Ausland schauen. Alle erfolgreichen und vor allem kundenorientierten Eisenbahnen haben Netz und Betrieb unter einem Dach. Das gilt für Japan. Das gilt für die Schweiz, die uns ja immer als leuchtendes Beispiel vorgehalten wird, wenn es um Pünktlichkeit und Fahrpläne geht.

Frankreich hat die Trennung mal vollzogen und dann rückabgewickelt. Daran haben viele Juristen eine Menge Geld verdient. Ich sehe überhaupt keinen Grund für einen schlechten deutschen Sonderweg. Wir sollten schnell bestehende Probleme lösen, anstatt neue zu schaffen.

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Der Grund ist, dass eine Aufspaltung zu mehr Wettbewerb auf der Schiene führen könnte.

Schauen Sie sich die Zahlen an: Es gibt kein anderes europäisches Land, in dem so viel Wettbewerb im Eisenbahnsektor herrscht wie bei uns. Wir haben auf der Infrastruktur mittlerweile deutlich mehr als ein Drittel an nicht zur DB gehörenden Unternehmen, vor allem im Güter- und Regionalverkehr. Dass es im Fernverkehr anders ist, liegt vor allem daran, dass viele Wettbewerber die Milliardeninvestitionen in eine moderne Zugflotte scheuen. Das kann man beklagen, aber daran ist nicht die Deutsche Bahn schuld.

Der französische Bahn-Konzern SNCF setzt inzwischen doppelstöckige TGVs für seine Low-Cost-Tochter Ouigo ein. In den Zügen gibt es wenig Komfort und eine hohe Passagierdichte – dafür sind die Preise extrem billig. Ein Modell für Deutschland?

Ich glaube nicht. Für preissensible Kunden werden wir auch weiterhin in allen Zügen einen Teil der Plätze sehr günstig anbieten. Auf Verbindungen in den Regionen ist unser doppelstöckiger IC 2 die richtige Wahl. Er ist auch bei geringerer Nachfrage wirtschaftlich. Und auf den vielbefahrenen Hochgeschwindigkeitsstrecken kommt der ICE zum Einsatz – immer häufiger auch der neue XXL-ICE mit über 900 Sitzplätzen.

Doppelstock-Hochgeschwindigkeitszüge wird es in Deutschland also nicht geben?

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Ich sage es mal so: Wir sind sehr zufrieden mit dem ICE von Siemens und insbesondere unserem neuen Flaggschiff ICE 4. Aber es ist gut, wenn es bei Ausschreibungen mehrere Hersteller gibt, die Angebote machen, wie zum Beispiel Alstom mit dem neuen Duplex-TGV.

Vor elf Jahren hat die Bahn das britische Verkehrsunternehmen Arriva für 2,8 Milliarden Euro gekauft. Glücklich geworden sind Sie damit nie. Wann werden Sie Arriva endlich los?

Ohne Corona wären wir mit dem Arriva-Verkauf weiter, das muss man fairerweise sagen. Die Pandemie hat Arriva kräftig geschüttelt, vor allem weil das Unternehmen nicht nur auf den britischen Inseln, sondern auch in Italien und Spanien aktiv ist – alles Länder, die von Corona hart getroffen worden sind. Wir hoffen jetzt, dass wir im nächsten Jahr wieder in eine Phase wirtschaftlicher Stabilität zurückfinden, und dann werden wir unsere Verkaufsaktivitäten auch wieder intensivieren.

Arriva war ein teurer Flop. Wieviel Geld hat die Bahn damit verbrannt?

Arriva hat uns viele Jahre auch Gewinne beschert und nach wie vor großes Potenzial im europäischen Personenverkehrsmarkt. Wir erleben ja nicht nur eine Renaissance der Eisenbahn in Deutschland, sondern auch in Europa, eigentlich auf der ganzen Welt.

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Allerdings sind dafür massive Investitionen nötig, und wir würden uns finanziell verheben, wenn wir auch noch die Wachstumsinvestitionen von Arriva stemmen wollten. Deshalb ist die DB nicht mehr die richtige Eigentümerin für Arriva. Wir wollen das Unternehmen in Hände geben, die das profitable Wachstumspotenzial von Arriva auch ausreizen können.

Mit der Einführung des Deutschlandtaktes ab 2030 soll vieles besser werden. Wie weit sind Sie damit?

Wir sind mittendrin. Ich bin ein großer Fan des Deutschlandtaktes, weil bei diesem Vorhaben der Kunde total im Mittelpunkt steht. Wenn wir die großen Metropolen im Halbstundentakt miteinander verbinden und von dort die Regionen anbinden, wird Bahnfahren noch einmal ein ganzes Stück attraktiver werden. In der öffentlichen Diskussion wird allerdings gerne vergessen, dass wir nicht einfach einen Hebel umlegen können, sondern noch jede Menge Infrastruktur bauen müssen.

Und das dauert in Deutschland bekanntlich lange…

Ja, aber es lohnt sich. Nehmen Sie die Neubaustrecke zwischen Hannover und Bielefeld. Wenn die fertig ist, werden Züge in deutlich unter vier Stunden von Berlin nach Köln fahren. Kurzum: der Deutschlandtakt wird ein großer Schritt hin zu einer noch attraktiveren und vor allem klimafreundlichen Mobilität für die Menschen. Klimaschutz kann auch einfach sein!

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