Arbeitswelt: Chinas automatisierte Zukunft

Das Firmengelände des staatlichen chinesischen Stahlproduzent Nisco in der Ostküstenmetropole Nanjing.

Das Firmengelände des staatlichen chinesischen Stahlproduzent Nisco in der Ostküstenmetropole Nanjing.

Nanjing. Wer das Firmengelände von Nisco betritt, einem staatlichen Stahlproduzenten in der Ostküstenmetropole Nanjing, wähnt sich in einer nostalgischen Zeitmaschine: Schmächtige Arbeiter mit gelben Schutzhelmen fahren auf rostigen Velos entlang des historische Industriegeländes – vorbei an massiven Kraftwerken, riesigen Fabrikhallen und rauchenden Schloten. An den Fassaden der Gebäude prangen rote Propagandaslogans, die das 100-jährige Jubiläum der Kommunistischen Partei feiern.

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Doch ausgerechnet hier, inmitten der miefigen Atmosphäre eines chinesischen Staatsunternehmens, arbeiten die Ingenieure längst an der wirtschaftlichen Zukunft des Landes: Die „smart factory“, verbunden ans 5G-Netzwerk, ist das Herzstück von Nisco. Wer die 8900 Quadratmeter große Halle betritt, hört zwar das konstante Röhren der Maschinen und den Luftzug der Ventilation.

Arbeitsschritte sind größtenteils automatisiert

Doch menschliche Geräusche fehlen vollständig: Fast alle Arbeitsschritte sind hier längst automatisiert – vom Laden des Stahls über die Materialbehandlung bis hin zur Verpackung werden sämtliche Prozesse von Industrierobotern erledigt. Braucht man für eine konventionelle Fabrik ähnlicher Größe rund 130 Arbeiter, sind hier nur mehr zehn anwesend – zur Aufsicht im Kontrollraum. Dort werden die wichtigsten Parameter in Echtzeit auf riesigen LED-Displays angezeigt.

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Was in anderen Ländern wohl hitzige Debatten über Arbeitsplatzverluste auslösen würde, wird in der Volksrepublik China ganz im Gegenteil mit stolzer Inbrunst propagiert: „Alle Fabrikarbeiter, die wir beschäftigen, sollen schlussendlich in Büroangestellte umgeschult werden“, sagt Präsident Zhu Ruirong, ein Managertyp mit bedächtigem, ja geradezu bescheidenem Habitus. Seine Aussage ist allerdings beachtlich: Man möchte die körperliche Arbeit in dem Betrieb vollständig abschaffen, um Lohnkosten zu senken.

Demographische Krise bedroht China

Tatsächlich ist Chinas größte Bedrohung für den wirtschaftlichen Aufstieg keineswegs der Handelskrieg mit den USA, die zunehmende Isolation auf dem internationalen Politparkett oder die wachsende Verschuldung der Lokalregierungen. Woran Staatschefs Xi Jinpings „chinesischer Traum“ einer „wohlhabenden sozialistischen Gesellschaft“ am ehesten zu scheitern droht, ist die demografische Krise im Land. Lange Jahre hatte sie sich am Horizont der Wirtschaftsplaner in Peking abgezeichnet, doch längst ist sie nicht mehr zu ignorieren.

Die jüngsten Zahlen der Volkszählung wurden gar über einen Monat verspätet publiziert – so schockiert war die Staatsführung über deren Grundaussage: Die Fertilitätsrate bricht stärker ein als erwartet. Was im Westen längst eintrat, trifft nun auch auf China zu: Die Bevölkerung wird rasant älter und bekommt immer weniger Kinder. In den nächsten fünf Jahren werden knapp 300 Millionen Menschen das Rentenalter erreichen, ein Bevölkerungsrückgang setzt möglicherweise bereits 2022 ein. Derzeit liegt die arbeitende Bevölkerung in China immerhin bei 63 Prozent, 2010 waren es allerdings noch 70 Prozent.

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Doch während Europa erst nach Erreichen von einem bestimmten Wohlstandsniveau alt wurde, tritt die Entwicklung in China bereits recht früh ein. Nur zum Vergleich: Allein um das Pro-Kopf-Einkommen von Spanien zu erreichen, müsste sich das chinesische Bruttoinlandprodukt um den Faktor 2,6 erhöhen.

Demografische Krise ist teilweise hausgemacht

Die demografische Krise ist zu Teilen hausgemacht, schließlich hatte die kommunistische Staatsführung seit 1980 eine rigide Ein-Kind-Politik, um die damalige Bevölkerungsexplosion zu drosseln. Doch mittlerweile wurde die Familienplanung unlängst auf eine Drei-Kind-Politik gelockert, was jedoch aller Voraussicht keinen Effekt bringen wird. Denn angesichts der drastischen Kosten für Wohnraum und Bildung können es sich junge Familien in den Städten schlicht nicht leisten, mehr als einen Zögling großzuziehen.

Ein offensichtlicher Lösungsansatz wäre wohl die Migration. Doch Chinas nationalistische Staatsführung unter Xi Jinping sieht Einwanderung vor allem als Bedrohung für die „gesellschaftlichen Stabilität“, die stets oberste Priorität genießt. Tatsächlich leben hochgerechnet auf die Bevölkerung von 1,4 Milliarden weniger Ausländer in der Volksrepublik als in Nordkorea.

Stattdessen versucht Peking, das Problem von innen zu lösen. „Die Frage muss zurück zu den Ökonomen“, sagte jüngst Cai Fang, Berater der chinesischen Zentralbank. Was Cai, der an der renommierten Chinesischen Akademie der Wissenschaften auch als Demograph forscht, damit meint: Die Geburtenrate werde trotz politischer Gegenmaßnahmen weiter fallen, dies sei ein „irreversibler Langzeittrend“. Von daher sei das oberste Gebot, dass der Staat mehr aus einer sinkenden Anzahl an Arbeitskräften herausholt. Also: die Produktivität steigert – durch bessere Bildung, aber auch zunehmende Automatisierung.

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China muss sich automatisieren

In Anlehnung auf ein bekanntes Sprichwort gilt also in China nicht unbedingt, dass eine Gesellschaft reich werden sollte, bevor sie alt wird. Sondern viel entscheidender schein, ob es gelingt, dass die Gesellschaft ausreichend automatisiert, ehe sie greise wird. Es ist dies auch eine technologische Wette in die Zukunft – mit vollkommen offenem Ausgang.

Roboter „Atlas“ meistert Hindernisparkour
Der Roboter Atlas holt w��hrend seiner Runde auf dem Parkour zum Sprung aus.

Atlas ist ein Humanoid-Roboter aus dem Hause „Boston Dynamics“ und besticht durch seine flüssig anmutenden menschlichen Bewegungen.

Allein ein Blick auf die Branche der Industrieroboter legt Chinas Ambitionen offen. Als Teil des industriellen Masterplans „Made in China 2025“ möchte Pekings Staatsführung insbesondere das herstellende Gewerbe zunehmend automatisieren. Während 2020 die Verkäufe von Industrierobotern global um 2 Prozent sanken, zog der Wert in China um stolze 19 Prozent an. Noch 2019, also vor Ausbruch der Pandemie, hat die Volksrepublik laut der „International Federation of Robotics“ mehr Roboter installiert als die nächsten vier Staaten zusammengenommen – die USA, Japan, Südkorea und Deutschland.

Die Entwicklung wird nicht zuletzt von den rasant steigenden Lohnkosten angetrieben. Doch gleichzeitig wird der Pool an Arbeitsmigranten aus den Hinterlandprovinzen, die die Städte und Infrastruktur Chinas mit ihrer Körperkraft aufgebaut hatten, immer älter und geringer.

Bereits jetzt ist über die Hälfte von ihnen über 40 Jahre alt, vor einem Jahrzehnt war es gerade mal ein Drittel. Und im letzten Jahr ist die Anzahl an Arbeitsmigranten erstmals gesunken – auf rund 285 Millionen Menschen. Fabriken klagen flächendeckend darüber, trotz steigender Löhne noch ausreichend Arbeiter zu finden, die sich den körperlich anstrengenden Job antun wollen.

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Roboter sind im Dienstleistungsbereich tätig

Robotern begegnet man in Chinas Ostküstenmetropolen bereits flächendeckend im Dienstleistungsbereich: Einarmige Baristaroboter präparieren Cafés, fahrende Kellnerroboter nehmen in Hotpot-Restaurants die Bestellung auf und bringen in Hotels den Zimmerservice zur Tür. Doch auch im Bereich autonomes Fahren investieren Chinas Techfirmen kräftig, um künftig menschliche Taxi- und Busfahrer zu ersetzen. Die Corona-Pandemie hat die Entwicklung beschleunigt, weil Roboter auch den menschlichen Kontakt reduzieren.

Doch unter Chinas Ökonomen herrscht keine Illusion darüber, dass Automatisierung allein das Jahrhundertproblem der Volksrepublik lösen können wird. „Wir müssen erkennen, dass Bildung und technologischer Fortschritt den Bevölkerungsrückgang nur schwer werden kompensieren können“, hieß es bereits im März in einem Papier der Zentralbank.

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