Das Auto ist der Dinosaurier der Mobilität
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Aktivisten und Aktivistinnen von Greenpeace demonstrieren anlässlich des Autogipfels im Kanzleramt.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa
Wladimir Putin hat das Modell Deutschland implodieren lassen. Jenes Modell einer weitgehenden Externalisierung der Verteidigungslasten an Nato und USA sowie der Energieversorgung an Russland ist gescheitert. Auch die dritte Säule des Modells, die Externalisierung des Absatzes durch Exporte, wackelt.
Mit dem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien und 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr wird gegengesteuert. Nun steht die Verminderung der Exportabhängigkeit an, die vor allem die Autoindustrie und in besonderem Maß den chinesischen Markt betrifft.
Bundeskabinett beschließt Energieentlastungspaket
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein milliardenschweres Entlastungspaket für die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht.
© Quelle: dpa
Jeder siebte Arbeitsplatz hänge direkt und indirekt vom Auto ab, hieß es bei der Autolobby. Auch wenn das übertrieben war, wollte man die übergroße Bedeutung der Branche betonen. Die stellte immer schon ein Klumpenrisiko dar und wird nun zum unkalkulierbaren Risiko für die Robustheit der Volkswirtschaft.
Der enorme Ressourcen- und Flächenbedarf und die schlechte Aufenthaltsqualität in den Städten macht das Auto ohnehin zu einem technologischen Dinosaurier. Die gegenwärtige Krise könnte wie ein existentieller Meteoriteneinschlag wirken, der disruptive Veränderungen der Mobilität erfordert.
Nach dem Krieg wurden ganze Stadtviertel für Straßen abgerissen
Wer an der aktuellen Verkehrspolitik verzweifelt, sollte sich in Erinnerung rufen, wie in Deutschland in der Nachkriegszeit die verbliebenen Stadtruinen oft gegen geringeren Widerstand weiter autogerecht „geschliffen“ wurden. Leider wirkt diese Ideologie bis heute vielerorts nach.
Diese spezifische Nachkriegsstimmung ist mit dem Wunsch nach Neubeginn und einer Verdrängung zu erklären, auch die noch verbliebenen städtebaulichen Schönheiten zu entfernen. Ein krasses Beispiel stellt die Zerstörung der beiden, relativ gut erhaltenen Bahnhöfe im Berliner Bezirk Kreuzberg dar.
Den Anhalter Bahnhof ließ der autofixierte Bausenator Rolf Schwedler 1959 sprengen, nachdem der geplante Abriss mehrfach gescheitert war. Der Abbruch des Görlitzer Bahnhofs folgte in den Sechzigerjahren – für eine geplante „Südtangente“.
Schwedler hatte damals nicht nur einen weiträumigen Flächenabriss in Kreuzberg geplant. In seine Amtszeit fiel die Stilllegung aller Straßenbahnen in Westberlin. Diese Ideologie setzt sich fort. Tramlinien im Westen verzögern sich immer wieder, während sich die A 100 quasi als „Osttangente“ weiter durch die Stadt frisst.
Hinterlassen hat er das unvollendete Autobahnkleeblatt in Berlin-Schöneberg, von dem einmal eine „Westtangente“ zu einem riesigen Autobahnkreuz südlich des Potsdamer Platzes ausgehen sollte. Die hatte eine mutige Bürgerinitiative verhindert und damit einen großzügigen Park am Gleisdreieck möglich gemacht.
Schneisen durch Frankfurt und Hamburg
Kaum weniger brutal ging es in Frankfurt zu. Dort wurde sogar das Ausmaß der Kriegszerstörung in einem eigens angefertigten „Trümmermodell“ derart übertrieben, dass es später Jahrzehnte auf dem Dachboden der hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden versteckt werden musste.
Die damaligen Stadtplaner wollten einen Freibrief für die Umgestaltung der Altstadt in einen autogerechten Zustand. Den erhielten sie auch, ließen die noch vorhandenen beschädigten Gebäude abreißen und mehrere Schneisen durchs ehemals mittelalterliche Frankfurt schlagen.
Auch in Frankfurt war das Klima für eine andere Verkehrspolitik bis weit in die Neunzigerjahre vergiftet. Für einen Lückenschluss im Straßenbahnnetz an der Konstablerwache von 740 Metern Länge brauchte man sage und schreibe neun Jahre. Für die seit 1992 geplante Ringbahn ist Anfang 2022 endlich Baubeginn.
In Hamburg wurden ebenfalls breite Straßentrassen durch die zerstörte Stadt getrieben, später für Pendler und Pendlerinnen eigens Autobahnen ins Umland gebaut, etwa nach Lüneburg oder Elmshorn. 1958 beschloss man, die Straßenbahnen stillzulegen. Autos bahnen sich auf der freiwerdenden Fläche den Weg in der Stadt.
Dagegen verfügt Hamburg etwa im Vergleich zu München über sehr kleine U‑ und S‑Bahnnetze, die erst in jüngster Zeit ausgebaut werden. Neue Tramlinien hat der Wutbürger verhindert. Der Weg von einer autogerechten Stadt zu einer nachhaltigen Mobilität scheint auch hier sehr mühsam zu sein.
In Kopenhagen und Basel waren die Menschen klüger
Autogerecht sollten viele andere europäische Metropolen werden, selbst in Kopenhagen sollten Schneisen durch die historische Bausubstanz geschlagen werden. Hier wie in Basel lehnte die Bevölkerung am Ende dankend ab. Damit wurden entscheidende Weichen für eine nachhaltige Stadtentwicklung gestellt.
In Verwaltungen, in Politik und Gesellschaft muss das autofixierte Verständnis von Mobilität endlich aufgegeben werden. Der Bedarf an Autarkie und Resilienz sollte nun den Druck erhöhen, mit den Ressourcen sparsamer umzugehen und die Mobilität neu zu organisieren.
Notwendig ist eine grundsätzliche Debatte über unsere künftige Mobilität. Wie viele Autos brauchen wir künftig? Reichen 15 oder 25 anstelle von 45 Millionen? Wie müsste unsere Mobilität dann organisiert werden, welche Gestaltungsräume würden in den Städten vor allem entstehen?
Verkehrsbranche warnt: Mögliche Kostenfalle beim 9-Euro-Ticket
Während die einen über die Einführung des 9-Euro-Tickets zum 1. Juni jubeln, macht sich der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen Sorgen.
© Quelle: dpa
Die Elektrifizierung erlaubt heute bereits eine riesige Vielfalt, von E-Rollern über einfache E-Bikes und das motorunterstützte Lastenrad bis hin zu kompakten und leichten Fahrzeugen. Sie brauchen deutlicher weniger Verkehrsfläche. Wohnraum und Grünanlagen könnten an ihre Stelle treten.
Schnelle Radwege, neue Tramlinien, reaktivierte und neu gebaute Bahnstrecken im ländlichen Raum, ein europäisches Hochgeschwindigkeitsnetz und neue Güterzugtrassen würden riesige wie nachhaltige Investitionen auslösen und die heutigen Abhängigkeiten deutlich vermindern.