Wird Deutschland wegen des Coronavirus zur Home-Office-Nation?
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Um die Ausbreitung des Coronaviruses zu verlangsamen, arbeiten viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen von zu Hause aus.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Egal ob Unternehmen, Behörde oder Forschungseinrichtung - wer dieser Tage als Journalist eine Pressestelle kontaktiert, muss sich darauf einstellen, dass im Hintergrund Kinder zu hören sind. Denn die Mitarbeiter dort arbeiten wegen des Coronavirus im Regelfall von zu Hause aus - wie viele andere Angestellte auch. Jeder zweite Arbeitnehmer sei derzeit im Homeoffice, stellte der IT-Branchenverband Bitkom schon vor knapp zwei Wochen fest. Und der Anteil dürfte seitdem noch gestiegen sein, schließlich riet kurze Zeit später sogar das Gesundheitsministerium, möglichst in den eigenen vier Wänden zu arbeiten.
Für deutsche Verhältnisse ist die Entwicklung eine kleine Sensation. Schließlich galten hiesige Betriebe und Mitarbeiter bislang als eher zurückhaltend, was die Arbeit von zu Hause aus anbelangt. 22 Prozent der Beschäftigten würden gelegentlich im Homeoffice arbeiten, hatte das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) 2017 berichtet, es sind die jüngsten repräsentativen Zahlen. Folgt man den Bitkom-Angaben, hat sich der Anteil der Heimarbeiter an den deutschen Berufstätigen also weit mehr als verdoppelt.
Bedenken gibt es viele
Dabei gab es abseits der Tatsache, dass Jobs am Fließband oder an der Supermarktkasse nicht im Home Office erledigt werden können, lange viele Bedenken: Unternehmen befürchteten mangelnde Kontrolle über die Mitarbeiter, zitierten Datenschutzbedenken und befürchteten, die Zusammenarbeit könnte leiden. Die Sorge teilten auch viele Mitarbeiter. Sie beklagten außerdem eine schwerere Trennung von Beruf und Privatleben sowie mangelnde technische Voraussetzungen, wie aus dem IAB Kurzbericht zu Home Office in Deutschland von 2019 hervorgeht.
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In der spanischen Hauptstadt hat die Polizei am Wochenende begonnen Wasserwerfer zur Desinfektion der Straßen Madrids einzusetzen.
© Quelle: Reuters
“Ich gehe davon aus, dass sich manche Vorbehalte nicht bewahrheitet haben”, sagt nun Oliver Stettes, der sich beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln mit derartigen Fragen befasst. Wie viele Home-Office-Experten geht auch er davon aus, dass die mangelnde Kontrolle über Mitarbeiter in der Praxis selten das Kernproblem ist. “Für Home Office ist eine Vertrauensbasis wichtig. Die kann sich jetzt entwickeln”, sagt Stettes.
Es wollen nicht alle ins Home Office
Trotzdem glaubt er nicht, dass Deutschland nun zur Home-Office-Nation wird. “Es wird sich weniger verändern, als viele denken”, meint der Arbeitswelt-Experte. Denn er geht davon aus, dass viele Beschäftigte sich längst nach der Arbeit im Büro zurücksehnen - weil sie die sozialen Kontakte dort schätzen. Oder, weil Berufliches und Privates in den eigenen Wänden zu sehr verschwimmen könnten, so Stettes. “In vielen Fällen ist das jetzt eine Notmaßnahme, nach der die Mitarbeiter zurück ins Büro gehen,” ist er überzeugt.
Das ist eine wahnsinnige Chance in Punkto digitaler Transformation. Aber es werden nicht alle schaffen, sich das zu Nutze zu machen.
Ole Wintermann, Zukunft-der-Arbeit-Projekt der Bertelsmann-Stiftung
“Wir sind gerade recht pessimistisch”, sagt auch Ole Wintermann, der sich beim Zukunft-der-Arbeit-Projekt der Bertelsmann-Stiftung mit dem Thema Home Office beschäftigt. Denn ihm zufolge dürfte die plötzliche Umstellung vielen Unternehmen Probleme bereiten. “Wir befürchten, dass etliche Arbeitgeber und Geschäftsführer wirtschaftlichen Schaden verursachen, weil sie nicht wissen, wie Home Office und mobile Arbeit funktionieren oder wie das eigene Geschäftsmodell digital angepasst werden könnte.”
Für kleine Unternehmen ist es schwerer
“Wir beobachten einen Mentalitätswandel sowohl bei Beschäftigten als auch bei Geschäftsführern”, sagt Wintermann aber auch - und meint damit, dass nun Hemmungen verschwinden. Über die jetzigen Herausforderungen für Betriebe im Umgang mit dem Coronavirus sagt Wintermann deshalb: “Das ist eine wahnsinnige Chance in Punkto digitaler Transformation. Aber es werden nicht alle schaffen, sich das zu Nutze zu machen.”
Das könnte besonders kleine und mittlere Unternehmen hart treffen - wofür auch jüngst veröffentlichte Zahlen des Personaldienstleisters Randstad sprechen. In dessen Umfrage unter Personalverantwortlichen kam heraus, dass knapp die Hälfte aller Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitern auf flexible Arbeitszeitmodelle und Home Office setzt. Bei mittelständischen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten sei es hingegen nur ein Drittel. Und lediglich ein Prozent der Arbeitnehmer dort nehme das dann auch in Anspruch.
Bitkom will flächendeckendes Homeoffice für mehrere Monate
Geht es nach dem IT-Branchenverband Bitkom, soll sich das bald ändern: “In der Corona-Krise ist Home Office kein Nice-to-have mehr, sondern ein Must-do”, meint Bitkom-Präsident Achim Berg. Er schlägt vor, dass in den kommenden Monaten und über die Osterferien hinaus alle Tätigkeiten, bei denen dies möglich sei, ausschließlich von zu Hause aus ausgeübt werden - und, dass das möglichst auch nach der Corona-Krise so bleiben sollte. “Digitale Technologien sollten nicht nur vorübergehend an allen Arbeitsplätzen Einzug halten, sie müssen zum Standard werden”, so Berg.
Nötig dafür sei aber eine “Modernisierung” des Arbeitsrechts, zu der unter anderem eine Abschaffung der elfstündigen Mindestruhezeit und ein wöchentliches Arbeitszeitkonto gehören. “Es ist jetzt die Zeit, zügig Hürden zu beseitigen”, sagt Berg. Wie realistisch das ist, sei mal dahingestellt: Bei der Abschaffung der Mindestruhezeit etwa ist heftiger Widerstand der Gewerkschaften zu erwarten.