Die Wirtschaft wird beim Thema Impfen immer nervöser
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/KAE64UEKJNC3PDR6CSBZUH3LBY.jpeg)
Nur ein kleiner Piks. Auch in der Arbeitswelt kann er viel bewirken.
© Quelle: Wolfgang Kumm/dpa
Frankfurt. Die geringen Impfquoten in Deutschland machen der Wirtschaft zunehmend Sorgen. Der Arbeitgeberverband fordert nun vom Staat finanzierte Prämien für Menschen, die sich piksen lassen. Der Zentralverband des Handwerks möchte zumindest eine befristete Auskunftspflicht über den Impfstatus.
Aktuell sind hierzulande rund 67 Prozent der Bevölkerung einmal und nur 63 Prozent zweimal gegen das Coronavirus geimpft. Die Zahlen stagnieren seit geraumer Zeit mehr oder weniger. In vielen anderen Ländern Europas liegen die Quoten deutlich höher.
Diese Zahlen machen die Arbeitgeber immer nervöser. Sie wollen so schnell wie möglich zur Normalität vor der Corona-Krise zurückkehren, womit vereinfachte betriebliche Abläufe einhergingen. Die geringe Quote in Verbindung mit dem Recht, den Status der Immunisierung für sich zu behalten, macht es besonders in Unternehmen mit Kundenkontakt schwer, die Arbeit zu organisieren.
„Erst impfen, dann Döner“: Besondere Aktion in Berlin
Mit einer besonderen Aktion in Berlin soll den Bürgerinnen und Bürgern Appetit auf eine Corona-Impfung gemacht werden.
© Quelle: Reuters
So befürchtet etwa die Lufthansa, dass der Flugbetrieb zusammenbrechen könnte, wenn mehrere Länder mit wichtigen Destinationen im Zuge der Ausbreitung der Delta-Variante für die Einreise eine vollständige Impfung vorschreiben. Befürchtet wird, dass es dann Engpässe bei den Crews für die Kabine und fürs Cockpit geben könnte. In der Belegschaft soll es viel Sympathie für eine Impfpflicht oder zumindest eine Auskunftspflicht geben.
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagte indes der „Rheinischen Post“, fast jeder Vierte seiner Betriebe wisse nicht, ob alle Mitarbeitenden geimpft seien. Viele Aufträge müssten wegen dieser Unsicherheiten verschoben werden oder gingen ganz verloren. Wollseifer sprach sich auch für ein Ende der Lohnfortzahlung im Quarantänefall für ungeimpfte Beschäftigte aus.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hat schon mehrfach betont, dass der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz unterlaufen werde, wenn noch nicht einmal der Impfstatus abgefragt werden dürfe. Jetzt macht BDA-Präsident Rainer Dulger einen Vorstoß in eine andere Richtung. Er fordert neue Ansätze, „die das Impftempo beschleunigen“.
Das könne man regional unterschiedlich gestalten, sagte er der „Wirtschaftswoche“. Gäbe es in München Tickets für den FC Bayern, lasse sich wahrscheinlich die halbe Stadt piksen. Dulger machte klar, dass er auch eine Geldprämie begrüßen würde. Das sei die Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Unternehmen.
Die Sache mit den Geschenken als Gegenleistung für eine Immunisierung ist höchst umstritten. Bislang hat die Bundesregierung dies abgelehnt, auch aus Gerechtigkeitsgründen. Immer wieder ist bei Straßenumfragen zu hören, dass mit einer Prämie Impfmuffel oder sogar Zeitgenossen, die es bewusst auf Geld fürs Hinhalten des Oberarms anlegten, belohnt würden. Wer sich frühzeitig auch aus Solidarität die Dosen injizieren ließ, würde somit indirekt bestraft.
Hohe Impfquote bei Prämie von 500 Euro
Andererseits hat die Ökonomin Nora Szech kürzlich in einer Studie hochgerechnet, dass die Impfbereitschaft von 70 auf 80 Prozent der Bevölkerung steigen würde, wenn es für das Impfen 100 Euro gäbe. Würden sogar 500 Euro gezahlt, komme man sogar auf nahe 90 Prozent. Wobei zu bedenken ist, dass das Münchner Ifo-Institut den sozialen Wert einer vollständigen Impfung sogar auf 1500 Euro taxiert hat. Szech gehört zum Corona-Expertenkreis der Helmholtz-Gemeinschaft.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußerte sich am Freitag zunächst nicht zum Thema Impfprämien. Die Gewerkschafter haben bislang darauf gepocht, dass zuallererst der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz durch technische und organisatorische Maßnahmen gewährleistet sein müsse. Impfen sei kein Instrument des Arbeitsschutzes und könne diesen auch nicht ersetzen, hieß es kürzlich. Schließlich könnten Geimpfte wie Ungeimpfte das Virus übertragen.
Radikaler Schritt in Italien
Viele Beobachter gehen davon aus, dass Schritte zu einem deutlichen Erhöhen der Impfquote nach der Bundestagswahl angepackt werden könnten – weil alles, was getan werden kann, höchst kontrovers ist. In dieser Woche war aber bereits eine neue Regelung in Kraft getreten, dass zumindest Beschäftigte in Kitas, Schulen oder Obdachlosenunterkünften ihren Impfstatus preisgeben müssen.
Italiens Regierung hat indes die bislang härtesten Bestimmungen in puncto Impfen in Europa beschlossen. Alle Beschäftigten im privaten und öffentlichen Bereich müssen bald entweder eine Immunisierung oder negative Corona-Tests vorweisen. Wer vom 15. Oktober an kein Zertifikat vorzeigen kann, darf nicht mehr zur Arbeit in Büros, Behörden, Geschäften oder der Gastronomie kommen. Ministerpräsident Mario Draghi will damit Impfgegner umstimmen.
Dabei liegt Italien bei der Impfquote deutlich vor Deutschland. Rund 75 Prozent aller Menschen ab zwölf Jahren sind vollständig geimpft. Draghi setzte sein Dekret gegen massive Proteste von Gewerkschaften und rechten Parteien durch. Hierzulande wären derartige Maßnahmen nicht zulässig. Eine De-facto-Impfpflicht würde gegen das Grundgesetz verstoßen.