Kolumne „Chefinnensache“

Bei Diskussionen im Netz kennen wir kein Erbarmen

Im Netz sehen wir eher den Feind als den Mensch.

Im Netz sehen wir eher den Feind als den Mensch.

Berlin. Nach meinem Abitur 2014 war mein größter Wunsch, dass sich mehr junge Menschen für Politik interessieren. Nur wenige Jahre später ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen, mit einem Haken: Das Interesse an Politik hat zwar spürbar zugenommen, gleichzeitig ist aber die Toleranz für andere Meinungen gesunken.

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Eine politische Gesellschaft ist zweifelsfrei ein großer Gewinn für die Demokratie. Vor allem Diskussionen sind dabei ein wesentliches Gestaltungsinstrument. Aber in den letzten Jahren wich die Diskussion dem Streit: Wir diskutieren immer weniger, weil wir immer mehr streiten.

Seitdem wünsche ich mir nichts sehnlicher als eine liberalere Diskussionskultur, in der wir Menschen mit anderen Meinungen mit Respekt behandeln. Statt tiefsitzende Feindbilder aufzubauen, sollten wir das pluralistische Gemeinwesen wieder schätzen lernen – ein Grundelement unserer liberalen Demokratie.

Ziel sollte dabei nicht unbedingt sein alle Konflikte zu vermeiden, denn dieser Zustand lässt sich höchstens in Diktaturen erzwingen. Ziel sollte viel eher sein, das Gegenüber aufrichtig verstehen zu wollen: Von welcher Perspektive kommt der Mensch? Was sind seine Beweggründe? Dann kommt der wichtigste Teil, der am stärksten vernachlässigt wird: Echte Toleranz. Jemanden trotz seiner anderen Meinung zu akzeptieren. Wir sprechen so viel über Toleranz, aber sind teilweise nicht gut darin, tolerant zu sein, wenn‘s darauf ankommt.

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Die wenigsten Menschen bewegen sich außerhalb der Grundwerte, andere besitzen schlicht und ergreifend nicht die Fähigkeit, sich politisch korrekt zu äußern – ohne dabei eine böse Absicht zu haben. Aber gerade im Internet sind wir so erbarmungslos mit unseren Urteilen geworden und sehen den Feind schneller als den Mensch dahinter. Das baut Mauern auf und – im Zweifel – radikalisiert es. Aufeinander zuzugehen kann hingegen so viel mehr Positives bewirken. Es ist ein Zeichen von Freiheit und Zivilisation, mit Menschen diskutieren zu können, die anderer Meinung sind als man selbst. Und dass wir imstande sind, in Frieden streiten zu können.

Es liegt an jedem Einzelnen von uns, mit gutem Beispiel voranzugehen. Also, fangen Sie am besten gleich heute im Kleinen an: Zeigen Sie Ihrem Gesprächspartner aufrichtiges Interesse an seiner Meinung und versuchen Sie zu verstehen, wie die Meinung entstanden ist. Ich bin mir sicher, dass Sie andere damit anstecken können. Auch an Weihnachten.

Ich hoffe, wir sehen uns 2023 an irgendeiner Stelle wieder. Vielen Dank, dass Sie mich durch das Jahr begleitet haben – aber vor allem wünsche ich Ihnen nun vom ganzen Herzen eine besinnliche Weihnachtszeit.

Vivien Wysocki ist Gründerin des Modelabels saint sass, politisch engagiert und arbeitet als internationales Model. Sie studierte Medienmanagement in Hannover und lebt in Berlin. Im Wechsel mit anderen Autorinnen schreibt sie die RND-Kolumne „Chefinnensache“ über Gleichstellung, Digitalisierung und den weiblichen Blick auf die Wirtschaft. Alle bisherigen Beiträge finden Sie hier.

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