1000 Euro für jeden: Ökonomieprofessor erklärt, wie bedingungs­loses Grund­ein­kommen funktionieren kann

Thomas Straubhaar, Professor für Volks­wirt­schafts­lehre der Universität Hamburg, fordert: „Grundeinkommen jetzt!“ Das Buch ist bei NZZ Libro erschienen.

Thomas Straubhaar, Professor für Volks­wirt­schafts­lehre der Universität Hamburg, fordert: „Grundeinkommen jetzt!“ Das Buch ist bei NZZ Libro erschienen.

Hamburg. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens lässt Thomas Straubhaar schon lange nicht mehr los. Anders wird das Soziale in der Marktwirtschaft nicht zu retten sein, davon ist der Professor für Volkswirtschaft der Universität Hamburg überzeugt. Nach einem ersten Buch vor vier Jahren legt der Volkswirtschaftsprofessor der Universität Hamburg nun mit „Grundeinkommen jetzt!“ nach. Manchen gilt er damit als linker Fantast, anderen als beinharter Neoliberaler. Der 64-Jährige absolviert den Spagat in schweizerischer Gelassenheit.

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Zum Grundeinkommen scheint es nur zwei Meinungen zu geben: begeisterte Schwärmerei oder empörte Ablehnung. Warum ist das Thema so emotionsbeladen, Herr Straubhaar?

Das bedingungslose Grundeinkommen betrifft alle Sphären des Lebens: Familie, Rollenverständnis von Männern und Frauen, Bildung, Arbeit, Zuwanderung, Rente – da können alle mitreden, alle haben unmittelbare eigene Erfahrungen.

Nehmen Sie nur die vergangenen Monate, da haben alle ganz konkret erfahren, was unsere Zeit charakterisiert: Corona ist ein Parade­beispiel für Disruption. Eine Umwälzung, die niemand kontrollieren kann und gegen die es keine Versicherung gibt. Da haben Klein­unternehmer immer alles richtig gemacht – und stehen plötzlich trotzdem vor dem Nichts. Der Staat hat erst mal ohne große Bedingungen geholfen, das ist eigentlich Grund­einkommen pur.

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Corona hat Sie dazu gebracht, Ihr Konzept zu entwickeln?

Weiterzuentwickeln. Nach einem ersten Buch vor einigen Jahren gab es so viele Fragen, die ich im zweiten alle beantworten will. Mit dem Grund­ein­kommen befasse ich mich seit Jahrzehnten immer wieder. Zeitweise galt ich einigen in Deutschland ja als neoliberaler Vernichter des Sozialstaats. Aber gleichzeitig bin ich geprägt von meiner Zeit in Berkeley, einer linksliberalen Uni in Kalifornien.

Das Spannungsfeld von Markt­wirtschaft als bestes aller öko­nomischen Konzepte und sozialem Ausgleich ihrer Ergebnisse hat mich immer interessiert. Hier schließt sich gerade der Kreis meines Berufslebens. Wenn Sie so wollen: Wie kriegen wir Christian Lindner und Karl Marx in eine Linie? Das finde ich rasend spannend.

Dann versuchen wir es mal: Können Sie Ihr Modell in wenigen Sätzen erklären?

So schwer ist das nicht. Jeder Mensch, vom Baby bis zum Greis, bekommt 1000 Euro pro Monat – bedingungslos, das ist ganz wichtig. Gleichzeitig werden alle Einkünfte – unabhängig, ob als Arbeits- oder Kapital­ein­kommen, also Zinsen, Dividenden oder Tantiemen – einheitlich mit 50 Prozent besteuert. Auf der anderen Seite fallen alle Sozialbeiträge weg.

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Und alle Sozialleistungen werden durch das Grundeinkommen ersetzt? Rente, Kindergeld, Arbeitslosengeld …

Im Prinzip ja, mit einer Ausnahme: Für das Krankheits- und Pflegerisiko werden wir weiter eine Versicherung brauchen. Der Mindesttarif muss beim Existenzminimum berücksichtigt werden.

Jeder Mensch soll dieses Geld vom Staat bekommen – auch Millionäre?

Ja, aber alles entscheidend ist am Ende die Nettosteuerlast. Was der Millionär mit 50 Prozent seiner Einkünfte an Steuern bezahlt, muss mit dem Grund­ein­kommen, das auch er erhält, gegen­gerechnet werden. Das heißt: Erstens wird er weiterhin netto gewaltig Steuern zahlen und zweitens deutlich mehr als jemand, der kaum etwas verdient! Im Kern ist es eine große Steuerreform: Das Grund­ein­kommen ist praktisch eine vorweg­genommene Steuer­rück­vergütung, die durch Steuer­zahlungen auf alle Einkünften zu finanzieren ist.

Es ärgert mich maßlos, wenn Menschen behaupten, ein bedingungs­loses Grundeinkommen sei nicht finanzierbar.

Thomas Straubhaar,

Professor für Volkswirtschaftslehre

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Wie sind Sie eigentlich auf die 1000 Euro gekommen?

Alle Sozial­leistungen in Deutschland kosten im Jahr rund eine Billion Euro. Wenn Sie das durch 83,1 Millionen Einwohner – den heutigen Bevölkerungsstand – teilen, kommen Sie auf jährlich 12.000 Euro pro Kopf. Deshalb ärgert es mich maßlos, wenn Menschen behaupten, ein bedingungsloses Grund­ein­kommen sei nicht finanzierbar. Das ist schlicht falsch, in Wahrheit ist es ein Null­summen­spiel. Mit der einen Hand muss der Staat zwar die Brutto­steuern erhöhen, um mit der anderen Hand allen das Geld gleich wieder zurückzugeben. Netto bleibt damit alles unverändert. Allerdings verschiebt sich die Steuerlast tendenziell von der Arbeit zum Kapital­ein­kommen. Aber es gibt keinen ökonomischen Grund, das nicht zu tun.

Sie legen viel Wert darauf, dass das Grund­ein­kommen bedingungs­los sein muss. Warum wollen Sie Menschen Geld geben, die nicht arbeiten wollen? Eigentlich gilt doch das Prinzip „fordern und fördern“.

Ich drehe das um: Erst fördern, dann fordern. Natürlich wissen wir bei einer so grund­legenden Umwälzung nicht genau, wie die Menschen mit dieser Freiheit umgehen werden. Aber die meisten arbeiten nicht nur des Geldes wegen. Außerdem ist in meinem System der Anreiz viel größer als heute, etwas dazuzu­verdienen. Es wird nicht gleich alles von Sozial­beiträgen aufgefressen und auch nicht mit Sozial­leistungen verrechnet, die dann wegfallen. Übrigens gibt es schon ein bedingungs­loses Grundein­kommen: das Kindergeld. Es hat sich sehr bewährt, Kinder auf ihrem Lebensweg zu fördern und sie später entsprechend ihren Möglichkeiten zu fordern.

Warum brauchen wir einen so radikalen Systemwechsel? Der Sozialstaat funktioniert doch.

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Wir starren alle wie das Kaninchen auf die Schlange auf neue systemische Risiken. Die Finanzkrise 2008 war ein Vorgeplänkel, mit Corona haben es viele erstmals hautnah gespürt. Wir sehen eine Klimakrise kommen, in Afghanistan stoßen gerade Moderne und Altertum zusammen, das Verhältnis der USA zu China wird uns noch sehr beschäftigen, die Digitalisierung verändert unser Leben und revolutioniert die Arbeitswelt. Alte Muster helfen nicht mehr weiter. Die Menschen spüren das längst, und mit etwas Verzögerung wird es auch der Politik bewusst.

Im Wahlkampf merkt man davon wenig. Ihre Themen spielen dort keine große Rolle.

Ich bin heute viel hoffnungsfroher als vor vier Jahren. Wenn nach der Wahl wahrscheinlich drei Parteien einen Kompromiss finden müssen, wird es leichter sein, aus alten Mustern auszubrechen. Ansätze in dieser Richtung gibt es ja in den Partei­programmen. Das heutige Sozial­system ist für die Industrie­arbeit des 19. Jahr­hunderts gemacht. Es wird der Zukunft nicht gewachsen sein, und meine Sorge ist, dass dann der Rückhalt für die Demokratie und die soziale Markt­wirtschaft schwindet.

Was wird sich in der Arbeitswelt ändern?

Die Digitalisierung wirkt überall, und im Gegensatz zur industriellen Revolution wird sie nicht nur die handwerk­lichen Tätigkeiten betreffen, sondern auch die Schreib­tisch­arbeit – viele gut bezahlte, höher qualifizierte Jobs werden wegfallen.

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Haben wir das nicht schon oft vorausgesagt? Und trotzdem wird die Arbeit nicht weniger.

Wirklich? In den letzten 100 Jahren hat sich die Lebens­arbeits­zeit von 3000 auf rund 1500 Stunden ungefähr halbiert, allein seit dem Jahr 2000 ist sie um weitere 100 Stunden geschrumpft. Das ist ein starker anhaltender Trend. Und wieso sollten wir ihn bremsen? Es gibt so viele gesundheits­gefährdende und öde Arbeiten, die wir uns so weit wie möglich schenken sollten. Stattdessen sollten wir Dinge tun, wo der Mensch unverzichtbar ist – uns um Kinder und Alte kümmern, zum Beispiel.

Und wer schafft die Werte, um Grund­ein­kommen zahlen zu können?

Ja, ja: Wert entsteht nur, wenn einer schwitzt – das ist wieder dieser Irrtum aus der marxschen Sicht auf die Industrie­welt. Deshalb taten sich die sozialistischen Staaten so schwer mit Dienst­leistungen, die wurden gar nicht zur Wirtschafts­leistung gezählt. Heute sind die profitabelsten und wertvollsten Unternehmen Internet­konzerne mit vergleichsweise wenigen Beschäftigten.

Das heißt, die Digitalisierung schafft das Problem, finanziert aber auch die Lösung?

Genau! Wir dürfen die Digitalisierung nicht verlangsamen, im Gegenteil. Das wird es schwerer machen, den Sozialstaat zu finanzieren. Außerdem würde es nicht funktionieren. Andere Länder, zum Beispiel China, zögern nicht, künstliche Intelligenz einzusetzen. Und ich kenne keine Technologie, die wieder zurück in die Box gesperrt werden konnte. Mit dem bedingungs­losen Grund­ein­kommen will ich den Menschen die Angst vor Veränderung nehmen, die so oder so kommen wird.

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Machen Sie es den Unternehmen nicht ein bisschen zu leicht? Die können sich aus der Verantwortung für ihre Leute stehlen und bei der Kündigung sagen: Ist doch kein Problem, die sind ja versorgt.

Sie werden flexible, lernfähige und veränderungs­willige Mitarbeiter brauchen. Und dafür ist die Sicherheit eines bedingungs­losen Grund­ein­kommens eine wichtige Voraussetzung. Ein Arbeitsleben wird nicht mehr so geradeaus verlaufen wie in der Vergangenheit. Es wird mehr Jobwechsel geben, Zeiten der Selbst­ständig­keit, Lernphasen und auch Arbeits­losig­keit während der Suche nach einer neuen Arbeit.

Das Grundein­kommen ist das Sicherheits­netz, um etwas zu riskieren?

Es ist eher das Trampolin, um hochzuspringen. Damit sich das Risiko lohnt. Das Grundein­kommen ist nichts für Romantiker. Wir sind in der Transformation von einer arbeits­intensiven zu einer kapital­intensiven Wirtschaft – zu Letzterer gehört auch das Humankapital, also das Wissen um moderne neue Technologien. Und genau das müssen wir auch hinbekommen, um überlebensfähig zu sein.

Wir leben in der großartigsten aller Zeiten!

Thomas Straubhaar,

Professor für Volkswirtschaftslehre

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Sie beschreiben eine Welt voller Risiken, einen schwierigen Arbeitsmarkt und sind doch bester Dinge für die Menschen. Wie geht das zusammen?

Wir leben in der großartigsten aller Zeiten! Wir können Wohlstand erwirtschaften, ohne ein Leben lang hart körperlich schuften zu müssen. Es wird uns der Druck genommen. Ist das nicht wunderbar?

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