Bahnstreik: Einigt euch endlich!
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Sie sind Weselskys Stütze: Ein Lokführer sitzt am Berliner Hauptbahnhof in seinem Führerstand. Bald streikt er wieder.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Berlin. Claus Weselsky beruft sich aufs Grundgesetz. Artikel neun gibt dem streikfreudigen Chef der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL) recht. Natürlich darf eine Tarifauseinandersetzung durch Arbeitskämpfe geführt werden, natürlich dürfen seine Lokführerinnen und Lokführer auch ein zweites Mal in den Ausstand treten. Und selbstverständlich ist es legitim, eine Drohkulisse aufzubauen und auch längere Streiks, auch über die Wochenenden, als nächste Eskalationsstufe in der Hinterhand zu behalten.
Die Ankündigung zur aktuellen zweiten Streikrunde nimmt immerhin Rücksicht auf die Fahrgäste: Drei Tage Vorlauf im Personenverkehr, ein Sommerferien-Reisewochenende ausgespart – selbst der Fahrgastverband Pro Bahn reagiert erleichtert auf die vergleichsweise rücksichtsvolle Streikregie des knorrigen GDL-Herrschers.
Aber dennoch ist dieser zweite Streik eine Frechheit, mehr noch als die erste Arbeitsniederlegung vergangene Woche. Wieder einmal nimmt die GDL Millionen Fahrgäste als Geiseln. Wieder tut sie das während der Ferien in der Mehrheit der Bundesländer. Vor allem: Wieder einmal sorgt sie für überfüllte Züge und Ersatzbusse, während sich die vierte Corona-Welle unaufhaltsam aufbaut.
GDL kündigt Streiks im Personenverkehr für Montag bis Mittwoch an
Zweite Streikrunde bei der Deutschen Bahn: Die Lokführer-Gewerkschaft GDL will wieder weite Teile des Personen- und Güterverkehrs lahmlegen.
© Quelle: dpa
Bundesgesundheitsguru Karl Lauterbach, der vor steigenden Infektionen durch den Streik warnte, wird von Weselsky abgekanzelt und lächerlich gemacht. Für einen Sozialdemokraten wie Lauterbach sollten reale Arbeitskämpfe vor theoretischen Gesundheitsrisiken stehen, zumal habe die Bahn ja in Studien nachweisen lassen, dass die Fahrt mit Maske auch in vollen Zügen sicher sei.
Wer am Montag auf seinen Notfahrplan wartet, kann sich diese Argumentation ja mal durch den Kopf gehen lassen – und versuchen, ruhig zu bleiben.
Weselskys eigener Geduldsfaden ist derart kurz, dass er sich fragen lassen muss, ob er wirklich an Verhandlungen über einen Tarifvertrag interessiert ist – oder eben doch vorrangig das Überleben seiner Gewerkschaft im Sinn hat.
Viel Gegenwind für Weselsky
Letzteres wirft ihm nicht nur das Bahn-Management vor. Der GDL „gehe es um etwas anderes als um Lösungen. Sie will bei der Bahn in Bereiche, in denen sie bislang kaum Mitglieder hat“, glaubt Personalvorstand Martin Seiler. Auch Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, fordert Weselsky zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Nur dort würden Ergebnisse erzielt.
Auch diese Drehung ist bisher einmalig: Ein Gewerkschaftsboss ruft einen anderen zum Streikverzicht auf. Weselsky sieht sich als Kämpfer für die Gewerkschaftsbewegung generell, er weist nur zu gerne darauf hin, dass er mit 3000 Neueintritten den Organisationsgrad bei der DB in den vergangenen Monaten erhöht habe – nur ein Viertel sei von der größeren Eisenbahnergewerkschaft EVG abgeworben worden.
Doch zugleich nennt Weselsky die EVG nur noch sarkastisch „Einkommensverminderungsgesellschaft” – klar, dass deren Dachverband DGB da nicht gut auf den Lokführerboss zu sprechen ist.
Weselsky spaltet bewusst. Er wirbt darum, die „ehrenwerten Berufe“ bei der DB zu vertreten – und die „nicht ehrenwerten“ sind seinen Worten nach die 3500 Führungskräfte des Konzerns, die nur schweren Herzens für ein Jahr auf ihre Boni verzichteten. Natürlich gehört etwas Klassenkampf zur Gewerkschaftsrhetorik, Weselsky aber trägt dazu bei, die Stimmung im Staatskonzern nachhaltig zu vergiften.
Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die DB der GDL kein neues Angebot auf den Tisch legt. Bei den finanziellen Forderungen sind beide nicht mehr weit voneinander entfernt. Den tariflichen Teil des Konflikts zu lösen, könnte Weselskys Streikexpress aufs Abstellgleis lenken.
Nicht nur die GDL hat es in der Hand, dass es keine dritte Streikrunde gibt. Einen langen Streik zu vermeiden, ist in der vierten Welle oberste Pflicht aller Beteiligten.