Autodoc: Feiert Berlins ungewöhnlichstes Start-up bald sein Börsendebüt?

Alexei Erdle (links) und Christian Gisy von Autodoc.

Alexei Erdle (links) und Christian Gisy von Autodoc.

Berlin. Diese Geschichte beginnt mit einem Gefühl, das viele Autofahrer gut kennen: Ärger. 60 Euro will die Kfz-Werkstatt von Vitalij Kungel haben – für den Einbau einer Glühbirne. „Das muss doch billiger gehen“, denkt sich der Betriebswirt und recherchiert im Netz. Zwei Dinge findet er heraus. Erstens: So ein Birnchen kostet im Großhandel weniger als fünf Euro. Zweites: Es gibt im deutschsprachigen Netz kaum Ersatzteilhändler, die Privatpersonen beliefern.

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Kungel erzählt zwei Bekannten davon. Der eine, Max Wegner, ist IT-Spezialist. Der andere, Alexej Erdle, ist Kfz-Mechaniker. Alle drei sind wolgadeutsche Einwanderer, die im Kindesalter aus Sibirien nach Berlin gekommen sind. Zusammen beschließen sie, selbst einen Onlinehandel für Kfz-Teile aufzuziehen. Die 25.000 Euro für die Gründung einer GmbH kratzen sie zusammen, im Mai 2008 geht die erste Webseite live: www.pkwteile.de.

„Wir waren jung und haben nicht viel nachgedacht“, sagt Alexej Erdle rückblickend. „Wir haben damals einfach gemacht.“

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Heute, 13 Jahre später, zählt das inzwischen in Autodoc umbenannte Unternehmen zu den wichtigsten Online­handelshäusern Deutschlands. Rund vier Millionen Ersatz- und Zubehörteile hat Autodoc inzwischen im Sortiment. Von der Bremsscheibe bis zur Lenkstange ist alles dabei.

842 Millionen Euro hat die Firma im Jahr 2020 gruppenweit umgesetzt, 230 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Rund 5,5 Millionen Autofahrer und Schrauber aus 27 europäischen Ländern haben im vergangenen Jahr mindestens eine Bestellung aufgegeben. An den Standorten in Berlin, Odessa, Chişinău, Stettin und Nowosibirsk arbeiten derzeit rund 4.600 Beschäftigte.

Im Gegensatz zu den meisten Start-ups war Autodoc innerhalb kürzester Zeit profitabel. Kredite, Finanzierungsrunden, Business-Angels? „Haben wir alles nie gebraucht und nie gehabt“, sagt Erdle.

Die ersten zwei bis drei Jahre haben die Gründer auf Gewinnausschüttungen verzichtet und einmal ein paar Tausend Euro nachgeschossen, weil Geld für Verpackungsmaterial fehlte – das war es. Seither hat die Firma das Geld für ihr rasantes Wachstum stets selbst verdient.

Regierung legt Milliarden-Hilfsfonds für Startups auf
Bundesfinanzminister Olaf Scholz, SPD, und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, geben nach einer Kabinettssitzung ein Statement zu neuen Hilfen in der Corona-Krise ab. Berlin, 01.04.2020 Berlin Deutschland *** Federal Finance Minister Olaf Scholz, SPD, and Federal Economics Minister Peter Altmaier, CDU, make a statement after a cabinet meeting on new aid in the corona crisis from Berlin, 01 04 2020 Berlin Germany Copyright: xThomasxImo/photothek.netx

"Unsere Wirtschaft lebt davon, dass immer wieder Neues entsteht", sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch in Berlin nach einer Kabinettssitzung.

Das Geheimnis des Erfolges: Auf teure Vorfinanzierung oder Lagerhaltung von Waren hat Autodoc weitgehend verzichtet. „Wir haben die Teile auf unserer Webseite angeboten und sie immer erst dann beim Lieferanten geordert, wenn unsere Kunden bestellt und bezahlt hatten“, sagt Erdle.

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Im Prinzip arbeitet die Firma immer noch so. Zwischen 70 und 80 Prozent des Geschäfts werden im Just-in-Time-Prinzip abgewickelt, schätzt der Chef.

Mit den gängigen Klischees der Start-up-Szene bricht das Unternehmen bewusst. Lounge-Areas, Feelgood-Manager und Kühlschränke mit Karottensticks sucht man bei Autodoc vergebens, in der Unternehmenszentrale in Berlin-Lichtenberg steht nicht mal ein Tischkicker.

„Autodoc verzichtet sehr bewusst auf den üblichen Start-up-Schnickschnack und konzentriert sich stattdessen auf das Geschäft“, sagt Co-Chef Christian Gisy, der erst seit einigen Wochen an Bord ist. „Die betonte Nüchternheit und Bodenhaftung der Gründer hat mich von Anfang an beeindruckt.“

Neuer Co-Chef könnte Börsengang vorbereiten

Der Einstig Gisys, der früher Finanzchef bei Immobilienscout 24 war, hat in der Branche für Wirbel gesorgt. Gisy gilt als Fachmann für Kapitalmärkte, viele Beobachter vermuten deshalb, dass Autodoc an die Börse strebt. Die US-Großbanken Goldman Sachs und JPMorgan sollen den Börsengang begleiten, heißt es. Fragt man Gisy und Erdle danach, lächeln die beiden nur – und dementieren nicht.

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Eine Bewertung von bis zu zehn Milliarden Euro könne der Onlinehändler anstreben, meldete die auf Wirtschaftsnachrichten spezialisierte Agentur Bloomberg im April. Bei Reuters war Anfang Juli von einer Bewertung um die fünf Milliarden Euro die Rede. Selbst damit würde Autodoc mehr als eine Milliarde Euro einsammeln, wenn das Unternehmen die üblichen 25 Prozent an die Börse bringt. In Deutschland haben in diesem Jahr erst wenige Börsenneulinge so viel Geld eingesammelt.

Bislang gehört das Unternehmen vollständig den drei Gründern. Max Wegner und Alexej Erdle halten jeweils 45 Prozent der Anteile, Vitalij Kungel besitzt 10 Prozent. Dass die drei Kasse machen und bei Autodoc ausscheiden könnten, schließt Alexej Erdle aus. „Wir stehen voll hinter dem Unternehmen und werden dieses weiterentwickeln“, kündigt er an.

Sie haben noch viel vor. „Der Markt für Kfz-Ersatzteile funktioniert in weiten Teilen immer noch wie vor 20 Jahren, die richtige Onlinedisruption hat noch gar nicht stattgefunden“, sagt Gisy.

Eine unabhängige Quelle schätzt den europäischen Autoersatzteilemarkt auf derzeit 65 Milliarden Euro. Nur 6 bis 7 Prozent werden online abgewickelt. „Das läuft bislang alles über Großhändler, das nehmen wir uns jetzt erst vor“, kündigt der Co-Chef an. „Das Wachstumspotenzial ist riesig.“

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