„Wir müssen den Flieger komplett leer machen“ – Flixtrain-Chef Schwämmlein über den Koalitionsvertrag
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André Schwämmlein, Gründer von Flixmobility, vor einem seiner Flixtrains.
© Quelle: dpa
Berlin. Herr Schwämmlein, die Corona-Lage eskaliert bundesweit. Befürchten Sie, dass es noch mal dazu kommt, dass Sie den Betrieb einstellen?
Wir orientieren uns an den politischen Vorgaben und an der Nachfrage. Wir steuern unser Netz ausschließlich kundenorientiert. Wir haben gezeigt, dass wir relativ schnell reagieren können. Das werden wir auch diesmal wieder tun. Prognosen über längere Zeiträume gebe ich allerdings nicht mehr ab. Bus und Bahn sind auch in der Pandemie sichere Verkehrsmittel. Es ist wichtig, dass die Menschen auch reisen können, wenn sie kein eigenes Auto haben. Dennoch ist die Entwicklung der Pandemie sehr bedenklich.
3G in Bus und Bahn wird Pflicht – wie wollen Sie das kontrollieren?
Wir werden 3G, wie wir das in anderen Ländern bereits machen, natürlich gemäß den Vorgaben umsetzen und die Einhaltung stichprobenartig kontrollieren. Wenn sich jemand weigert, müssen wir diesen Fahrgast von der Fahrt ausschließen. Wenn es Streitfälle gibt, rufen wir die Bundespolizei – auf deren Unterstützung setzen wir zudem auch bei den Kontrollen. Das kann unser Fahrpersonal nicht austragen. Aber wir haben die Erfahrung aus anderen Ländern, dass sich die meisten Fahrgäste daran halten.
3G in Bus und Bahn: Ab heute gelten schärfere Regeln
Geimpft, genesen oder getestet: Ab diesem Mittwoch gilt auch in Bussen und Bahnen die 3G-Regel.
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Fahren Sie persönlich eigentlich lieber Bahn oder Fernbus?
Es kommt auf die Strecke an. Ich fahre sehr gern Bus, von München zum Beispiel mit dem Nachtbus nach Wien oder Budapest. Nach Frankfurt, Köln oder Berlin nehme ich lieber den Flixtrain. Ich bin da so wie unsere Kunden. Je nachdem, welches Produkt gerade für den Fall besser passt, nutze ich dann das eine oder das andere. Schlafen kann ich im Bus besser, auch tagsüber.
Wenn Sie vom Schlafen sprechen: Bisher fährt ein einziger Flixtrain nachts, aber nur mit Sitzwagen. Europaweit feiert der Nachtzug ein Comeback. Wollen Sie in das Geschäft mit Liege- und Schlafwagen einsteigen?
Nachtzüge mit Schlafmöglichkeiten sind ein schönes Produkt. Aber sie sind aktuell ein Produkt in der Nische und werden es auch auf Jahre bleiben. Ein eigenes Schlafwagenabteil ist eher die Business-Class des Reisens, damit bekommen wir nicht viele Fahrgäste vom Flugzeug weg. Die Verkehrswende funktioniert nur, wenn wir viele Menschen zum Umsteigen bewegen. Dafür braucht es Economy-Angebote. Und die bieten wir mit unseren Zügen. In Schweden fahren wir zwischen Stockholm und Göteborg in knapp dreieinhalb Stunden. Da konkurrieren wir direkt mit Ryanair. Das muss unsere Ambition im Sinne der Umwelt sein, dass wir den Flieger komplett leer machen. In Deutschland muss es ebenso gehen.
Sind Nachtzüge denn überhaupt wirtschaftlich zu betreiben? Ihre privaten Konkurrenten versuchen es – das tschechische Unternehmen Regiojet will ab kommendem Jahr von Prag über Berlin nach Amsterdam und Brüssel über Nacht fahren. Kann das gelingen?
Nachtzüge müssen kein schlechtes Geschäft sein. Ein Privater kann das hinbekommen. Die Staatsbahnen haben es nicht hinbekommen, auch die österreichischen ÖBB halten ihren Nightjet nur mit Querfinanzierung und Subventionen am Markt.
Ab Mitte Dezember fahren Sie mit dem Flixtrain zehn neue Städte an, ab dem Frühjahr 20 weitere. Bisher fahren Sie mit gemieteten renovierten Waggons, die meisten davon haben keine Klimaanlage. Spendieren Sie für die neuen Strecken neue Züge?
Wir werden mehr Züge auf den Gleisen haben, es wird, wie jetzt auch, einen garantierten Sitzplatz geben. Auch die neuen Züge bestehen aus komplett modernisierten Wagen, und ich bin davon überzeugt, das ist ein gutes Produkt. Das Thema Klimaanlage ist das Einzige, was sich in diesen Zügen leider nicht lösen lässt.
Wie schwierig war es, die neuen Strecken zu bekommen? Von der DB ist immer zu hören, das Netz sei voll.
Ich beginne wieder mit Schweden: Da ist es viel einfacher, Strecken anzumelden, die Transparenz ist größer. Die DB sagt seit Jahren, das Netz sei voll, aber bringt ständig neue ICE-Verbindungen auf die Strecke. Wir haben dazugelernt und es ist einfacher geworden, neue Züge anzumelden. Aber was dieses Land für die Verkehrswende braucht, ist eine Organisation, die die Infrastruktur anbietet, die vor allem dafür sorgt, dass mehr Züge fahren. Egal, welche Farbe sie haben. Zurzeit ist der DB Netz, die die Infrastruktur betreibt, die Farbe der Züge eben nicht egal. Und die zweite Dimension ist selbstverständlich, dass in Infrastruktur investiert werden muss. Das ist auch politischer Wille. Und es muss transparent passieren. Das Geld muss direkt für die Infrastruktur fließen und darf nicht im Konzern versickern.
Der Konzern Deutsche Bahn bleibt erhalten, die Infrastruktur wird gemeinwohlorientiert und innerhalb der DB eigenständig. Wird nun alles besser?
Wir wünschen uns einen unabhängigen Netzbetreiber, der nur ein Interesse hat: dass möglichst viele Züge fahren. Die neue Bundesregierung greift mit dem Koalitionsvertrag wichtige Mobilitätsthemen auf. Der Einstieg in eine eigenständige Bahninfrastruktur, die Aussicht nach attraktiven Haltestellen im Fernverkehr sind Vorsätze mit Signalwirkung. Diesen müssen nun Taten folgen. Andererseits muss ich mich natürlich fragen, warum die Luftfahrt in einem Koalitionsvertrag so viel Raum einnimmt, während der Fernbus als nachhaltigster Verkehrsträger wiederholt keine Berücksichtigung findet. Und dass dauerhaft niedrige Trassenpreise lediglich lose in Aussicht gestellt werden, obwohl das der wichtigste Hebel für die ehrgeizigen Fahrgastziele der Politik ist, verstehe ich ehrlich gesagt nicht.
Wie viele unterschiedliche Farben von Zügen erwarten Sie denn in fünf Jahren?
Wenn die Rahmenbedingungen richtig sind, wird es mehr Wettbewerb geben. Nicht nur das Weiß der DB und unser Grün, sondern auch andere Farben. Deswegen ist die Diskussion auch so intensiv, weil die DB das natürlich auch weiß. Das wird grundsätzlich positiv für den Markt sein.
Wie viel kann der neue Verkehrsminister denn wirklich für die Verkehrswende in Deutschland bewirken?
Es gibt zwei große Themen, die wir angehen müssen. Wir müssen Individualverkehr und kollektiven Verkehr besser balancieren. Die unendlich vielen Subventionen für den Individualverkehr, die alle historisch bedingt sind und keinerlei Sinn machen, müssen fallen, von der Pendlerpauschale bis hin zu den lächerlich geringen Preisen für das Anwohnerparken in Innenstädten. Das stammt alles aus den 1960er-, 1970er-Jahren, als man dachte, das Auto ist die Lösung für alle Probleme. Ein neuer Verkehrsminister hat die Chance, wirklich etwas zu verändern.