Wie schaltet man ein Atomkraftwerk ab?
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Das Kernkraftwerk Neckarwestheim.
© Quelle: Bernd Weißbrod/dpa
Der 15. April wird für Jörg Michels und seine Belegschaft ein besonderer Tag sein. Blumen oder Sekt wird es trotzdem nicht geben. Michels ist Geschäftsführer der Kernkraftsparte der EnBW, die das Kernkraftwerk Neckarwestheim II betreibt. Am 15. April geht es endgültig vom Netz, nachdem es drei Monate im verlängerten Betrieb war. „Für uns hat der Ausstieg schon vor langer Zeit begonnen, den 15. April werden wir dann ganz professionell angehen“, erklärt Michels.
Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kraftwerks wird ein Teil der Arbeiten, die zur Stilllegung nötig sind, Routine sein. Sie haben die Anlage seit ihrer Inbetriebnahme 1989 immer wieder heruntergefahren, vor allem um die Brennelemente im Reaktor auszutauschen. So ähnlich war es auch Ende vergangenen Jahres: Das Kernkraftwerk hätte damals schon außer Betrieb gehen sollen. Die Bundesregierung entschied sich aber dafür, drei Kraftwerke am Netz zu lassen, um die Energieversorgung sicherzustellen. Die Brennelemente im Kraftwerk wurden dann in einer kurzen Phase des Stillstands umgruppiert. Ab dem 19. Januar erzeugte Neckarwestheim II mit rund 70 Prozent der Maximalleistung wieder Strom.
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Neutronen müssen abgefangen werden
Das Vorgehen Ende 2022 und am 15. April wird sich in den ersten Schritten gleichen: Die Kernspaltung muss beendet werden. Die benötigt im Reaktor Neutronen, die die Kettenreaktion am Laufen halten. Um die Zahl der Neutronen zu senken, fahren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sogenannte Steuerelemente zwischen die Brennstäbe. Die Steuerelemente fangen Neutronen ab und bringen somit die Spaltung zum Erliegen. Um den Prozess zu unterstützen, wird außerdem Borsäure ins Reaktorbecken gegeben.
Wenn die Zahl der Neutronen sinkt, wird kein Uran mehr gespalten. Das Material strahlt aber weiter radioaktiv. Außerdem herrschen in der Anlage immer noch hohe Temperaturen von rund 290 Grad. Vergleichen lässt sich das mit einem Ofen: Auch wenn er ausgeschaltet ist, kann man sich immer noch für einige Zeit an ihm verbrennen. Deshalb wird über wenige Tage hinweg der Reaktor auf rund 50 Grad abgekühlt.
Generator wird vom Stromnetz gekappt
Bei der endgültigen Abschaltung von Neckarwestheim II wird es aber einen zusätzlichen – und entscheidenden – Schritt geben, erklärt Geschäftsführer Michels: Die Belegschaft kappt den Generator, der über heißen Dampf angetrieben wird und Strom erzeugt, vom Stromnetz. Wann genau das am 15. April geschehen wird, ist noch offen und wird sich voraussichtlich erst am Tag selbst klären.
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© Quelle: Reuters
In der Folge wird der Rückbau des Kraftwerks beginnen. Dafür braucht der Betreiber EnBW die Genehmigung des Umweltministeriums Baden-Württemberg. Sie steht noch aus, Michels erwartet sie aber vor dem Tag der Abschaltung. Eingeleitet wird der Rückbau damit, dass die verbliebenen 193 Brennelemente in ein Abklingbecken gebracht werden. Damit sind bereits rund 99 Prozent der Strahlung aus dem Reaktor entfernt. Die Radioaktivität dort wird weiter verringert, indem der Reaktor chemisch gereinigt wird. So bleibt kaum noch Strahlung übrig, laut Michels ist zudem ein großer Teil davon in Baumaterial gebunden.
Jeder Schnitt ist vorgeplant
Die erste größere Baustelle wird es dann voraussichtlich sein, die Leitungen für die Kühlung zu entfernen. Der Druckbehälter, aus dem die Brennelemente entfernt werden, wird nach Angaben von Michels Ende 2023 oder Anfang 2024 abgebaut werden. „Jeder Schnitt ist genau vorgeplant, das ist wirklich Detailarbeit“, sagt Michels. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kraftwerks werden dafür weiter im Einsatz sein – außer denjenigen, die nur für den verlängerten Betrieb ihren Renteneintritt verschoben hatten.
Im Kraftwerk Neckarwestheim I, das EnBW seit 2017 zurückbaut, wurden schon weitere Teile entfernt, zum Beispiel die Turbinen. Der gesamte Rückbau wird sich wahrscheinlich über Jahrzehnte strecken. Außerdem kann ein Teil des Materials nicht einfach entsorgt werden, weil es noch strahlt. Es muss dann ebenso wie die Brennelemente in sicheren Castorbehältern in das Zwischenlager Neckarwestheim gebracht werden. Wo die Abfälle endgültig lagern werden, ist aber noch offen – die Endlagersuche in Deutschland hatte noch keinen Erfolg.