Trotz Rekordjahr 2019: Warum braucht Adidas einen Milliardenkredit?
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Ein Passant mit Mundschutz vor einer geschlossenen Filiale des Konzerns Adidas. Der wollte aufgrund der Coronakrise Mietzahlungen verweigern - und stieß damit auf öffentliche Kritik.
© Quelle: imago images/Future Image
Vor knapp vier Wochen schien die Welt in Herzogenaurach noch in Ordnung: Zwar werde die Hauptversammlung wegen der Corona-bedingten Versammlungsverbote verschoben. Doch im Hinblick auf die Wachstumsaussichten sei man “nach wie vor äußerst zuversichtlich”, teilte Sportartikel-Gigant Adidas am 19. März mit. Da lag der Ausbruch des Coronavirus in Europa gerade drei Wochen zurück - und in der Bundesliga wurde darüber debattiert, ob Anfang April schon der Spielbetrieb weitergehen könnte. Eine Illusion, wie man heute in der ganzen Bundesrepublik weiß.
Als Illusion hat sich auch der damals optimistische Geschäftsausblick von Adidas entpuppt. Man könne die Krise nur durchstehen, wenn frisches Geld fließe, hatte Adidas-Vorstandschef Kaspar Rorsted Anfang April gesagt. Der Sportartikelhersteller erwog öffentlich, einen Förderkredit zu beantragen, um die Krise durchzustehen. Und seitdem schnallt Adidas den Gürtel enger: Das lange geplante Aktienrückkauf-Programm ist gestoppt, die Managementbezüge werden gekürzt, Dividenden ausgesetzt, Kurzarbeit ist angeordnet und im Unternehmen wird sowieso gespart.
“Wir tun unser Möglichstes, um das langfristige Wohlergehen von Adidas, unseren 60.000 Mitarbeitern sowie unseren Partnern sicherzustellen”, teilte Adidas am Dienstag mit. Da hatte die Bundesregierung gerade einen insgesamt drei Milliarden Euro schweren Hilfskredit genehmigt. „Die aktuelle Situation stellt sogar gesunde Unternehmen vor ernsthafte Herausforderungen“, betonte Rorsted außerdem.
Auf den ersten Blick eine Überraschung
Im Fall von Adidas überrascht das auf den ersten Blick: Im Rekordjahr 2019 hatte Adidas noch gut zwei Milliarden Euro Gewinn erwirtschaftet - was dem Unternehmen zuletzt zahlreiche Kritiker vorgehalten hatten, als es ankündigte, in Deutschland keine Ladenmieten mehr zu zahlen. Für den wohl etwas kopflosen Schritt hat sich Adidas mittlerweile entschuldigt, die Mieten sollen weiterhin beglichen werden.
Gewaltige Umsatzeinbußen
Doch gleichzeitig lassen sich die finanziellen Belastungen für Adidas allmählich beziffern. In zahlreichen Ländern gebe es seit vier Wochen erhebliche Einschränkungen für Geschäfte, “infolgedessen sind die stationären Groß- und Einzelhandelsaktivitäten in diesen Märkten, die sonst 60 % des Geschäfts des Unternehmens ausmachen, zum vollständigen Erliegen gekommen", heißt es bei Adidas.
Der Rest ist Mathematik: Bei einem Jahresumsatz von 22 Milliarden Euro ergibt sich in vier Wochen eine Umsatzeinbuße in Höhe von etwa einer Milliarde Euro. Rechnerisch ist die Hälfte des Vorjahresgewinns also schon wieder weg. Schließlich fallen weiterhin Kosten für bestellte und gelieferte Waren, Personal und Ladenmieten an.
Wie viel Geld nötig ist, ist unklar
Und mögliche weitere Belastungen wegen verlängerter Lockdowns und einer geringeren Nachfrage wegen der heraufziehenden Wirtschaftskrise sind da ebensowenig eingepreist, wie Schäden durch lahmliegende Lieferketten oder die Folgen abgesagter Sport-Großveranstaltungen wie Olympia. Zugleich gibt es Lichtblicke, etwa das wieder anlaufende Geschäft in China. Wie groß die Einbußen und damit auch der Bedarf an frischem Geld wirklich wird, steht deshalb noch nicht fest.
Das weiß man offenbar auch bei Adidas. Das Unternehmen betont, es handele sich bei den nun genehmigten Geldern um einen sogenannten revolvierenden Konsortialkredit. Die KfW und die beteiligten Hausbanken bieten lediglich einen Kreditrahmen zu festen Konditionen an. “Die Kreditvereinbarung sieht keine automatische Auszahlung von Finanzmitteln vor und enthält auch keine Verpflichtung, die zur Verfügung gestellten Finanzmittel in Anspruch zu nehmen”, sagt Adidas. Im Klartext: Ob die gesamten drei Milliarden Euro genutzt werden, bleibt abzuwarten.
Ganze Textilbranche in Aufruhr
Ein Indiz ist allerdings die Stimmung in der restlichen Textilbranche, zu der Adidas gehört. Zwar stellen viele betroffene Unternehmen - darunter auch Adidas - längst improvisierte medizinische Schutzausrüstung her. Doch Insider glauben kaum, dass die so generierten Einnahmen die aktuellen Schäden abfedern können. Die Umsätze etwa bei Bekleidungsunternehmen seien um 85 Prozent eingebrochen, ein Fünftel aller Unternehmen halte die Krise nur noch maximal zwei Wochen durch, heißt es beim Textil-und-Mode-Verband.
Dessen Hauptgeschäftsführer Uwe Mazura hofft deshalb auf eine baldige Wiedereröffnung auch von Mode- und Sportgeschäften. Viele Unternehmen würden mit Hilfskrediten und Stundungen von Steuern und Sozialabgaben über Wasser gehalten - was sie aber zurückzahlen müssten. “Deshalb rutschen sie mit jedem weiteren Tag des Shutdowns erst in die Überschuldung und dann in die Insolvenz”, so Mazura gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Auch Puma braucht Hilfe
Auch der fränkische Lokalrivale Puma und weltweit immerhin drittgrößte Sportartikelhersteller braucht Staatshilfe. „Wir ergreifen Maßnahmen zur Sicherung zusätzlicher Finanzierung“, erklärt das Unternehmen auf Anfrage. Dazu greife man auf ein Bankenkonsortium und die KfW zurück, um mehr Liquidität zu marktüblichen Finanzierungskonditionen bereitstellen zu können. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Puma nach dem Vorbild von Adidas einen Notkredit erhält, heißt das. Angeblich geht es bei Puma um einen dreistelligen Millionenbetrag, was mit der im Vergleich zu Adidas geringeren Unternehmensgröße korrespondiert.
Adidas steht vergleichsweise gut da
Zumindest für Adidas besteht indes Anlass zur Hoffnung. Man werde alle in Anspruch genommenen Kredite samt Zinsen und Gebühren zurückzahlen, kündigte Adidas an. Das trauen offenbar auch Analysten dem Sportartikelhersteller zu. Die Corona-Krise mache in der Branche zwar erhebliche Einschnitte nötig. Langfristig gestalte sich die Lage aber aussichtsreich, schrieb in der vergangenen Woche etwa HSBC-Analyst Erwan Rambourg.
Die britische Investmentbank sprach deshalb eine Kaufempfehlung für Adidas-Aktien aus. Das Kursziel senkte HSBC allerdings von 330 auf 280 Euro. Davon sind die Adidas-Papiere derzeit weit entfernt. Aktuell notiert die Aktie bei gut 220 Euro. Auftrieb erhielt sie durch die Genehmigung des Hilfskredits am Dienstag nicht.