Abgesagte Osterruhe: Die Wirtschaft ist erleichtert
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach massiver Kritik entschieden, den Bund-Länder-Entscheid zur sogenannten Osterruhe zu stoppen.
© Quelle: Patrick Seeger/dpa
Aus Sicht der Chemiearbeitgeber ist die Sache mit der sogenannten Osterruhe klar: „Der ursprünglich geplante komplette Lockdown der Industrie hätte nicht nur ein unübersehbares Chaos mit schwerwiegenden Folgen erzeugt, sondern hätte auch kaum dem Infektionsschutz gedient“, sagte Sebastian Kautzky, Sprecher des Chemie-Arbeitgeberverbands BAVC, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Chemiewerke könne man nicht von einem auf den anderen Tag herunterfahren, erklärte Kautzky weiter – und reihte sich damit bei den zahlreichen Verbänden ein, die am Mittwoch erleichtert auf die abgesagte Osterruhe reagierten.
Die hätte womöglich dramatische Folgen gehabt: „Eine Beschränkung auf systemrelevante Bereiche wäre mit einem Vorlauf von wenigen Tagen gar nicht umsetzbar gewesen, da es beispielsweise in der Impfstoffproduktion komplexe Lieferketten über viele Stufen gibt“, so Kautzky. Und in Betrieben, die eine Genehmigung für die Produktion an Sonn- und Feiertagen haben, wären enorme Mehrkosten angefallen, da für viele Beschäftigte Lohnzulagen von bis zu 150 Prozent angefallen wären. Deshalb sei zu begrüßen, dass Kanzlerin Angela Merkel die Pläne für eine Osterruhe zurückgenommen habe.
Lob für Rücknahme der Osterruhe
Merkel hat am Mittwoch das von der Bund-Länder-Konferenz beschlossene Herunterfahren der gesamten Republik als Fehler bezeichnet und sich für die Verunsicherung entschuldigt. Von einem „Signal der Vernunft“ sprach der Handelsverband HDE. Eine kurzfristig vorgesehene Schließung des Lebensmittelhandels am Gründonnerstag hätte zu erhöhtem Kundenandrang an den Tagen davor und danach geführt. In Pandemiezeiten aber gehe es darum, die Kundenzahl zu entzerren.
„Wir sind froh“, den Kundinnen und Kunden „so ein entspannteres und sicheres Einkaufen für das anstehende Osterfest ermöglichen zu können“, erklärte ein Sprecher des Drogeriemarktkette Rossmann gegenüber dem RND. Für den vom erneut verlängerten Lockdown betroffenen Einzelhandel – vor allem die Modegeschäfte – fordert der HDE weiterhin die schnelle und zielgenaue Aufstockung der Corona-Hilfen sowie eine Öffnungsperspektive.
„Einen Fehler einzuräumen zeugt von Größe“, sagte Hildegard Müller, Präsidentin des Autobauerverbandes VDA. „Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten sind in einer ausgesprochen schwierigen Lage.“ Müller hatte zuvor gewarnt, dass plötzliche Betriebsstilllegungen in einer international vernetzten Wirtschaft nicht darstellbar seien.
Scharfe Kritik am Hin und Her
Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstituts IW, sieht eine Zäsur: „Das Krisenmanagement der Bundeskanzlerin ist an ein Ende gekommen, weil man Beschlüsse findet, die offenbar jede angemessene Kenntnis der Realität vermissen ließen“, sagte er dem RND. Eine Umkehr sei unvermeidbar gewesen, allein wegen der drohenden Funktionsstörungen in den verschiedenen Lieferketten und Verbundproduktionen. Insofern sei Schaden vom Land abgewendet worden.
Aber: „Entstanden ist ein kaum noch zu heilender Vertrauensverlust. Bisher schon war die Ernüchterung über das Umsetzungsversagen groß, nun ist überhaupt keine Strategie mehr greifbar. Eine Stabilisierung der Erwartungen ist nicht gelungen, das belastet die Investitionstätigkeit, die bedenklich schwach ist.“
Chemieindustrie will keine Lockdowns
Derweil bekräftigen die Chemiearbeitgeber ihr generelles Nein zu Lockdowns für die Industrie. Schließungen hätten keinerlei Wirkung für die Infektionsbekämpfung: „Die Unternehmen haben umfängliche Schutzkonzepte entwickelt, die Ansteckungen in den Betrieben verhindern. Unter anderem wurde Schichtarbeit so umorganisiert, dass sich die Beschäftigten nicht gegenseitig infizieren können. Viele Unternehmen haben dort, wo es geht, Homeoffice-Lösungen entwickelt“, erläuterte der BAVC-Sprecher. Zudem sei zu bedenken, dass die Industrie mit ihrer Produktion das Geld erwirtschafte, mit dem letztlich der Staat seine Hilfsprogramme finanziere.
Der Verband fordert nun mit Nachdruck, das Impfen massiv zu forcieren. Die Unternehmen arbeiteten mit Hochdruck daran, so viel Impfstoff wie möglich zur Verfügung zu stellen. „Die Chemiebranche hat außerdem der Bundesregierung schon im Februar angeboten, die Werksärzte für Impfungen einzusetzen. Es würde darauf hinauslaufen, dass neben den Beschäftigten auch deren Familien und die Nachbarn im Umfeld von Chemiewerken von den Werksärzten geimpft werden. Damit könnte kurzfristig begonnen werden. Es sieht derzeit aber danach aus, dass dies erst ab Mai oder Juni umgesetzt werden kann“, so der BAVC-Sprecher. Wichtig sei nun, die Logistik für die Impfungen zu klären, wenn von April an erheblich mehr Impfstoff zur Verfügung stehe. Denn: „Es besteht die Gefahr, dass die Vakzine zur Verfügung stehen, sie aber nicht rechtzeitig eingesetzt werden können.“
Hüther hält es nun für geboten, dass „schnell Öffnungsperspektiven durch regionale Lösungen – regionale Bündnisse gegen Corona – entwickelt werden“. Hier liege die Chance, die zum Teil ergriffen wurde – etwa in Tübingen oder Rostock – und jetzt in einigen Bundesländern mit Modellregionen angegangen werde. „Ansonsten: neben testen und Nachverfolgungs-App impfen“, so der IW-Direktor.