Umstrittene IOC-Entscheidung: Warum es nur Verlierer gibt
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Bald wieder dabei? Ein Fan schwenkt vor einem Eishockey-Spiel bei den Olympische Winterspielen 2018 eine russische Fahne.
© Quelle: Jae C. Hong/AP/dpa
Alexander Bolschunow ist einer der erfolgreichsten Athleten der Olympischen Winterspielen 2022 in Peking. Fünf Medaillen gewann der russische Langläufer – davon drei goldene. Doch im März 2022 war für ihn auf internationaler Bühne erstmal Schluss. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) allen Verbänden empfohlen, Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus auszuschließen. Bis jetzt.
Am Dienstag hat das IOC eine höchstumstrittene Entscheidung getroffen: Russen und Russinnen sowie Belarussen und Belarussinnen sollen laut Empfehlung wieder antreten dürfen – wenn auch unter strengen Bedingungen. Ein Schlag ins Gesicht aller Ukrainerinnen und Ukrainer.
Auf den ersten Blick scheint das Urteil in dieser Angelegenheit eindeutig: Wie kann das IOC das moralisch wie ethisch vertreten? Doch die gesamte Situation ist ein wenig komplizierter.
Der Krieg ist durch nichts zu entschuldigen
Eine Sache steht völlig außer Frage: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist furchtbar und durch nichts zu entschuldigen. Jeden Tag sterben Soldaten wie Zivilistinnen und Zivilisten. Millionen Menschen habe ihre Heimat verlassen und werden selbst bei einer möglichen Rückkehr zerstörtes Land auffinden. Dass der russische Präsident Wladimir Putin nun Atomwaffen in Belarus stationieren will, ist ein weiteres Zeichen für seinen ungebrochenen Kriegswillen.
Selbst für weitgehend Unbeteiligte ist die Vorstellung, wie sich Ukrainerinnen und Ukrainer nun womöglich fühlen, wenn sie wieder gegen Russinnen und Russen antreten müssen, unerträglich.
Welche Konsequenzen die IOC-Empfehlung haben könnte, zeigte sich bereits beim Fechten. Am 10. März hat sich der internationale Fechterbund (FIE), der vom russischen Oligarchen Alischer Usmanow finanziert wird, zur Rückkehr der beiden Nationen entschlossen, was den Boykott der Ukraine zur Folge hatte. Auch einzelne deutsche Sportlerinnen und Sportler haben bereits verkündet, deswegen nicht mehr antreten zu wollen. Am Tag der Entscheidung haben sich rund 300 Fechterinnen und Fechter noch einmal an das IOC gewendet und den fortwährenden Ausschluss von Russland und Belarus vom Weltsport gefordert. „Dieser ungeheuerliche, einseitige Angriffskrieg und der Bruch des Olympischen Friedens dürfen nicht ignoriert oder gar gebilligt werden“, heißt es in dem Brief.
Im Handball, Tennis und Eishockey sind russische Sportlerinnen und Sportler schon länger wieder aktiv dabei. Und auch hier gibt es teilweise Ärger. So verweigerte die ukrainische Tennisspielerin Marta Kostjuk ihrer russischen Gegenspielerin Warwara Gratschewa im Finale von Austin Anfang März den Handschlag.
Auch Rodelolympiasieger Felix Loch äußerte vor einigen Wochen einen erschreckenden Gedanken, als er über das Beispiel Biathlon sprach. „Da steht dann jetzt der Russe neben dem Ukrainer und schießt 50 Meter entfernt auf Scheiben. Da läuft es mir eiskalt den Rücken runter, wenn man überlegt, dass die gerade 1000 Kilometer entfernt irgendwo im Graben liegen und sich gegenseitig beschießen“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk. Innenministerin Nancy Faeser reagierte empört auf die IOC-Nachricht. „Es gibt keinerlei Grund für eine Rückkehr Russlands in den Weltsport“, sagte die SPD-Politikerin.
Aber was ist mit den russischen Sportlern und Sportlerinnen?
Recht haben sie alle. Doch was hier nicht berücksichtigt wird, ist die Perspektive der russischen und belarussischen Sportlerinnen und Sportler. Momentan müssen viele von ihnen um ihre Existenz bangen. Bevor alle kollektiv ausgeschlossen werden, muss geprüft werden, wie sich jeweils der oder die Einzelne zum Krieg verhält – oder inwiefern sie in den Krieg involviert sind. Denn viele Athletinnen und Athleten sind im Dienst des Militärs, wie viele genau ist unklar.
Eine aktive Verurteilung des Krieges kann aber auch kein Kriterium sein, da die Personen sonst höchstwahrscheinlich in Russland sofort inhaftiert würden. Eine Unterstützung des Krieges muss auf der anderen Seite zum sportlichen Ausschluss führen. Auch wenn es nicht einfach ist, hat jeder und jede eine individuelle Prüfung verdient.
„Wenn die Politik entscheidet, wer an den Olympischen Spielen teilnehmen darf oder nicht, wäre das das Ende des Sports auf der Welt“, begründet daher IOC-Präsident Thomas Bach die Empfehlung seines Verbands. So kritisch man Bach und das IOC auch zurecht sehen mag, steckt in diesem Satz etwas Wahres. Denn auf der Welt gibt es nicht nur den Krieg in der Ukraine. Nach Angaben der Crisis Group herrschen derzeit rund 70 bewaffnete Konflikte, jedoch wurde keine andere beteiligte Nation sportlich sanktioniert.
Wenn die Politik entscheidet, wer an den Olympischen Spielen teilnehmen darf oder nicht, wäre das das Ende des Sports auf der Welt.
Thomas Bach,
IOC-Präsident
Die Regeln, die das IOC nun für die Rückkehr der Athletinnen und Athleten auferlegt, sind daher entsprechend streng. Sportlerinnen und Sportler dürfen nur teilnehmen, wenn sie unter neutraler Flagge antreten, nicht aktiv am Krieg beteiligt sind und sich zur olympischen Charta bekennen. Keine Flaggen, keine Hymnen, keine Teams, keine Sportveranstaltung in Russland oder Belarus. Auch wollte das IOC noch nicht endgültig über eine Erlaubnis zur Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris entscheiden. Es scheint wie eine Zulassung auf Bewährung.
Und dazu hat das IOC sehr wohl das Recht. Das geht auch aus der Empfehlung der UN-Berichterstatterin für kulturelle Rechte, die Griechin Alexandra Xantahaki, hervor. Aus ihrer Sicht sei es diskriminierend, russische Soldaten und Angehörige des Militärs auszuschließen. „Wir können nicht diejenigen dafür verantwortlich machen, dass sie Befehle ausführen, auch nicht die völkerrechtswidrigen Operationen“, begründet sie ihre Empfehlung pro russische Sportlerinnen und Sportler.
Sport und Politik sind nicht mehr trennbar
Die jetzige Entscheidung des IOC zeigt, wie groß das moralische Dilemma ist. Die Frage, ob man Sport und Politik noch trennen kann, ist kaum mehr zu beantworten – so sehr sich Bach das auch wünscht. Spätestens seit der Fußball-WM in Katar muss das jedem klar sein. Vom Austragungsort über Sponsoren bis zum Event an sich ist der Sport übersät von politischen Botschaften. Zudem gibt es immer wieder Regierungen, die Sportstars für ihre Interessen nutzen.
Der IOC muss daher glaubhaft zeigen: Diese Entscheidung ist ein deutliches Bekenntnis zum Sport und zu den Athletinnen und Athleten. Die wichtigste Aufgabe des Verbandes ist es nun, sich genauestens an die aufgestellten Regeln zu halten. Sollten sich einzelne Personen auch nur einen minimalen Fehltritt erlauben, ist ein erneuter Ausschluss unabdingbar. Vor allem aber muss das IOC dafür sorgen, dass nun nicht sämtliche ukrainische Athleten und Athletinnen die Wettkämpfe boykottieren, wie es im Fechten bereits der Fall ist.
Trotz aller Bemühungen, zu einer guten Entscheidung für alle Sportlerinnen und Sportler zu kommen, zeigt dieser Fall aber wie groß die Zwickmühle ist. Wie man es auch dreht und wendet: Am Ende gibt es viele Verliererinnen und Verlierer.