Schwule Fußballprofis: ein Versteckspiel unter Männern
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Jake Daniels hat seine Homosexualität öffentlich gemacht.
Es ist Mai 2022. An einem Wochenende wird Bayern deutscher Meister, die Traditionsklubs Schalke 04 und Werder Bremen steigen in die Fußball-Bundesliga auf und Eintracht Frankfurt bereitet sich auf das Europa-League-Finale gegen Glasgow vor. Dazwischen eine Nachricht, die im Mai 2022 eigentlich keine mehr sein sollte, aber es irgendwie doch ist, weil sie eine Botschaft hat, einen Seltenheitswert: Ein junger Mann erzählt, dass er homosexuell ist.
Hunderttausende junge Menschen weltweit sind schwul, lesbisch oder bisexuell, bei einer repräsentativen Umfrage in Europa gaben 6 Prozent der Befragten an, homo- oder bisexuell zu sein. Nicht überall auf der Welt darf das offen gezeigt werden, doch in Europa schon. In wenigen Bereichen aber ist das auch hier 2022 noch nicht üblich: Der Profifußball ist einer von ihnen.
Homosexualität im Fußball: Zwei junge Spieler mit einer Mission
Der junge Mann, der am 16. Mai, einen Tag vor dem internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie, eine Erklärung herausgibt und sich zu seiner sexuellen Orientierung bekennt, ist Profifußballer – was das Outing dann doch wieder zu einer Nachricht macht. Es ist Jake Daniels, 17 Jahre alt, Stürmer beim FC Blackpool in der zweiten englischen Liga. Das letzte Mal, dass sich ein britischer Fußballprofi outete – eher unfreiwillig –, endete mit einem Suizid.
Vor wenigen Wochen war es Josh Cavallo, der in der höchsten australischen Liga kickt, der sich outete. Der 23 Jahre alte Juniorennationalspieler sagte, er sei stolz, schwul zu sein. Sein Verein Adelaide United unterstützte ihn. Sein Doppelleben sei ermüdend gewesen, sagte er. „So etwas soll niemand erleben müssen.“ Neben Cavallo ist Daniels derzeit der einzige offen homosexuell lebende aktive Fußballprofi – und der einzige in Europa. Daniels sagt nun in einem von seinem Verein veröffentlichten Statement, er fühle sich bereit und wolle nicht länger verstecken, wer er sei, er wolle stattdessen zu einem Vorbild werden.
Thomas Hitzlsperger: Aus dem Ex-Kicker wird der Schwule
Häufiger, jedoch immer noch selten, sind Outings von ehemaligen Profis. In Deutschland sprach 2014 Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in der „Zeit“ über seine Homosexualität. Er wolle eine öffentliche Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern anregen, sagte er damals.
Am Beispiel Thomas Hitzlspergers ist aber auch zu sehen, welche Bürde das mit sich bringt. Wer sich outet, wird automatisch zum Aktivisten, wird immer wieder erwähnt, um Stellungnahme gebeten, für Interviews zu Homosexualität angefragt. Thomas Hitzlsperger war nicht mehr nur der Ex-Kicker, „The Hammer“, wie man ihn in England nannte, er ist seither auch der Schwule. Josh Cavallo und Jake Daniels haben durch ihr Hervortreten keine Wahl mehr, man wird sie fragen, immer wieder. Auch die Spielerberatung Gay Players United, angeführt vom ehemaligen Fußballer Marcus Urban, warnt vor der Folge, dass immer wieder Fragen zur Homosexualität aufkommen werden und das bei einem Outing bedacht werden müsse.
Wie gehen die Fans nach dem Outing mit Jake Daniels um?
Hitzlsperger musste sich als aktiver Spieler nicht mehr mit homophoben Beleidigungen und Fangesängen herumschlagen – er stand nach seinem Outing nur noch an der Seitenlinie, wenn der VfB Stuttgart spielte, dessen Vorstand er wurde. Cavallo und Daniels hingegen stehen auf dem Feld. Auch wenn ihre Vereine sie unterstützen, ist zumindest bei Daniels noch unklar, wie die Fans gegnerischer Teams reagieren werden – die britische Fanszene ist nicht dafür bekannt, zimperlich mit den Stars umzugehen, wie sich beim Rassismusskandal nach dem verlorenen EM-Endspiel 2021 zeigte.
Noch eine weitere Komponente spielt eine Rolle, glaubt Hitzlsperger. Eine, die bedeutender ist, als von Fans möglicherweise beleidigt zu werden. Dem Bayerischen Rundfunk sagte er im vergangenen Jahr, als Cavallos Outing durch die Weltpresse ging: „Wenn man sich outet, ist das größte Problem: Es kann die Dynamik in der Mannschaft verändern. Es läuft gut, dann kommt ein großes Medienereignis und der Erfolg verändert sich. Da hat man eine Verantwortung, der man nicht immer gerecht werden kann.“ Das Publikum, vor allem in Deutschland, sei viel weiter, als man gemeinhin denke, so der Ex-Profi.
Gay Players United rät von einzelnem Coming-out ab
Es tut sich was in Europa und an vielen Orten. Vorbei die Zeiten, als sich 1990, während seiner aktiven Karriere, der Brite Justin Fashanu outete, der daraufhin nicht nur von seiner nigerianischen Familie verstoßen, sondern auch von Fans verschiedener Vereine sowie seinem eigenen Trainer homophob beleidigt wurde. Nachdem ein Jugendlicher ihn beschuldigt hatte, ihn vergewaltigt zu haben, nahm sich Fashanu das Leben.
Doch auch das ist 2022: Weil mögliche Konsequenzen vielschichtig sind und belastend sein können, rät Gay Players United noch „dringend“ davon ab, sich ungeplant und als einzelner Spieler zu outen. Wer sich dennoch outen wolle, solle vorab anonyme Interviews geben, um den medialen Druck zu nehmen. Und dabei solle er auch auf Homophobie, Mobbing und die erhöhte Suizidrate unter homosexuellen Jugendlichen hinweisen.
Cavallo und Daniels: eine neue Generation in den Fußballstadien?
Ein Fußballprofi folgte diesem Rat, der Bundesliga-Spieler gab schon 2012 anonym der Zeitschrift „Fluter“ ein Interview. „Fußballer sind das männliche Stereotyp schlechthin. Sie müssen Sport lieben, aggressiv kämpfen und gleichzeitig das große Vorbild sein. Schwule sind das alles einfach nicht. Punkt“, sagte er. Und weiter: „In der Situation im Stadion oder nach dem Spiel wird jeder kleine Anlass in der Gruppe zu einer ganz großen Angelegenheit. Ich wäre nicht mehr sicher, wenn meine Sexualität an die Öffentlichkeit käme.“
Cavallo und Daniels mögen zu einer neuen Generation gehören und diese Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit suchen. Sie wollen lieber all das aushalten, was ihr Outing mit sich bringt – von der Vorbildfunktion bis zu Beleidigungen –, als sich zu verstecken. Zahlreiche Klubs und Spieler sprachen den beiden Mut zu – und ermutigen so vielleicht gar weitere Sportlerinnen und Sportler, kein Geheimnis aus ihrer sexuellen Orientierung zu machen, wenn sie es denn wollen.
Sie sind in bester Gesellschaft unter Amateurspielern und Funktionären. Wie etwa Tom Harald Hagen, ein norwegischer Fifa-Schiedsrichter, der unter anderem in der Europa League pfeift, und seine Homosexualität im vergangenen Jahr öffentlich machte. Ebenfalls im vergangenen Jahr startete das Fußballmagazin „11 Freunde“ eine Aktion, bei der 800 Profifußballer und Profifußballerinnen unter dem Motto „Ihr könnt auf uns zählen“ dazu ermutigen, offen zu sein und im Zweifel Unterstützung zu geben. In Deutschland ist dem Appell bisher keiner nachgekommen.
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