Geschichte des Fußballs: Die vergessenen Stars
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Sie schreiben Sportgeschichte: Im Juli 1920 wird der erste „Kicker“ gedruckt, Redaktionssitz ist damals Konstanz.
© Quelle: Privat
Im Jahr 1938 erschien das “Kicker-Bilderwerk”, ein Sammelbildalbum mit den Porträts aller bis dahin eingesetzten deutschen Fußball-Nationalspieler. Die deutsche Fußballgemeinde sei diesen Männern, hieß es im Vorwort, “zu allen Zeiten dankbar, die einst das Trikot in Ehren getragen haben”. Das war ein Schlag ins Gesicht für Julius Hirsch, der siebenmal für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) aufgelaufen war. Der ehemalige Stürmerstar nämlich fehlte in diesem Buch – weil er Jude war. Sogar im Fußball setzten die Nationalsozialisten ihre perfide Geschichtspolitik der Damnatio memoriae, also der Verdammung des Andenkens, durch, wonach alles Jüdische in der Erinnerung zu tilgen war.
Hirschs jüdischer Vereinskollege Gottfried Fuchs, der mit zehn Treffern in einer Partie bis heute den Torrekord in der DFB-Geschichte hält, tauchte in dem Album ebenfalls nicht auf. Besonders bemerkenswert ist der Fall deshalb, weil der “Kicker” selbst im Juli 1920 von einem deutschen Juden gegründet worden war: Walther Bensemann, geboren 1873 in Berlin als Sohn eines jüdischen Bankiers, war in den Zwanzigerjahren als stilistisch herausragender Fußballpublizist berühmt geworden.
Bensemann gilt als “Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte”
Zudem war Bensemann in der Anfangszeit des Fußballs an vielen Vereinsgründungen beteiligt gewesen. Er hatte 1891 den Karlsruher FV aus der Taufe gehoben, der 1910 – mit dem jüdischen Stürmerduo Hirsch und Fuchs – deutscher Meister wurde. Außerdem war er beteiligt an der Gründung des Straßburger FV (1900 süddeutscher Meister), der Frankfurter Kickers, einer der Vorläufer der Eintracht, und der Fußballabteilung des MTV München, aus dem 1900 der FC Bayern München hervorging. Er gründete auch 1900 den Deutschen Fußball-Bund mit. Aus diesem Grund gilt Bensemann als “Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte”, wie der Titel der wunderbaren Biografie von Bernd Beyer lautet (erschienen im Verlag Die Werkstatt).
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Gründer des "Kicker": Walther Bensemann.
© Quelle: privat
Nun stellt sich heraus, dass auch die Manager des ersten professionellen Fußballspiels auf dem europäischen Kontinent sämtlich jüdischer Konfession waren. Schon vorher war allerdings klar, dass der Einfluss der jüdischen Pioniere auf den deutschen Fußball groß ist. Denn neben Hirsch, Fuchs, Bensemann und den Brüdern Eidinger gibt es noch zahlreiche weitere jüdische Mitbürger, die die Modernisierung des Fußballs in Deutschland und ganz Europa vorangetrieben haben.
So zählte in den Zwanzigerjahren Tennis Borussia Berlin zu den progressivsten Vereinen in Deutschland. Der Klub weist ebenfalls einen prominenten jüdischen Gründer auf: Alfred Lesser (1882–1942) hatte dem Verein nicht nur das Grundstück für die Sportplätze gestiftet. Er bezahlte auch große Trainer wie Richard Girulatis und Otto Nerz, der 1926 erster Reichstrainer wurde – und der 1943 üble antisemitische Tiraden in einer Berliner Zeitung publizierte. Auch hinsichtlich des “Wunders von Bern” 1954 leistete Mäzen Lesser wichtige Vorarbeiten: TeBe finanzierte Ende der Zwanzigerjahre einen gewissen Spieler namens Sepp Herberger, damit der sich sein Sportstudium überhaupt leisten konnte. Herberger seinerseits hatte immer seinem Idol Gottfried Fuchs nachgeeifert.
In weiteren Vereinen trieb die Flexibilität und Beweglichkeit jüdischer Mäzene oder Trainer das sportliche Niveau der Mannschaften in die Höhe: so der Präsident des FC Bayern München, Kurt Landauer, der den Klub mit seiner klugen Politik zur ersten deutschen Meisterschaft im Jahr 1932 führte. Trainer war damals Richard “Little Dombi” Kohn, ein Wiener Jude. Den 1. FC Nürnberg, Finalist von 1932, coachte der ungarische Jude Jenö Konrad. Und auch die Erfolgsgeschichten der besten Frankfurter Klubs in jener Zeit, Eintracht und FSV, waren ohne das Wirken jüdischer Mäzene nicht denkbar.
Seit 20 Jahren beschäftigt sich die Forschung mit diesen Biografien
International zählte Hugo Meisl zu den größten jüdischen Namen, er kreierte das berühmte österreichische “Wunderteam”, das Deutschland 1931 zweimal deklassierte (5:0 und 6:0) und 1932 England an der Stamford Bridge bezwang. Meisls Bruder Willy, ein promovierter Jurist, war Nationaltorwart und zählte von 1924 bis 1955 zu den berühmtesten Fußballpublizisten der Welt.
Seit ungefähr 20 Jahren beschäftigt sich die Forschung mit den Biografien dieser Fußballpioniere, und geschichtsbewusste Fans wie die von der “Schickeria” des FC Bayern München tun viel, um die Leistungen der jüdischen Klubahnen in Erinnerung zu rufen. Julius Hirsch etwa wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Wie wichtig die Erinnerungsarbeit ist, zeigt das erschütternde Beispiel des “Kicker-Bilderwerks”, das 1988, zum 50. Jahrestag des Erscheinens, als Reprint neu aufgelegt wurde: Darin fehlten Hirsch und Fuchs erneut.