Vizeeuropameisterin Huth: „Die Situation jetzt ist eine Chance für den Frauenfußball“
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Svenja Huth erkämpfte mit der deutschen Nationalmannschaft den zweiten Platz in der Europameisterschaft.
© Quelle: Jasmina Schweimler
Double-Gewinn mit dem VfL Wolfsburg, Heirat, zweiter Platz bei der Europameisterschaft mit Deutschland in England, Saisonvorbereitung in Harsewinkel – VfL-Spielmacherin Svenja Huth durchlebt dieses Jahr den wohl spannendsten, aber auch anstrengendsten Sommer ihres Lebens. Im AZ/WAZ-Interview blickt die Offensivspielerin zurück und nach vorn, spricht über Equal Pay, die Nationalmannschaft und die kommende Ligasaison.
Frau Huth, kurz vor der EM war Ihre Hochzeit. Können Sie schon seriös beantworten, wie es so ist, verheiratet zu sein?
Ich war ja seitdem quasi gar nicht zu Hause (lacht). Darum kann ich ja einfach sagen: Läuft gut.
„Länderspielpause nicht unbedingt optimal“
Lange Saison mit dem VfL, Hochzeit, EM, jetzt Saisonvorbereitung, bald wieder Länderspiele: Kommen Sie da mit dem Verarbeiten überhaupt noch nach?
Ich denke schon manchmal: Wo steht mir der Kopf? So viel fast am Stück unterwegs zu sein ist nicht immer einfach. Das Verarbeiten wird auch noch ein bisschen brauchen. Man ist dann ja auch schnell wieder beim Hier und Jetzt, fokussiert sich auf die neuen Ziele mit dem VfL. Wir haben nicht viel Zeit in der Vorbereitung und müssen das entsprechend effizient nutzen. Wir haben das Glück, dass wir dieses Jahr keine Champions-League-Qualifikation spielen müssen, Ende August steht aber direkt die nächste Länderspielpause vor der Tür, was nicht unbedingt optimal ist.
Begeisterte Begrüßung für das DFB-Frauenteam in Frankfurt
Auch ohne den EM-Pokal werden die Fußballerinnen bei der Rückkehr in die Heimat gefeiert.
© Quelle: dpa
Die EM ist noch im Kopf, die neue Saison steht vor der Tür. Ist das ein Spagat für den Kopf?
Es ist so viel los, da rückt die EM-Erinnerung erst einmal in den Hintergrund. Und jetzt bin ich wieder mit dem VfL im Training, zwischendurch hat man ja auch die Mannschaft und das Trainerteam vermisst. Nach so einem großen Turnier und anschließend wenig Pause ist es schon mental herausfordernd, andererseits ist es auch schön, jetzt wieder einen Tapetenwechsel zu haben. Das bedeutet aber auch, dass man nicht so viel verarbeiten kann, sondern es dann vielleicht sogar bis in die Winterpause schiebt.
„Herausforderung gehört zum Fußballgeschäft“
Wie handhaben Sie das in Ihrem Alltag?
Wir Spielerinnen helfen uns da untereinander sehr, haben beim VfL mit einem Sportpsychologen oder dem Trainerteam aber auch gute Ansprechpartner. Bei der Nationalmannschaft hilft da Birgit Prinz. Das ist auch gerade wichtig für Spielerinnen, die im Verein diese Möglichkeiten nicht haben. Die Herausforderung, das alles zu bewältigen, nehmen wir als Sportlerinnen aber gerne an. Denn sie gehört zum Fußballgeschäft.
Was überwiegt im Moment: die Freude darüber, dass sie Deutschland mit dem Vizetitel euphorisiert haben, oder die Trauer über das verlorene Finale?
Es ist eine Mischung aus beidem. Wir sind total froh, dass wir so euphorisieren konnten. Wir kriegen immer wieder Rückmeldungen von Menschen, die vorher wenig mit Frauenfußball zu tun hatten, uns aber jetzt diesen Zuspruch geben. Dass wir so eine Aufmerksamkeit generieren konnten, freut uns. Aber natürlich wäre es das i-Tüpfelchen gewesen, wenn wir den Titel mit nach Hause gebracht hätten.
Wann haben Sie denn realisiert, dass eine ganze Nation gespannt mitfiebert?
Über Social Media kriegt man einiges mit. Aber natürlich auch über Familie und Freunde. Wir hatten schon nach dem ersten Spiel gegen Dänemark eine erste Begeisterung gemerkt. Aber nach dem Spanien-Spiel hat man immer mehr gespürt. Das hat uns zusätzlich gepusht. Das Finale haben 18 Millionen Zuschauer gesehen – einfach verrückt. Aber irgendwie auch eine Bestätigung, dass wir die Menschen mit der Art und Weise, wie wir aufgetreten sind, auch erreichen, und wenn die Spiele zur richtigen Zeit laufen.
„Euphorie mit in den Bundesliga-Alltag nehmen“
Hält diese Begeisterung langfristig an?
Ich glaube, dass wir auch ohne Titel einiges in Deutschland bewegen konnten. Jetzt gilt es, diese Euphorie auch mit in den Bundesliga-Alltag und in die Länderspiele zu nehmen. Im Oktober spielen wir zur Primetime gegen Frankreich, das ist schon mal ein Fortschritt.
Was sind für Sie die nächsten wichtigen Schritte?
Die Situation jetzt ist eine Chance. Für uns Spielerinnen individuell, aber auch allgemein für den Frauenfußball. Diese Aufmerksamkeit ist ja genau das, was wir wollten. Dass ein Markt vorhanden ist, hat man schon in der Champions League letzte Saison gesehen, wo wir Stadien gefüllt haben und es einen Push gab. Dieser muss aber auch bespielt werden, auch vom DFB.
Heißt?
Aktuell müssen die Fans, die unsere Spiele im Fernsehen schauen wollen, immer noch suchen. Zeigt nur Magenta die Partie? Kommt‘s im TV? Wo? Das ist eine Situation, die nicht so optimal ist. Ich hoffe, dass gerade im Bundesliga-Alltag nicht nur mehr Fans in die Stadien kommen, sondern auch vorm Fernseher dabei sein können, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dass bereits nächstes Jahr eine Weltmeisterschaft ansteht, ist gut – dann ist die Zeitspanne nicht so lang.
„Lieber über Equal Play reden“
Auch Equal Pay wurde in den letzten Wochen vermehrt thematisiert. Wie stehen Sie dazu?
Ich möchte vorerst lieber erst einmal über Equal Play reden.
Also nicht über gleiche Bezahlung, sondern über angeglichene Bedingungen für Training, Betreuung und Wettkampf.
Genau. Unsere Bundesliga muss da hinkommen, dass Spielerinnen nicht 30 bis 40 Stunden die Woche arbeiten müssen, die Klubs eine gute medizinische Abteilung haben und über gute Trainingsplätze verfügen. Kurzum: Die Basis muss da sein, die Strukturen müssen stimmen.
Wie ist der VfL strukturell aufgestellt?
Der VfL und die Bayern sind die Vorreiter in der Liga. Ich war ja auch lange in Potsdam, das sind schon große Unterschiede. Wir haben in Wolfsburg eine tolle Infrastruktur, verschiedene Möglichkeiten auf den Trainingsplätzen, eine tolle medizinische Abteilung, eigene Räume und Abteile. Wir haben hier tolle Bedingungen. Aber das wünsche ich mir für die ganze Liga.
Kann die WM 2023 Highlight und Abschluss Ihrer DFB-Karriere werden?
Mein Vertrag in Wolfsburg läuft dann ja noch ein Jahr bis 2024, und ich fühle mich noch gut und habe Spaß. Irgendwann kommt man dann natürlich auch in das Alter, wo man denkt: Eventuell ist es das letzte Turnier. Noch ist es nicht so weit –und ich will mit den Mädels noch einiges erreichen.
„Wir haben das Glück, dass wir im Kern zusammengeblieben sind“
Die Nationalmannschaft bleibt nach dieser EM komplett zusammen – ein Vorteil?
Ja. Diese EM kann eine gute Basis sein. Wir entwickeln uns ja dennoch individuell und als Mannschaft weiter, um bei der WM eine gute Rolle zu spielen.
Bei der EM standen zeitweise bis zu zehn Wolfsburgerinnen auf dem Platz, das DFB-Team war der „VfL Deutschland“. Da drängt sich ja die Frage auf: Wer soll Ihnen in der Liga eigentlich gefährlich werden?
Die Bayern bleiben der größte Konkurrent. Aber auch Köln hat sich gut verstärkt, Potsdam hat es eigentlich immer geschafft, trotz Abgängen eine schlagfertige Mannschaft aufs Feld zu schicken. Ich würde Turbine nicht unterschätzen und bin gespannt, was uns erwartet. Hoffenheim konnte auch Neuzugänge mit individueller Qualität vermelden. Bei Eintracht Frankfurt wird man sehen, wie sie das Aus in der Champions-League-Qualifikation verkraften.
Die Zielsetzung scheint klar …
Wir streben die maximale Ausbeute an, um uns am Ende wieder zu belohnen. Uns wird nichts geschenkt, es wird alles andere als ein Selbstläufer. Nach der Bayern-Meisterschaft 2021 waren wir die Jägerinnen, jetzt sind wir wieder die Gejagten. Ich bin mir aber sicher, dass mit diesem Kader viel möglich ist. Wir haben das Glück, dass wir im Kern zusammengeblieben sind, das macht es uns ein bisschen einfacher. Und unsere Neuzugänge kennen wir ja von der Nationalmannschaft oder bereits aus der Bundesliga.
Mit einem weiteren DFB-Pokal-Erfolg könnte der VfL alleiniger Rekordsieger werden, mit einem weiteren Meistertitel den 1. FFC Frankfurt einholen …
Ich glaube nicht, dass das viele auf dem Schirm haben. Allein das Ziel, das Triple zu holen, ist Ansporn genug, dafür werden wir alles geben. Rekorde sind aber natürlich ein schöner Nebeneffekt – bleiben aber zweitrangig.
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