Formel-1-Kolumne

Fünf Thesen mit Norbert Haug: Deshalb hat kein Free-TV-Kanal Lust auf die F1

RND-Kolumnist Norbert Haug schreibt in seiner Kolumne unter anderem über die Free-TV-Situation der Formel 1.

RND-Kolumnist Norbert Haug schreibt in seiner Kolumne unter anderem über die Free-TV-Situation der Formel 1.

Das waren noch Zeiten: Weit mehr als zehn Millionen Menschen verfolgten einst die Rennen von Formel-1-Legende Michael Schumacher im frei empfangbaren Fernsehen bei RTL. Und jetzt? Jahrzehnte später dürfen im Gegensatz zu früher nur noch vier Rennen per Sublizenz live im Free-TV gesendet werden – und nach dem Ausstieg von RTL scheint plötzlich kein Sender mehr Lust zu haben, die Königsklasse zu übertragen. Eine Katastrophe – oder?

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Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat dem ehemaligen Mercedes-Motorsport-Chef Norbert Haug diese These vorgelegt – und noch vier weitere. So äußert sich der 70-Jährige, der die Karrieren der jeweils siebenmaligen (Rekord-)Weltmeister Lewis Hamilton und Michael Schumacher von Beginn an begleitete, beide ab dem Juniorenalter gefördert und mit ihnen als Sportchef erfolgreich gearbeitet hat, unter anderem auch über die Red-Bull-Dominanz und den Erfolg des Ex-Teams von Sebastian Vettel.

These eins: Dass sich für die Free-TV-Übertragungen der Formel 1 in Deutschland zwei Rennen nach Saisonbeginn noch immer kein Sender gefunden hat, ist eine Katastrophe.

Haug: „Na ja, Katastrophen sehen sicher anders aus. Aber der Begriff Trauerspiel trifft ziemlich exakt, was Deutschland in der Formel 1 aktuell zu bieten, oder zutreffender gesagt, nicht zu bieten hat: kein siegfähiges Team, ein einziger deutscher Fahrer im Feld, der in einem Team mit einem Auto fährt, mit dem auch der Allerbeste nicht gewinnen kann, dazu ein Ersatzfahrer ohne kurzfristige Chancen für einen Renneinsatz.

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Was für ein niederschmetternder Kontrast zu den glorreichen Zeiten Deutschlands in der Formel 1 mit zwölf gewonnenen Fahrer-Weltmeistertiteln von Schumacher, Vettel und Rosberg zwischen 1994 und 2016, mit McLaren-Mercedes und drei Fahrer-Weltmeistertiteln für Häkkinen und Hamilton zwischen 1998 und 2008, dazu die Dauersiegesserie der Mercedes-Silberpfeile zwischen 2014 und 2020 mit weiteren sieben Fahrer-WM-Titelgewinnen und acht gewonnen Konstrukteurs-Weltmeisterschaften. Deutschland war über Jahrzehnte die bewunderte und verdiente Großmacht der Formel 1.

Heute aber zeigt einzig und alleine Red Bull Racing, wo in der Formel 1 der Hammer hängt, und der Sieger steht bereits fest, bevor die Lichter der Startampel erloschen sind. Kein Fehler von Red Bull, sondern vielmehr der all jener, die nicht hinterherkommen oder womöglich gar überholen können. Und exakt diese aus deutscher Sicht wenig erbauliche Lage ist der Grund dafür, dass außerhalb des Pay-TV-Senders Sky kein frei empfangbarer TV-Kanal Bock auf die Formel 1 hat. RTL hatte im vergangenen Jahr statt wie früher über zehn Millionen Live-Zuschauer bei seinen vier Übertragungen jeweils weniger als drei Millionen, die den Rennen folgten. Da schafft jeder Vorabendkrimi-Langweiler aus dem Stand mehr.“

These zwei: Das Red-Bull-Team bekommt ein Problem in dieser Saison, wenn es nicht rechtzeitig die sich andeutenden Spannungen zwischen Verstappen und Perez in den Griff kriegt.

Haug: „Das sehe ich anders. Verlaufen die Rennen normal, dann wird auf lange Zeit Max Verstappen im Red Bull gewinnen und Sergio Perez mit Respektabstand folgen. Wenn der Mercedes-Fahrer George Russell sagt, Red Bull werde 2023 sämtliche Rennen gewinnen, wie ich las, kann ich dieser Einschätzung beim besten Willen nicht widersprechen. Wer bei den ersten beiden Grand Prix des Jahres eine Sekunde oder gar mehr pro Runde langsamer als Red Bull war, wurde Dritter. Ich erinnere mich an keine Zeit in der Formel 1, in der eine Überlegenheit noch drückender war. Einen Zuschauermagneten habe ich ganz anders in Erinnerung. In meiner letzten Formel-1-Saison 2012 gab es in den ersten sieben Rennen der Saison genauso viele – in Worten also sieben – verschiedene Sieger mit fünf verschiedenen Teams.“

These drei: Der Erfolg des Mercedes-Kunden Aston Martin ist für das wieder nicht siegfähige Werksteam ein Schlag ins Gesicht.

Haug: „Die Korken werden derzeit weder in Brackley noch in Brixworth knallen, davon kann man ausgehen. Aber die haben zwischen 2014 und 2020 auch sieben Jahre nicht in Milton Keynes bei Red Bull oder im österreichischen Fuschl in der Red-Bull-Zentrale geknallt. Viel dramatischer ist die Lage bei Ferrari, die seit 2007 mit viel Wohlwollen bestenfalls von Beinahe-Weltmeistertiteln berichten können. Der letzte WM-Titel aus dem Jahr 2007 mit Kimi Räikkönen liegt mittlerweile 16 Jahre zurück. Zu erwähnen ist dabei, dass dieser Titel zustande kam, weil wir bei McLaren-Mercedes weder mit Lewis Hamilton noch mit Fernando Alonso den Sack rechtzeitig zugemacht hatten und uns dafür leider selber schlugen, was mit zwei Fahrern und jeweils einem Punkt Rückstand auf Räikkönen endete. Davor sicherte Michael Schumacher 2004 für Ferrari den letzten souveränen Titelgewinn, und ich habe Zweifel, dass dieser Triumph zu dessen 20. Jahrestag im nächsten Jahr wiederholt werden wird.

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Noch düsterer ist die Lage bei den einstigen Formel-1-Weltmeistermachern Williams und McLaren. Letzteres Team hat seinen letzten Titel vor mittlerweile 15 Jahren mit Lewis Hamilton und Mercedes-Benz als Teampartner geholt: Bei Williams liegt der letzte WM-Titelgewinn mit Jacques Villeneuve und Renault als Motorenpartner gar 26 Jahre und der letzte Sieg elf Jahre zurück. Die Lage der Formel 1 ist nach den ersten beiden Rennen des Jahres insgesamt dramatisch, was den sportlichen Wert betrifft. Und das, obwohl das Kostenlimit mit vergleichbaren Ausgaben und Aufwand für sämtliche Teams installiert wurde und laut Fia strikt überwacht wird: Ein Team fährt alles in Grund und Boden, die neun anderen sind aktuell chancenlose Hinterherfahrer. Daraus folgt das emotionslose Zwischenfazit nach zwei von 24 Rennen: Ein Team hat ganz vieles richtig gemacht, neun haben im besten Fall mehr als eine Sekunde pro Rennrunde aufzuholen und manche gar mehr als doppelt so viel. Der Stoff, aus dem Rennspannung gemacht ist, sieht erfahrungsgemäß ganz anders aus.“

These vier: Sebastian Vettel hat bei Aston Martin ein Jahr zu früh aufgehört.

Haug: „Das sehe ich nicht so. Vettel hat jetzt laut eigenem Bekunden andere Interessen, aber offensichtlich hat er im letzten Jahr wertvolle Weichenstellungen mit initiiert, denn nennenswerte Erfolge stellen sich im Motorsport stets mit Verzögerung und nach intensiver Vorarbeit ein. Wenn dem im Falle Vettel auch so ist, wird ihn sein letztes Formel-1-Team zu Recht in allerbester Erinnerung behalten und Fernando Alonso wird so womöglich vom Vettel-Rivalen zum Vettel-Fan.“

These fünf: Das jüngste Nachtreten von Günther Steiner gegen Mick Schumacher ist eine Frechheit - und zeigt, dass Mick für seine Entwicklung im falschen Team war.

Haug: „Für meinen Geschmack wird dieser Thematik viel zu viel Raum eingeräumt. Mick hat hier stets eine sehr gute und souveräne Position bezogen und sich nie in eine Diskussion mit Schuldzuweisungen hineinziehen lassen oder sich gar unnötigerweise selbst in diese begeben. Etliche, die sich für alte und mit allen Wassern gewaschene Formel-1-Füchse halten, können sich da vom jungen Mick eine Scheibe abschneiden, und es wäre schön, würde Mick Schumacher alsbald die Chance in einem konkurrenzfähigen Team erhalten, sein Können unter Beweis zu stellen.“

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