Venedig nach Corona: Ausweg aus dem Massentourismus

Venedig will nach der Pandemie vermehrt um Übernachtungsgäste werben.

Venedig will nach der Pandemie vermehrt um Übernachtungsgäste werben.

Venedig. La Certosa könnte den Weg in eine nachhaltigere Zukunft für Venedig weisen. Die kleine Insel, nur 15 Minuten per Boot vom Markusplatz entfernt, wurde in einen vielseitigen Stadtpark umgewandelt. Abseits von den einstigen Stätten des Massentourismus tummeln sich dort heute Einheimische und Venedig-Kennerinnen und -Kenner. Die vergessene, öffentliche Insel könnte zum Vorbild werden beim Bemühen der Lagunenstadt, ihre Tourismusindustrie wiederzubeleben - ohne zu den Horden von Tagesbesuchern aus der Zeit vor der Corona-Pandemie zurückzukehren.

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Auf Certosa zeige sich Venedig von einer bislang weitgehend unbekannten Seite, sagt Alberto Sonino, Leiter des Entwicklungsprojekts, das ein Hotel, einen Jachthafen, ein Restaurant und ein Waldgebiet umfasst. Fast niemand kenne die Lagune als „interessante natürliche oder kulturelle Umgebung“.

Corona könnte für Venedig die letzte Chance auf einen Neustart sein

Für Venedig könnte es die letzte Gelegenheit zum Umsteuern sein. Die fragile norditalienische Stadt und ihre Lagune werden als Welterbestätte der Unesco geschützt. Mit Verweis auf den übermäßigen Tourismus empfahl die UN-Kulturorganisation nun, die Stadt in ihre Liste des gefährdeten Welterbes aufzunehmen – ein seltener Schritt. Eine Entscheidung wird im Juli erwartet.

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Nach einer 15-monatigen Pause im internationalen Massen-Reisebetrieb überlegen die Venezianer nun, wie sie wieder Gästinnen und Gäste begrüßen können, ohne in die unwürdige Vergangenheit zurückzuverfallen: mit Menschenmassen, die die engen Gassen verstopfen, Tagestouristinnen und Tagestouristen, die auf Treppen picknicken und Selfie-Knipsern, die sich auf der Rialto-Brücke drängen.

Venedig plant Relaunch des Tourismus

Die Regionalbehörden von Venetien haben Rom einen Plan für einen Relaunch der vom Tourismus abhängigen Stadt vorgelegt. Dieser sieht vor, die Ankünfte von Tagestouristen zu kontrollieren, für mehr ständige Bewohner zu sorgen, Start-ups zu ermutigen, die Zahl privater Ferienvermietungen zu reduzieren und die Kontrolle über Gewerbegebiete zu gewinnen, um venezianische Kunsthandwerker zu schützen.

Der im März eingereichte Vorschlag soll Venedig zu einer „Welthauptstadt der Nachhaltigkeit“ machen. Die Stadt spekuliert dafür auf einen Teil der 222 Millionen Euro, die Italien aus dem Corona-Hilfsfonds der EU bekommt.

Venedig im Massentourismus: Die Stadt droht zu verschwinden

„Venedig ist in Gefahr zu verschwinden“, sagt Nicola Pianon, gebürtiger Venezianer und Geschäftsführer der Boston Consulting Group, die einen strategischen Plan für die Stadt entwickelte. „Wenn wir nicht aufhören und die Entwicklung umkehren, wird Venedig in zehn Jahren eine Wüste sein, in der man morgens die Lichter an- und abends ausschaltet.“

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Mit ihrem Vorschlag reagieren die Regionalbehörden auf den drängenden Wunsch vieler Venezianerinnen und Venezianer, sich ihre Stadt vom Massentourismus zurückzuerobern. Dieser hatte 2019 ein Hoch von etwa 25 Millionen Besucherinnen und Besuchern erreicht. Auch der Exodus von 1000 Einheimischen pro Jahre soll gestoppt werden. Der Plan sieht Investitionen bis zu vier Milliarden Euro vor, um 12.000 neue Einwohnerinnen und Einwohner anzulocken und 20.000 neue Jobs zu schaffen.

Venedig ohne Reisende kann die Einheimischen nicht mehr versorgen

Doch so sehr die Venezianer und Venezianerinnen auch über die vielen Touristinnen und Touristen stöhnen, so deutlich hat die Pandemie auch gezeigt, wie symbiotisch die Beziehung ist. Denn mit dem Verlust an Einnahmen aus dem Tourismus gingen auch drastische Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr einher, der vor allem von den Fahrten von Urlaubenden lebt. Selbst Museen konnten es sich nicht mehr leisten, für Einheimische zu öffnen, als der Lockdown gelockert wurde. „Venedig ohne Touristen ist zu einer Stadt geworden, die ihre eigenen Bürger nicht versorgen konnte“, sagt die Tourismusexpertin Anna Moretti von der Universität Ca‘ Foscari in Venedig.

Ein Vorhaben der Stadt, im vergangenen Jahr ein Eintrittsgeld für Tagestouristinnen und Tagestouristen einzuführen, wurde wegen der Pandemie erst verschoben, dann auf Eis gelegt. Es würde für 80 Prozent aller Besucherinnen und Besucher fällig. Im vergangenen Jahr waren es 19 Millionen Reisende, die Venedig zwar tagsüber besuchten, aber nicht hier übernachteten. Nach Angaben von Boston Consulting gaben sie in der Stadt jeweils nur zwischen fünf und 20 Euro aus. Die 20 Prozent der Urlaubenden, die mindestens eine Nacht in Venedig verbringen, tragen dagegen zu mehr als zwei Drittel zu den gesamten Tourismuseinnahmen bei.

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Zugangssystem soll Anzahl der Tagesgäste kontrollieren

Im kommenden Jahr soll nun ein Reservierungssystem mit einer Zugangsgebühr eingeführt werden, um die Zahl der Tagesgäste zu kontrollieren. Schon seit 2020 betreibt die Stadt ein hochmodernes Kontrollsystem, das anzeigt, wie viele Besucherinnen und Besucher sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt in Venedig aufhalten. Es greift auf Handydaten zurück und erkennt auch die Herkunftsländer und den jeweiligen Standort der Touristinnen und Touristen im fünf Quadratkilometer großen Stadtgebiet.

Für einen nachhaltigeren Tourismus will die Stadt zudem Besucherinnen und Besucher an neue Ziele locken und zu mehr Übernachtungen ermuntern. Dabei könnte einiges schiefgehen. Reiseveranstalter wollen verzweifelt ihr Geschäft wiederaufnehmen, und weltweit hat sich viel Reiselust angestaut. Zudem werden viele der von den Kommunalbehörden angestrebten Änderungen in Rom entschieden, darunter etwa Begrenzungen von Gewerbegebieten oder der Zahl an Airbnb-Wohnungen.

Die Projekte auf der Insel Certosa sind zwar nach mehr als zehn Jahren immer noch nicht abgeschlossen. Die Zahlen sind aber schon jetzt vielversprechend: 3000 Besucher an jedem Wochenende. Projektentwickler Sonino sieht weitere zehn öffentliche Orte in der Lagune mit Potenzial zur Neugestaltung, darunter ehemalige Krankenhäuser, verlassene Inseln und Militärstützpunkte.

RND/AP

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