Sechs Monate Reiselockdown: So geht es der Tourismusbranche
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Die Touristiker von Mecklenburg-Vorpommern hoffen auf einen Restart für den Tourismus noch vor den Sommerferien.
© Quelle: imago images/penofoto
Auf den Tag genau sechs Monate ist es her, dass im November 2020 ganz Deutschland wieder in den Lockdown musste. Seither durfte die Tourismusbranche in der Bundesrepublik nicht wieder hochfahren. Nur in wenigen Bundesländern haben Restaurants in Modellregionen geöffnet, Hotels, Ferienwohnungen und Campingplätze bleiben mit Ausnahme von wenigen Orten in Schleswig-Holstein für Touristen deutschlandweit verschlossen.
Sechs Monate Lockdown bedeuten für die meisten touristischen Betriebe sechs Monate kein oder fast kein Geschäft. Viele Unternehmen haben ihren Betrieb geschlossen, Mitarbeiter in Kurzarbeit gesandt, neue Saisonkräfte nicht eingestellt, Veranstaltungen abgesagt oder verschoben. Geschäftliche Übernachtungen und Meetings sowie Außer-Haus-Verkauf an Einheimische boten nur für wenige Firmen etwas Umsatz. So hangeln sich die Betriebe von Monat zu Monat immer in der Hoffnung bald wieder starten zu können. Wie lange hält die Tourismusbranche das noch aus? Wie könnte ein Neustart aussehen?
Wie hat die Tourismusbranche die sechs Monate Lockdown bisher erlebt?
Besonders hart trifft es die Branche, in den Saisonhöhepunkten nicht öffnen zu dürfen. „Auch wenn es die meisten damals schon befürchteten, war es damals ein kleiner Schockmoment, als es in den zweiten Lockdown ging“, sagt Tobias Woitendorf, Geschäftsführer des Tourismusverbands Mecklenburg-Vorpommern e.V., gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Es war natürlich nicht absehbar, wie lange dieser gehen würde. Wir haben alle erst auf das Weihnachts- und Silvestergeschäft gehofft, dann auf die Osterferien und jetzt auf Pfingsten.“ Die Hoffnungen auf Lockerungen zu jedem Termin habe die Branche stark strapaziert und die Anspannung vergrößert.
Auch „nicht Gastgeber sein zu dürfen, nicht die Berufung ausüben zu dürfen, war und ist für viele in der Tourismusbranche auch mit Frustration und Enttäuschung verbunden, trotz des Verständnisses für notwendige Schutzmaßnahmen“, sagt Dr. Bettina Bunge, Geschäftsführerin der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein. Gleichzeitig zerrt der fehlende Umsatz an den Nerven. Allein durch den Lockdown von November 2020 bis Ostern müsse die Tourismuswirtschaft in Schleswig-Holstein rechnerisch mit einem Verlust von rund 2,5 Milliarden Euro brutto zurechtkommen.
Tourismuschef von Mecklenburg-Vorpommern über Öffnungen zu Pfingsten: „Sind nicht frei von Hoffnung“
Der Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern litt an Ostern schwer am Einreiseverbot, betont Tourismuschef Tobias Woitendorf. Seine Hoffnung liegt nun auf Pfingsten.
© Quelle: RND
Harz und Sauerland fehlen wichtige Umsätze aus dem Winter- und Ostergeschäft
Laut dem Harzer Tourismusverband beendete der Harz das Tourismusjahr 2020 mit einem Rückgang der Übernachtungszahlen um rund 35 Prozent. Mit Blick auf den Gesamtbruttoumsatz seien damit Ausfälle von über 700 Millionen Euro verbunden. Bis Ende April würden die Harzer Tourismusbetriebe in normalen Jahren zwischen 25 und 30 Prozent der Übernachtungszahlen des Gesamtjahres generieren. „Die damit verbundenen Umsätze sind für 2021 bereits unwiederbringlich verloren – ein Ende ist nicht in Sicht“, so der Harzer Tourismusverband.
Auch in den Naherholungsregionen im nordrhein-westfälischen Sauerland ist die Branche eigentlich auf die Zeiträume angewiesen, die durch den Lockdown ausgefallen sind. „Die fehlenden Umsätze werden auch trotz Öffnungsszenarien zum Start der Sommerferien nicht ausgeglichen werden können“, so Rouven Soyka, Pressesprecher von Sauerland-Tourismus e. V. Die Situation in der Gastronomie und der Übernachtungsbranche sei angespannt, dennoch bestehe mehrheitlich Verständnis für die Maßnahmen der Landes- und Bundesregierung, um eine weitere Ausbreitung des Virus’ zu verhindern.
Wie lange hält die Tourismusbranche den Lockdown noch aus?
Wie lange ein Unternehmen, ein Selbstständiger die aktuelle Lage durchhalten kann, sei sehr individuell und von vielen Faktoren abhängig wie zum Beispiel von Rücklagen, Fixkosten, Überbrückungs- und Neustarthilfen, Ersatzgeschäften und der Kundentreue beim Wiederanfahren des Geschäfts. „Die Tourismusbranche in Schleswig-Holstein betrifft über 160.000 Beschäftigte von der Wattführerin bis zur Hoteldirektorin, vom Schausteller bis zum Gastronom, von der Sängerin bis zur Campingplatzbetreiberin. Jeder ist anders betroffen und hofft auf den baldigen Restart“, so Bunge.
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Laut einer Umfrage des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern schätzen aktuell 15 Prozent der Beherbergungsunternehmen ihre wirtschaftliche Lage als sehr sicher ein. Etwa 50 Prozent schätzen ihre Lage als gefährdet oder akut gefährdet ein und 37 Prozent stimmten neutral ab. Blieben allerdings staatliche Hilfen aus, müssten 18 Prozent sofort schließen und weitere 40 Prozent Ende Juli. „Das heißt, die Hälfte hält laut eigenen Aussagen nur noch bis zum Beginn des Sommerferienkorridors aus“, so Woitendorf. Die Sommersaison würde also das Ausschlaggebende für das Bestehen einer Vielzahl von Unternehmen sein.
Blick in die Zukunft: Wie könnte der Neustart aussehen?
In Schleswig-Holstein hat der Neustart schon begonnen, und zwar zunächst mit der Öffnung der Außengastronomie am 12. April, eine Woche später am 19. April durch die Modellprojekte an der Ostsee in der Schleiregion und in Eckernförde. Am 1. Mai folgte die Nordsee mit dem Kreis Nordfriesland, am 10. Mai öffnet die Stadt Büsum ihre Tore für Übernachtungsgäste. „Das heißt, es gibt nicht wie im letzten Jahr einen einzigen Öffnungszeitpunkt, sondern einen stufenweisen, vorsichtigen Übergang mit permanenter Beobachtung des Infektionsgeschehens vor Ort und möglicher Notbremse“, sagt Bunge. Außerdem müssen sich alle Gäste in diesem Jahr auf eine Maskenpflicht, strenge Hygienevorschriften, Testungen am Urlaubsort, digitale Kontaktnachverfolgung und gegebenenfalls vermehrte Besucherlenkungsmaßnahmen am Urlaubsort einstellen.
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Hotelier Kevin Heide (links) begrüßt im Eckernförder Beachside die ersten Gäste. Thomas Wenig und Andrea Schulz sind aus Hannover an die Ostsee gereist.
© Quelle: Ulf Dahl/Kieler Nachrichten
Die touristischen Modellprojekte in Schleswig-Holstein erstrecken sich in ihrer zunächst vierwöchigen Laufzeit teilweise auch über Himmelfahrt und Pfingsten. Während diese Projekte laufen, werde nach jetzigem Stand das Reisen nur in diesen Regionen möglich sein. „Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse die wissenschaftlich begleiteten Modellprojekte am Ende erzielen und welche Konsequenzen daraus gezogen werden. Wir hoffen auf die Möglichkeit für sicheres Reisen im gesamten Land, sobald die Infektionslage das zulässt, beziehungsweise möglichst viele Gäste und Bewohner schon geimpft sind“, so die Geschäftsführerin der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein.
Das Sauerland hofft auf Öffnungen einzelner Ausflugsziele, Mecklenburg-Vorpommern auf den Restart spätestens am 19. Juni
In den anderen Bundesländern sieht es dagegen eher schlecht für den Pfingsturlaub aus. Aus jetziger Sicht sei es schwer vorstellbar, dass bereits zu Pfingsten oder Anfang Juni wieder Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands möglich sein werden. „Wahrscheinlicher ist ein Szenario mit Öffnungen einzelner Ausflugsziele im Outdoorbereich mit entsprechenden Angeboten für Tagesausflügler. Natürlich würden wir uns freuen, sollte mehr möglich sein“, heißt es vom Sauerland-Tourismus e. V.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern scheint der Restart zu Pfingsten sehr unwahrscheinlich. Bis zum 22. Mai gilt die aktuelle Corona-Verordnung – also bis zum Tag vor Pfingstsonntag. „Es wäre also eine große Überraschung, wenn dann eine Öffnung gelingen würde“, sagt Woitendorf. Man hoffe in einem ersten Schritt vor den Sommerferien, den Großteil der Branche an den Start zu bringen – etwa Anfang Juni, allerdings mit Auflagen und Einschränkungen. „Aber spätestens am 19. Juni, wenn die ersten Sommerferien beginnen, hoffen wir mit voller Kapelle wieder am Start zu sein.“
Welche Lösungen fordert die Tourismusbranche von der Politik?
Wie auch immer die Regelungen für die kommenden Wochen aussehen mögen, die Tourismusakteure im Harz wünschen sich eine zügige Entscheidung seitens der Politik. „Die Menschen sehnen sich nach Auszeiten, Erlebnissen, Urlaub und Erholung. Wenn wir nicht bald ein Licht am Ende des Tunnels sehen und mit klugen Konzepten den Tourismus in Deutschland wieder an den Start bringen können, werden zahlreiche Angebote vom Markt verschwinden“, sagt Carola Schmidt, Geschäftsführerin des Harzer Tourismusverbandes. Neben Aspekten wie Lebensqualität und Freizeit gehe es um einen wichtigen Wirtschaftszweig mit mehreren Millionen Arbeitsplätzen.
„Um die aktuelle Situation seitens der Betriebe innerhalb der Tourismusbranche überstehen zu können, benötigen wir dringend langfristig angedachte Öffnungsstrategien und Perspektiven sowie Ausgleichszahlungen und Unterstützungsgelder für die Branche, die unkompliziert und zeitnah für unsere Betriebe abrufbar sein müssen“, heißt es aus dem Sauerland.
Und auch die Touristiker aus Schleswig-Holstein wünschen sich einen klaren Fahrplan mit möglichst längerfristiger Perspektive. „Aber jedem ist klar, dass sicherer Tourismus maßgeblich von der Entwicklung des Infektionsgeschehens und der Impfgeschwindigkeit abhängt“, sagt Bunge.