Hitze, Dürre, Brände: Wie und wo machen wir in einigen Jahren Urlaub?
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Ein Waldbrand, der vom Strand Pyla Sur Mer in Frankreich zu sehen ist – für Sommerurlauberinnen und ‑urlauber könnte das vielerorts neue Normalität werden.
© Quelle: Thibaud Moritz/AFP/dpa
Sommer, Sonne, Sonnenschein, Temperaturen um die 30 Grad, dazu Meer und Sandstrand – klingt nach dem perfekten Urlaubsziel, oder? War der Sommerurlaub in Deutschland vor einigen Jahren noch ein Lotteriespiel in Sachen Wetter, hat der Klimawandel zuletzt zu deutlich heißeren und trockeneren Sommern geführt – und das nicht nur an einzelnen Tagen, sondern über Wochen und Monate. Statt Sangria in Spanien nun also Bier auf Amrum?
Geht es nach Forscherinnen und Forschern, wird der Klimawandel unser Reiseverhalten ändern – und das nicht nur, weil nachhaltige Reisen im Trend sind und mehr Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, klimafreundlicher zu reisen. Denn: Bei den Deutschen beliebte Reiseziele werden heiß. So heiß, dass ein Urlaub keine Erholung mehr ist.
Berlin hat bald das Klima von Rom
Griechenland, Italien, Spanien, Portugal – sie kämpfen mit Waldbränden, Dürre und Hitzetagen mit an die 45 Grad. Selbst für Strandurlaub sind diese Temperaturen eine Herausforderung und Belastung. Der Sand zu heiß für den Strandspaziergang, der Weg vom Liegestuhl zum Wasser zu anstrengend für Abkühlung, der Schlaf ist nicht erholsam, der Körper streikt und hat keine Lust auf Aktivität.
Mehr Reisende aus dem Süden, die in Deutschland urlauben, und Deutsche mit Urlaubsreisen gen Norden – das könnte schon bald Realität werden. Analysen des Bundesumweltministeriums zeigen: 2070 könnte in Berlin das Klima vorherrschen, das sich 1990 in Rom fand, in Magdeburg das von Nordspanien, in Köln das der kroatischen Stadt Split. „In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts könnte das, was wir heute sehr heiß finden, oft eher einem Durchschnittssommer entsprechen, und noch extremere Temperaturen an einzelnen Tagen sind dann möglich“, sagt Klimatologe Peter Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Kann die Reise bei Waldbränden in der Urlaubsregion storniert werden?
In vielen Urlaubsregionen in Südeuropa kratzen die Temperaturen an der 40-Grad-Marke, teilweise drohen oder toben sogar Waldbrände.
© Quelle: dpa
Deutschland-Urlaub im Sommer, Auslandsreisen im Herbst
Ein leichter Trend, der schon vor Corona zu beobachten war, könnte sich deshalb in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verstärkten: Die Deutschen verbringen den Sommer in Deutschland und nutzen stattdessen im Frühjahr, Herbst oder Winter die Ferien für Auslandsreisen.
„Der Sommer in Deutschland ist attraktiver geworden. Man sieht eine Tendenz zum Auslandsurlaub im Herbst, aber es stellt sich die Frage, wie lange Destinationen das erhöhte Besuchsaufkommen tragen und eine nachhaltige Destinationsentwicklung realisieren können – auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels“, sagt Sabrina Seeler vom Deutschen Institut für Tourismusforschung. Sie erinnert daran, dass viele Destinationen, etwa die griechischen Inseln, ihre Saison traditionell im Herbst beenden.
Einheimische wollen lieber kurzen, intensiven Tourismus
Zudem zeigte sich in Studien, dass die lokale Bevölkerung an besonders beliebten Zielen den Tourismus eher ablehnt, wenn er das ganze Jahr über stattfindet – und nicht nur im Sommer. „Der Tourismus ist wichtig, aber die Einheimischen haben gerade während Corona den Wert eines leeren Strandes erkannt“, sagt Seeler. Die Norddeutschen hätten wieder entdeckt, wie schön es auf Usedom und Rügen ist, wenn keine Vielzahl an Reisenden dort ist.
Auch aus anderen Orten kennt man das Phänomen: In Neuseeland sprach sich die lokale Bevölkerung für eine kurze, aber intensive Tourismussaison und anschließende Ruhe aus – gegenüber einem sanfteren Tourismus, der das ganze Jahr über andauert.
Fernreisen machen Skiurlaub in den Weihnachtsferien Konkurrenz
Eine Verlagerung der Reisezeiten ist eines der Mittel – nicht nur, was den Herbst angeht. Während in deutschen Skigebieten im Winter mancherorts mit Schneekanonen gegen den Schneemangel vorgegangen wird, ziehen die Deutschen Fernreisen in Betracht. „Die Weihnachtsferien standen früher klassisch für Skiurlaub. Jetzt wollen die Menschen auch in wärmere Regionen, auf die Südhalbkugel oder auf die Kanaren“, sagt Seeler. Weil es im Herbst zuletzt so vertrocknet und verbrannt war, wird das Frühjahr beliebter – wenn alles grün ist.
Extreme Wetterereignisse beeinflussen unser Reiseverhalten nur wenig
Die Brände in Europa waren im vergangenen und auch in diesem Jahr weltweit in den Medien, einige Reisende mussten Urlaube stornieren. Doch große Auswirkungen direkt erwartet Seeler erst einmal nicht. „Wenn extreme Wetterereignisse wie das Hochwasser im Ahrtal 2021 oder die Waldbrände in diesem Jahr im eigenen Umfeld sind, schockiert uns das erst einmal. Aber es wird in der Regel auch schnell vergessen“, sagt sie – und nennt als Beispiel Paris, wo sich der Tourismus nach den Terroranschlägen 2015 auch schnell erholt hat. „Das ist immer nur eine kurze Beeinflussung. Wir erinnern uns lieber an die schönen Dinge aus dem Urlaub, nicht die schlechten“, meint sie, „deshalb verdrängen wir das bis zur nächsten Reise.“
In den kommenden Jahren könnte sich der Tourismus also erst einmal aufteilen: Einige fahren weiterhin im Sommer gen Süden, andere hingegen verbringen den Sommer lieber in Deutschland, weil das Wetter passt oder sie in den Corona-Jahren gesehen haben, dass auch Deutschland seine netten Ferienecken hat. Diese Menschen nutzen dann vielmals andere Zeiten für Auslandsreisen.
Massentourismusproblem wird durch Verlagerung nicht gelöst
Gegen den Massentourismus, über den einzelne deutsche Orte, vor allem an der Küste, in den vergangenen Jahren klagten, ist das aber keine Lösung. Klimafolgenforscher Hoffmann geht davon aus, dass vor allem im Sommer in den beliebten Gebieten in Deutschland auch weiterhin Overtourism zu finden sein wird – vor allem bei kurzfristigen Reiseentscheidungen und wenn mehr und mehr Deutsche den Sommer in Deutschland für sich entdecken. „Das kann dann schnell zur Herausforderung für Orte an der Nordsee oder Ostsee werden, weil sie plötzlich übervoll sind“, sagt er.
Und weil die Deutschen inzwischen nicht mehr nur einmal im Jahr reisen, sondern mehrfach, könnte es noch ein weiteres Problem geben – im Ausland, wenn nämlich der Herbst den Sommer als Hauptreisezeit ablöst und die Touristinnen und Touristen allerorts erst gegen September oder Oktober an beliebten Reisezielen einfallen. Deshalb: „Es ist durchaus möglich, dass sich der Overtourism im Süden einfach in eine andere Jahreszeit verschiebt.“ Dann hieße es für jene, die im Sommer in Deutschland und im Herbst im Ausland urlauben gleich zweimal Massentourismusalarm.
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