Hoffnung im Gepäck: Wird das Reisen nach Corona nachhaltiger?

Die Tourismus-Branche steht in der Corona-Krise vor großen Herausforderungen. Künftig rücken lokale Ziele in den Fokus.

Die Tourismus-Branche steht in der Corona-Krise vor großen Herausforderungen. Künftig rücken lokale Ziele in den Fokus.

Hotels, Fluggesellschaften und Veranstalter haben in den vergangenen Monaten neue Hygienekonzepte entwickelt und so wenigstens einen Teil der Reisen wieder möglich gemacht. Viele Deutsche haben dennoch auf das Reisen verzichtet oder ihren Urlaub in Deutschland verbracht. „Der Gesundheitsaspekt, der Hygieneaspekt und die Verunsicherung werden auch in Zukunft Einfluss auf das Reiseverhalten haben“, sagt Professor Jürgen Schmude. Bei der Wahl eines Reisezieles ist es noch wichtiger als vor der Krise, sich genau über das Zielgebiet zu informieren, meint der Tourismusforscher der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

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Doch bevor man sich für ein Reiseziel entscheidet, muss man zunächst feststellen, ob Reisen dorthin überhaupt wieder möglich sind. Denn auch 2021 wird das Reisen noch lange nicht wieder so funktionieren wie vor der weltweiten Pandemie. „Das Flugvolumen wird das Vor-Corona-Volumen nicht so schnell wieder erreichen“, sagt Schmude. Auch die International Air Transport Association (IATA) rechnet damit, dass viele Fluggesellschaften nicht vor 2023 oder sogar 2024 wieder ein so umfangreiches Flugangebot bieten wie zuletzt 2019. „Interkontinental ein Netz wieder hochzufahren, ist keine triviale Übung, das dauert seine Zeit. Ein Grund ist, dass Fluggesellschaften bei diesen Verbindungen auch Zubringer- und Abbringerflüge mitberücksichtigen müssen“, erklärt Christian Laesser, Touristikprofessor an der Universität St. Gallen in der Schweiz. „Regionale Tourismusmärkte werden sich schneller wieder erholen. Zielgebiet und Rekrutierungsgebiet werden enger zusammenrücken“, sagt Laesser. Es ist jetzt schon zu beobachten, dass viel mehr innerhalb Europas gereist wird, als über die Außengrenzen des Kontinents hinaus. „Die Kurz- und Mittelstrecke wird stärker nachgefragt werden, als in der Vergangenheit“, prognostiziert Schmude.

Schon 2019 war Deutschland das wichtigste Reiseziel der Deutschen

Laut Reiseanalyse 2020 der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reise (Fur) war Deutschland mit 26 Prozent aller Urlaubsreisen bereits im vergangenen Jahr das wichtigste Reiseland der Deutschen. „Das wird auch nach Corona – wenn es das dann gibt – so sein. Aber als Urlaubsreisende stand vor Corona den Deutschen nahezu die ganze Welt offen. Im Jahr 2020 war das nicht so, die Reiseziele wurden aus den möglichen ausgewählt. Sobald sich der Rahmen des Möglichen wieder erweitert, wird er auch genutzt werden“, sagt Professor Martin Lohmann, Geschäftsführer des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa in Kiel.

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„Wir müssen unser Reiseverhalten überprüfen“, fordert Schmude. „Corona hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass wir vielleicht in der Vergangenheit zu selbstverständlich gereist sind und auch Reisen gemacht haben, die eventuell nicht unbedingt notwendig waren.“ Viele betrachten das Reisen nicht erst seit Corona aus einer kritischen Perspektive. Der Begriff Flugscham tauchte vor Corona nicht nur immer häufiger in den Medien auf, er setze sich auch immer mehr in den Köpfen fest. So wie die Kritik am Kreuzfahrttourismus.

Nachhaltigkeit ist in den Hintergrund gerückt

Die Themen sind durch Corona aktuell nicht mehr so präsent. „Die Diskussion um Nachhaltigkeit ist in den Hintergrund gerückt. Derzeit geht es ums finanzielle Überleben der Tourismusbranche, von Unternehmen, Privatpersonen und ganzer Staaten. Da sind zunächst einmal viele andere Probleme zu lösen“, sagt Christian Laesser. Schmude ist sich jedoch sicher, dass die alten Kritikpunkte nach der Pandemie wieder aufkommen. Auch bei der Reiseanalyse 2020 gaben die Befragten an, dass Nachhaltigkeit im Urlaub für sie ein wichtiges Thema ist.

Aber nur wenige setzen ihre guten Vorsätze auch in die Tat um und buchen etwa zertifizierte Unterkünfte oder kompensieren ihren CO2-Verbrauch. Das Phänomen hat einen Namen: Behavior Gap. „In der Theorie spielt Nachhaltigkeit eine Rolle, wir leben das auch im Alltag, aber in den schönsten Wochen des Jahres wollen wir damit nichts zu tun haben“, sagt Schmude. Der Tourismusforscher sieht aber einen positiven Trend. „Die aktuelle Umfragen zeigen, dass immerhin ein Viertel der Deutschen Bevölkerung darüber nachdenkt, anders zu reisen, als vor Corona“, sagt er.

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Veranstalter nehmen Nachhaltigkeit wichtiger

Auch bei den Veranstaltern rückt das Thema Nachhaltigkeit seit einigen Jahren immer weiter in den Fokus. Schon vor der Pandemie haben einzelne damit begonnen, Reiseunterlagen nur noch in elektronischer Form bereitzustellen. Bei Tui gibt es seit Ende 2016 keine gedruckten Reiseunterlagen mehr, FTI erhebt seit Ende vergangenen Jahres eine Gebühr auf die gedruckten Unterlagen, um noch mehr Kunden dazu zu bringen, darauf zu verzichten. Der Münchner Veranstalter verzichtet für die Wintersaison 2020/2021 außerdem erstmals darauf, gedruckte Kataloge zu produzieren. Die meisten Veranstalter haben nachhaltige Hotels im Programm und bieten den Reisenden die Möglichkeit, CO₂-Emissionen bei Reisen zu kompensieren. Studiosus Reisen aus München geht noch ein Stück weiter: Bereits seit 2012 kompensiert der Veranstalter selbst alle Bus-, Bahn- und Schifffahrten der Reisen. Ab 2021 kommen Kompensationen für Flüge, Übernachtungen und Verpflegung dazu.

„Der Tourismus wird nicht sterben“

In einigen Bereichen hat Corona die Entwicklung vorangetrieben, in anderen aber auch große Rückschritte gebracht. So haben viele Restaurants und Hotels aus hygienischen Gründen auf gedruckte Speisekarten verzichtet. Diese sind vielerorts nun papierlos per QR-Code und Handy oder auf den Websites abrufbar. Gleichzeitig stieg aber zum Beispiel der Verbrauch von Einwegbesteck und Geschirr. Das war natürlich auch mit höheren Ausgaben verbunden in einer Zeit, in der das Geld immer knapper wurde – nicht nur in der Hotellerie.

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Experten rechnen damit, dass das knapper gewordene Budget einen besonders großen Einfluss auf das Buchungsverhalten in den nächsten Jahren haben wird. „Selbst wenn die Gesundheitskrise irgendwann vorbei ist, werden wir in vielen Ländern eine wirtschaftliche Krise haben. Rezession und Einkommensunsicherheiten spielen dann eine große Rolle, und das ist Gift für die touristische Nachfrage. „Wenn ich nicht sicher bin, ob ich in einem halben Jahr noch einen Job habe, dann werde ich mir zweimal überlegen, wie viel Geld ich für Reisen ausgebe. Das wird sicherlich für längere Zeit für einen Nachfragedämpfer sorgen“, sagt Laesser. „Die UNWTO (Weltorganisation für Tourismus, Anmerkung der Redaktion) hatte für 2030 prognostiziert, dass wir 1,8 Milliarden internationale Touristenankünfte haben werden. Ich bin jetzt etwas skeptisch, dass wir dieses Ziel erreichen werden“, sagt Schmude. „Aber der Tourismus wird nicht sterben.“

So bauen die Veranstalter die Deutschland-Angebote weiter aus

Frühbucherrabatte und flexible Umbuchungsoptionen: Um das Geschäft für 2021 anzukurbeln, locken die Reiseveranstalter besonders in diesem Jahr mit unterschiedlichen Angeboten. Bei vielen sind die Reisen schon seit dem Frühjahr buchbar. Und das wird gern genutzt.

Bei Tui steht Deutschland seit vielen Jahren ganz oben auf der Hitliste der beliebten Reiseziele. „Aktuell ist das Angebot so groß wie nie zuvor“, sagt Unternehmenssprecherin Anja Braun. „Die Pandemielage verstärkt den Wunsch nach Reisen im eigenen Land nun noch weiter, sodass auch Ziele abseits der klassischen Urlaubsregionen wie den Küsten und Alpen von dem Nachfrageboom profitieren“, sagt FTI-Sprecherin Angela Winter. Die Veranstalter haben deshalb das Deutschland-Angebot für 2021 erweitert. Das gilt auch für DER-Touristik mit seinen Marken Dertour, IST, Jahn Reisen und Meiers Weltreisen.

Ein Schwerpunkt bleibt außerdem bei allen Reisen in die Mittelmeerregion mit beliebten Zielen wie den Balearen, den Kanaren und vielen griechischen Inseln. So wie Tui halten aber auch DER Touristik und FTI Touristik an weltweiten Reiseangeboten fest. „Derzeit ist für die Resorts der Malediven eine vergleichsweise hohe Nachfrage zu verzeichnen“, sagt Alexander Appelmann, Senior Vice President für Europa und Fernreisen.

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Für viele Deutsche spielt bei der Wahl eines Reisezieles auch die Klimafreundlichkeit eine Rolle. DER Touristik erweitert wegen der hohen Nachfrage das Angebot an Camp- und Wohnmobilen für Europa. Die Caravaningbranche steuert generell auf ein neues Rekordjahr zu. „Seit Jahresbeginn wurden mehr als 70.000 Reisemobile und Caravans neu zugelassen – ein Plus von mehr als 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr“, meldet der Caravaning Industrie Verband.

In unserer Serie „Wie wollen wir jetzt Leben?“ stellen wir Ihnen vom 7. bis zum 14. November Ideen für eine nachhaltige Welt vor.

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