Heinz Rudolf Kunze über die Corona-Krise: “Es ist ganz große Not”

Musiker Heinz Rudolf Kunze macht sich Sorgen über die Künstlerbranche.

Musiker Heinz Rudolf Kunze macht sich Sorgen über die Künstlerbranche.

Er sei der Einzige in seinem Bekanntenkreis, der keine Rhabarberschorle trinkt, erzählt Heinz Rudolf Kunze dem Publikum bei seinen Solokonzerten. Für Mitläufertum hat der 63-Jährige kein Verständnis. Er zieht es vor anzuecken, aufzumucken. Schon immer. Seit er 1970 im Alter von 13 Jahren in Münster The Who live erlebt hat, wollte er Musiker werden. Sein Debüt “Reine Nervensache” erschien 1981. Auf seinem aktuellen 28. Studioalbum “Der Wahrheit die Ehre” protestiert er gewohnt sprachgewandt gegen dreiste Vereinfacherer, Hetzer und Demokratiefeinde.

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Herr Kunze, Künstler waren die Ersten, die der Corona-Ausbruch ausgebremst hat. Sie mussten Ihre für Mai geplante Tour bereits zweimal auf kommendes Frühjahr verschieben. Das Virus zeigt schonungslos, wie sehr Sie und Ihre Kollegen davon abhängig sind, Konzerte zu geben.

Ja, natürlich. Wir sind völlig davon abhängig geworden. Drei Viertel der CD-Verkäufe von einst sind inzwischen weggebrochen. Du kannst sagen: Egal, ob du Helene Fischer bist oder Karl Arsch der Letzte, du setzt nur noch ein Viertel der Tonträger ab, die du in den goldenen Jahren verkauft hast.

Fürchten Sie um Ihre Existenz?

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Mein Freund Purple Schulz, der viel besser vernetzt ist als ich, hat mir gesagt: “Heinz, ändert sich nichts, wird es die Hälfte von uns in einem Jahr nicht mehr geben.” Ich kenne Begleitmusiker, die sonst auf den größten Bühnen stehen, die arbeiten jetzt an der Tankstelle an der Kasse. Es ist ganz große Not. Und ob meine Tournee im kommenden Jahr tatsächlich stattfindet, ist nicht sicher. Und das 2021, in meinem Jubiläumsjahr.

1981 erschien ihr Debütalbum “Reine Nervensache”.

Wir wollen eigentlich richtig feiern und ein Jubiläumsalbum veröffentlichen. Das hängt alles in der Luft.

Man denkt doch, Heinz Rudolf Kunze, der ist schon so lange dabei, der konnte sich etwas zurücklegen, der hat doch ordentlich Platten verkauft.

Habe ich auch, ja. Ich muss aber dazu sagen: Ich habe in meinem Leben durch schlechte Beratung finanziell viel Pech gehabt. Wenn ich nicht so viel fehlinvestiert hätte, könnte ich in einer Situation sein, nicht mehr arbeiten zu müssen. Das ist aber nicht so. Ich habe viel Geld in den Sand gesetzt.

“Zwei Jahre halten wir nicht durch”

Wie lange könnten Sie durchhalten?

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Ich kann ganz offen sagen, und damit spreche ich für viele Kollegen: Zwei Jahre halten wir nicht durch. Ein Jahr funktioniert. Und denken Sie an die ganzen Bühnentechniker und die Roadies, die meine Gitarren und Verstärker buckeln. Die bekommen kein Geld von der Gema. Die sind ja quasi Schiffsschaukelbremser, Zirkusleute. Die haben gar nichts. Ich kenne einige, die sind wieder bei ihren Eltern eingezogen. Ich habe zumindest noch die Gema-Einnahmen, ab und zu fließt noch was rein. Deswegen bekommen Künstler auch keine staatliche Unterstützung. Die bekämen wir nur, wenn wir null Einkünfte hätten.

Haben Sie Corona-Hilfe beantragt?

Mein Steuerberater hat das für mich versucht.

Sie hätten wirklich staatliche Hilfe angenommen? Setzen Sie dadurch nicht Ihre künstlerische Unabhängigkeit aufs Spiel? Könnten Sie dann noch Protestsongs gegen politische Machenschaften singen?

Damit könnte ich leben. Diesen Widerspruch würde ich aushalten.

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“Wir sind am Ende” heißt ein neuer Text von Ihnen, den Sie in den sozialen Medien veröffentlicht haben. Darin heißt es: “Manche werden noch gerettet, wir sind nicht dabei, denn man liegt wie man sich bettet, Clowns sind vogelfrei”.

Es gibt ja Leute, die sind gleicher als andere. Es wird immer so ergreifend über Fußball geredet. In dem Moment, wo sie wieder nennenswert Fans in die Stadien lassen, muss die Veranstalterbranche klagen und sagen: So geht das aber nicht. Die Leute, die sich dort in die Arme fallen und einander “Toooooor” ins Gesicht brüllen, die sind doch wohl mehr gefährdet als sittsame Konzertbesucher.

Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg wollte am 4. September Bryan Adams vor 13.000 Fans im Düsseldorfer Stadion auftreten lassen. Die Stadt hatte Show und Hygienekonzept genehmigt. Die Landesregierung hatte Bedenken. Lieberberg hat das Konzert verschoben. Hinzu kam: Es waren nur 7.000 Karten verkauft worden.

Natürlich hat das jetzt auch noch so eine Wirkung. Die Leute trauen sich nicht mehr.

Haben Sie eine Idee für den Live-Neustart in Corona-Zeiten?

Ich bin ja kein Virologe. Ich finde nur, dass man auf Profis wie Marek Lieberberg unbedingt hören sollte. Er kennt das Geschäft wie kein Zweiter.

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“Wie eine Kuh, die seit Monaten nicht gemolken wurde”

In jeder größeren Stadt gibt eine große Multifunktionsarena. Könnte man nicht dort alle Konzerte stattfinden lassen, solange die Corona-Krise dauert? Man müsste nur ein einziges Hygienekonzept erarbeiten. Alle Veranstalter und die kleineren Häuser, wo dann keine Konzerte stattfinden, müssten beteiligt werden.

Das ist eine gute Idee. Das setzt aber voraus, dass die Hallenbesitzer mit ihren irrsinnigen Mieten runtergehen. Ein Veranstalter kann es sich nicht leisten, in eine Halle, in die 15.000 Menschen passen, nur 2000 zu lassen.

Das Wirtschaftsministerium...

...könnte was dazugeben.

...könnte das zusammen mit den örtlichen Veranstaltern koordinieren, wollte ich sagen.

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Wir müssen da unbedingt ran. Die Menschen könnten sich an diesen Zustand gewöhnen und irgendwann Konzerte gar nicht mehr vermissen. Das ist meine allergrößte Angst, die hinten am Horizont lauert.

Meinen Sie wirklich?

Das weiß ich nicht. Aber ich bin ein Angstprofi. Ich bin Panikexperte. Meine allergrößte Sorge ist, dass die Leute sagen: “So ist das halt. Musik hört man im Radio. Oder mit der Stereoanlage. Live? Nö!” Das wäre dann unser Ende. Dann gingen wir ein. Dann wären wir eine aussterbende Art, denn vom Streaming allein können wir nicht leben. Ich bekomme dafür Cent-Beträge. Das ist Enteignung.

Wie kommen Sie zurzeit über die Runden?

Ich trete mit meinem Soloprogramm auf und veröffentliche im Winter eine Liveplatte dazu. Ich habe angefangen, einen Podcast zu produzieren. Er heißt “Durch die Brille gefragt”. Reinhard Mey, Klaus Meine und Jim Rakete habe ich dafür schon interviewt. Demnächst spreche ich Wigald Boning. Ich hoffe, dass ich damit irgendwann, wenn er sich etabliert hat, auch etwas Geld verdiene. Auch möchte ich versuchen, einen Teil meiner unveröffentlichten Texte herauszubringen. Es gibt ja Tausende. In diesem Jahr habe ich schon mehr als 400 geschrieben. Ich fühle mich wie eine Kuh, die seit Monaten nicht gemolken wurde. Mein Euter platzt fast.

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Sie haben vor, am 25. September in der Blues Garage in Isernhagen aufzutreten. Lohnen sich die Solokonzerte überhaupt?

Eigentlich lohnt es sich nicht. Es ist ein Trinkgeld. Bisher lag die Obergrenze bei 250 Zuhörern pro Konzert. In Kirchen habe ich auch gespielt. Dort gibt es noch weniger Plätze. Es ist bitter, weil ich mit dem Programm sonst vor 500 bis 1000 Menschen auftrete. Man muss dankbar sein. Besser als nichts.

Stimmt Sie das Testkonzert von Tim Bendzko in Leipzig optimistisch?

Ja. Man muss weiter Hygienekonzepte erarbeiten, ausprobieren und verbessern. Man kann doch nicht einfach nur die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass wir alle Taxifahren müssen.

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