„Toxische Diätkultur“: Warum Gwyneth Paltrow massiv in der Kritik steht
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Mit Goop hat sich Hollywoodstar Gwyneth Paltrow ein Beauty-Imperium geschaffen.
© Quelle: Getty Images for goop
Ein Kaffee am Morgen, Knochenbrühe am Mittag, Gemüse und Paleo-Küche am Abend, dazwischen eine Stunde Sport und eine halbe Stunde Infrarotsauna – so sieht die, wie sie es nennt, Wellnessroutine von Hollywoodstar Gwyneth Paltrow aus. Das plauderte sie Anfang dieser Woche im Podcast „The Art of Being Well“ mit Will Cole, der sich Doktor nennt, aber einen Doktortitel in Chiropraktik hat, aus. Bei der Aufnahme hatte sie eine Infusion in der Hand stecken. „Ich liebe intravenöse Therapien“, sagt sie lachend. Bestimmte Vitamine und Nährstoffe lasse sie sich intravenös zuführen, sogar eine Lieblingsinfusion habe sie: Phosphatidyl, das den Stoffwechsel anregen soll. Es sei ihr wichtig, ihre Entgiftung voranzutreiben, so die Schauspielerin.
Mit den Aussagen hat die 50-Jährige in dieser Woche für Aufsehen gesorgt. Drei 30 bis 40 Sekunden dauernde Clips, die die Produktionsfirma „Dear Media“ aus dem Podcast teilte, wurden bereits mehr als vier Millionen Mal angesehen und mehr als 20.000-mal kommentiert – nur im Original. Zahlreiche Menschen schrieben, dass Hungern keine Wellness sei und Knochenbrühe keine Suppe, wie Paltrow sie bezeichnete. „Es ist, als würde sie sich permanent auf eine Darmspiegelung vorbereiten“, schreibt eine Nutzerin.
Reaktion auf Gwyneth Paltrows Podcast: „Du machst Werbung für Essstörungen“
„Sie ist die Mutter aller Almond Moms“, kommentierte eine weitere. Als „Almond Mom“ werden im englischsprachigen Raum Mütter genannt, die strenge Diätvorschriften für sich und ihre Kinder verfolgen, um bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen. Viele kritisieren, dass Paltrow eine Vorbildfunktion für Mädchen und junge Frauen habe – die ihr womöglich nacheiferten und eine Essstörung entwickelten. „Du machst Werbung für Essstörungen“, lauten viele Kommentare im Instagram-Profil der Schauspielerin. Auch zahlreiche junge Menschen, die eine Essstörung hatten oder haben, meldeten sich zu Wort und bezeichneten die Ausführungen als enorm schädlich.
Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberater mischten sich in die Diskussion ebenfalls ein. Lauren Cadillac teilte einen Clip auf Tiktok, in dem sie ihre Reaktionen zu Paltrows Aussagen teilt. Sie hält sich den Mund zu, schüttelt ungläubig den Kopf. „Das ist nicht genug Nahrung. Das ist keine Wellness, das ist eine Störung“, resümiert sie in dem Beitrag, der knapp 200.000-mal gesehen wurde. Sie fragt rhetorisch, von was Paltrow entgiften wolle – bei nahezu keiner Nahrung. An Tiktok-Nutzerinnen und Nutzer gerichtet sagt sie: „Bitte hört auf, Berühmtheiten zu folgen und auf sie zu hören, wenn es um eure Gesundheit und euer Wohlbefinden geht.“
Gwyneth Paltrow und ihre Firma Goop: Millionengeschäft mit der Schönheit
Auch im deutschsprachigen Raum verbreitete sich der Clip in sozialen Medien rasant – mit einer gehörigen Portion Kritik. Die Autorin und Journalistin Annika Brockschmidt schrieb auf Twitter, dass Paltrow Essstörungen bewerbe und damit Geld verdiene. Denn nebst ihrer Schauspielkarriere, die Paltrow bereits einen Oscar einbrachte, hat sie sich ein Millionen-Business mit dem Shop Goop aufgebaut, in dem sie teure Wellnessprodukte verkauft, aber auch Kleidung, Schminke, Sexspielzeug, Geschirr sowie Koch- und Ernährungsbücher.
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Wenige Kommentare verteidigen Paltrow mit ihrer speziellen Diät. Man müsse darüber sprechen, welch ein System zugrunde liegt, dass eine Frau glaube, sie müsse sich auf diese Art ernähren, um schön zu sein und zu gefallen, schreibt eine Nutzerin bei Twitter. Brockschmidt hingegen hat einen klaren Standpunkt: „Ja, auch Gwyneth Paltrow existiert innerhalb des patriarchalischen Systems, aber sie stützt es und profitiert davon, indem sie gefährliche ‚Beauty-Standards‘ und Esoscheiß für sehr viel Geld verkauft“, schreibt sie. „Der Mist, den sie für viel Geld verkauft, ist auch nicht lustig – neben den physischen Auswirkungen wird auch das Radikalisierungspotenzial in ‚Wellness Spaces‘ massiv unterschätzt.“
Gwyneth Paltrow: ein Leben in Hollywood
Paltrow ist ein Beispiel für jene Radikalisierung einer Frau, die ihr Leben lang in Hollywood ihren Platz finden musste und von Geburt an mit berühmten Menschen zu tun hatte, die aufgrund der Öffentlichkeit häufig auf ihr Aussehen achten mussten. Gwyneth Katherine Paltrow wurde 1972 in Los Angeles geboren. Ihre Mutter ist Schauspielerin Blythe Danner („Futureworld – das Land von übermorgen“), die Wurzeln in Deutschland hat, ihr Vater Regisseur und Produzent Bruce Paltrow („Traumpaare“), der polnische und belarussische Wurzeln hat. Gemeinsam mit ihrem drei Jahre jüngeren Bruder Jake Paltrow, seinerseits Regisseur und Drehbuchautor („The Good Night“) wuchs sie in Hollywood auf, lernte diese Szene, in der es um Schönheit, Jugend und Macht geht, von klein auf kennen.
Paltrow verbrachte ein Jahr als Austauschschülerin in Spanien und begann später Kunstgeschichte zu studieren, brach jedoch ab, weil sie den Weg ihrer Mutter einschlagen und Schauspielerin werden wollte. 1991 wurde sie an der Seite von Dustin Hoffman, ihrem Patenonkel, als junge Wendy im Steven-Spielberg-Film „Hook“ bekannt. Vier Jahre später spielte sie an der Seite ihres Liebespartners Brad Pitt sowie Morgan Freeman in „Sieben“, 1998 folgte schließlich der große Durchbruch. Für ihre Rolle als Viola de Lesseps in „Shakespeare in Love“ erhielt sie einen Oscar sowie einen Golden Globe. Noch heute sei „Shakespeare in Love“ einer ihrer Lieblingsfilme, sagt Paltrow im eingangs erwähnten Podcast.
Gwyneth Paltrow: immer umgeben von berühmten Menschen
Auch privat lief es bei der gläubigen Jüdin: Nach den gescheiterten Beziehungen mit Brad Pitt und Ben Affleck heiratete sie 2003 Coldplay-Sänger Chris Martin und bekam mit ihm zwei Kinder. Elf Jahre nach der Hochzeit folgte die Trennung, seit 2018 ist sie in zweiter Ehe mit TV-Produzent Brad Falchuk verheiratet.
Paltrow ist zwar immer noch als Schauspielerin aktiv, etwa in „Iron Man“, und hat seit 2010 auch einen Stern auf dem „Walk of Fame“, die Hochphase ihrer Karriere hatte sie aber Ende der 90er-Jahre bis weit in die 00er-Jahre hinein. Binnen eines Jahres, 2008 auf 2009, soll sie allein 25 Millionen US-Dollar an Gagen erhalten haben, was sie zur viertbestbezahlten Darstellerin Hollywoods aufsteigen ließ.
Goop: Aus einem Lifestyle-Newsletter wird ein Beauty-Imperium
2008 war aber auch das Jahr, der den Grundstein für ihre zweite Karriere legte: Aus ihrem Newsletter mit Tipps zu Lifestyle, Beauty, Wellness und Food aus ihrer eigenen Küche wurde der Onlineshop Goop, in dem sie die passenden Produkte vertrieb. Auch wenn sie weiter hauptsächlich als Schauspielerin und ab 2011 auch als Sängerin (Platz eins in den australischen Charts mit „Do You Wanna Touch Me?“) arbeitete, baute sie im Schatten ihr neues Beauty-Imperium auf. Das Prinzip war simpel: In Interviews sprach sie als eine der ersten von ihrer glutenfreien Ernährung, schrieb ein Kochbuch dazu und vertrieb es, zusammen mit passenden Produkten, im Onlineshop.
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Goop, ein Name ohne Bedeutung, sollte Wohlfühlen und Wellness vermitteln – zwei positivere Begriffe im Gegensatz zu dem zu dieser Zeit schon umstrittenen Begriff Schönheit. Anstatt Schlanksein wurde Entgiftung propagiert, statt Schminke Produkte zur Hautregeneration, statt Designermöbeln nachhaltige. Schönheitsoperationen lehnt Paltrow immer wieder ab, sprach sich für das natürliche Altern aus – wozu in ihrem Fall aber auch gehört, sich Ozon in den Darm spritzen zu lassen, weil das in der alternativen Medizin als entzündungshemmend gilt und Gerüche entfernen soll. Und so stand Goop von Anfang an eben vor allem für die schönen Dinge im Leben, nur positiver besetzt, um sie besser zu verkaufen: schöne Dinge, schöne Haut, schöne Menschen.
Gleichzeitig hatte Paltrow offenbar ein gutes Händchen für kreative Neuerfindungen. Sie holte Sexspielzeug aus der Schmuddelecke und machte begehrenswerte Lifestyle-Produkte daraus, die sie immer wieder – auch aufgrund ihres Namens – prominent in Medien platzieren konnte. 2020 sorgte sie mit einer Kerze, die nach ihrer Vagina riechen soll, für Schlagzeilen. Die Kerze war binnen kürzester Zeit ausverkauft, auch Nachschub ist oft sofort vergriffen. Außerdem erhielten ihre Yoni-Eier, die sich Frauen dauerhaft in die Vagina stecken sollen, um die weibliche Energie zu stärken, mediale Aufmerksamkeit. In US-Medien wird Paltrow inzwischen auch als Mogulin bezeichnet, das Unternehmen soll einen Wert von 250 Millionen US-Dollar haben. Der Streamingdienst Netflix hat gar eine eigene Serie dazu gemacht: „The Goop Lap with Gwyneth Paltrow“.
Frauen stehen gegen „toxische Diätkultur“ auf
Während Goop und bisherige Offenbarungen ihres Wellnesskonzepts funktioniert haben, scheint bei vielen Menschen durch den Podcast aber eine Grenze erreicht. Am Freitag hat sich Paltrow auf die Kritik in ihrer Instagram-Story gemeldet – und fühlt sich falsch verstanden. Sie esse mehr als Knochenbrühe und Gemüse, erzählte sie ihren mehr als acht Millionen Followerinnen und Followern. Sie esse volle Mahlzeiten und sie habe Tage, an denen sie esse, was sie wolle, „auch mal Pommes oder so etwas.“ Das Gespräch sei eines mit ihrem behandelnden Arzt gewesen, der sie aufgrund chronischer Erkrankungen und Long Covid, was zu hohen Entzündungswerten führe, seit zwei Jahren behandle. „Es ist nicht als Rat für andere gedacht, sondern nur als das, was bei mir funktioniert hat, und sehr kraftvoll und sehr positiv für mich war“, so die Schauspielerin.
Als solchen Rat nahmen es aber viele, die den Podcast hörten oder sahen, wahr. Dennoch habe das auch etwas Gutes, finden manche Userinnen und User. Eine Frau schreibt: „Was mich an diesen Kommentaren glücklich macht? Dass wir als Frauen aufstehen und diese verdammte toxische Diätkultur, die uns, unsere Töchter, unsere Mütter, unsere Söhne jahrelang geplagt hat, abschaffen“, schreibt eine Frau. „Scheiß auf diesen Mist, Schatz, Knochenbrühe und Gemüse ist nicht genug für uns und unser Wohlbefinden. Mach es besser.“