Türkischer Außenminister wirbt um Touristen - Experten fürchten zweite Corona-Welle
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/E2BEHCJFZ5AV7HOFCTQKVANLPE.jpeg)
Sonnenschirme liegen am Strand von Lara auf leeren Strandliegen. Die türkische Regierung erwartet, dass die Bundesregierung ihre weltweite Reisewarnung noch vor den Sommerferien auch für die Türkei aufhebt.
© Quelle: picture alliance / dpa
Athen. Mevlüt Cavusoglu ist “enttäuscht” von Deutschland. Vergangene Woche hatte sein Kollege Heiko Maas die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amts modifiziert. Seit Montag sind Urlaubsreisen in 27 europäische Länder wieder möglich. Für 160 außereuropäische Länder bleibt die Reisewarnung aber mindestens bis zum 31. August bestehen. Darunter ist auch die Türkei.
Er verstehe die Gründe für die Entscheidung nicht, sagte Cavusoglu dem “Spiegel” und forderte die Bundesregierung auf, die Warnung “zum frühestmöglichen Zeitpunkt” zurückzunehmen. Die Türkei habe alle Hygienemaßnahmen ergriffen, deutsche Touristen seien “auf das Wärmste willkommen”.
Außenminister Cavusoglu wirbt, Gesundheitsminister Koca warnt
Aber während Cavusoglu um Urlauber wirbt, mahnt der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca zur Vorsicht: “Wir bewegen uns von unserem Ziel weg”, twitterte Koca. Die Corona-Epidemie stelle “immer noch eine ernste Bedrohung” dar.
Tatsächlich sind die jüngsten Zahlen, die Kocas Ministerium meldet, beunruhigend. Seit Donnerstag vergangener Woche stieg die Zahl der täglich neu gemeldeten Corona-Infektionen von 987 über 1459 auf 1562 – eine Zunahme um fast 60 Prozent in nur drei Tagen. Die regierungsnahe Zeitung “Daily Sabah” schreibt bereits von der “Angst vor einer zweiten Welle”.
Fachleute führen den plötzlichen Anstieg auf die jüngsten Lockerungen zurück. Vor zwei Wochen hatte die Regierung die meisten Kontaktbeschränkungen aufgehoben. Restaurants, Einkaufszentren und Fitnessstudios sind wieder geöffnet.
Viele Menschen machen ausgiebig Gebrauch von der wiedergewonnenen Freiheit: Ob beim Picknick in den Parks, beim Sport oder beim Einkaufsbummel. Viele verzichten auf Masken und kommen sich gefährlich nahe. Auf dem Istanbuler Taksim-Platz herrschte am Wochenende sogar Partystimmung und dichtes Gedränge.
Verspielt die Türkei ihre Fortschritte im Kampf gegen Corona?
“Wir laufen Gefahr, die Fortschritte bei der Bekämpfung der Epidemie wieder zu verspielen”, warnte Professor Tevfik Özlü, ein Mitglied des türkischen Corona-Sachverständigenrates, im TV-Sender NTV. Der Anstieg der Infektionen sei “alarmierend”, so der Experte. “Wenn diese Sorglosigkeit weitergeht, könnten wir in eine Krise zurückfallen”, so Özlü. Auch der Corona-Experte Professor Levent Yamanel warnt: “Die Pandemie ist noch nicht vorüber!”
Derweil werben türkische Hoteliers mit strikten Hygieneprotokollen und Sicherheitsvorkehrungen um Gäste. Inspektionen und Prüfsiegel des deutschen TÜV sollen Vertrauen schaffen. Die Regierung will ankommende Touristen noch an den Flughäfen auf das Coronavirus testen.
Den offiziellen Zahlen zufolge hat das türkische Gesundheitssystem die Corona-Epidemie bislang recht gut bewältigt. Das zeigt ein Vergleich mit Deutschland, das ähnlich viele Einwohner hat: Die Türkei meldet 178.239 Infektionen, gegenüber 187.423 in Deutschland. Die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 wird in der Türkei aber mit 4807 nur etwa halb so groß wie in Deutschland mit 8867 angegeben. Auch deshalb hoffte die Regierung in Ankara, Deutschland werde die Reisewarnung aufheben. Der jüngste Anstieg der Infektionen spricht aber nicht dafür.