Spurensuche ein Jahr nach dem Zugunglück von Garmisch: zerbröselte Schwellen oder aufgeweichter Bahndamm?
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Bei einem schweren Zugunglück sind in Garmisch-Partenkirchen mehrere Menschen ums Leben gekommen. Ein Regionalexpress entgleiste in der beliebten oberbayerischen Urlaubsregion auf dem Weg von Garmisch nach München.
© Quelle: Angelika Warmuth/dpa
Berlin. Der Regionalzug RB 59458 nach München verließ Garmisch-Partenkirchen am 3. Juni 2022 fünf Minuten nach Fahrplan um 12.12 Uhr. 140 Fahrgäste saßen in den fünf Doppelstockwagen, die Lokomotive schob den Zug von hinten an. Bereits nach vier Minuten Fahrt entgleiste der Zug, der zweite und dritte Wagen kippten den acht Meter tiefen Bahndamm hinunter, der vierte bohrte sich ins Bett des Bergbachs, der an der Unfallstelle zwischen dem Bahndamm und einer Bundesstraße verläuft. Fünf Menschen starben, darunter ein 13-jähriger Junge. 16 Personen wurden schwer und 62 leicht verletzt.
Knapp ein Jahr nach dem Unglück liegt nun ein erster offizieller Zwischenbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) zur Unfallursache vor. Demnach seien beschädigte Betonschwellen die Hauptursache für das tödliche Zugunglück.
Zwischenbericht zum Zugunglück in Garmisch: Ermittler nennen „Mangel am Oberbau“
In dem Zwischenbericht benennen die Unfallermittler einen „Mangel am Oberbau“ der Bahnstrecke als primäre Ursache für das Entgleisen des Regionalzugs. Die am Unglücksort verlegten Spannbetonschwellen hätten Schäden aufgewiesen, die dazu geführt hätten, dass die sogenannten Schienenauflager als Bindeglieder zwischen Schiene und Beton wegbrachen. „Das ist das, was derzeit gesichert ist“, sagte ein BEU-Sprecher am Donnerstag. „Die Ermittlungen zur Unfallursache sind aber deutlich umfangreicher und dauern an.“
Die Behörde betont in dem Zwischenbericht auch, ihre Untersuchungen dienten nicht dazu, ein Verschulden festzustellen, Fragen der Haftung oder sonstiger zivilrechtlicher Ansprüche zu klären. Die Staatsanwaltschaft München II ermittelte zuletzt gegen vier beschuldigte Bahnmitarbeiter wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Ein von der Staatsanwaltschaft beauftragtes Gutachten soll in den kommenden Wochen fertiggestellt werden. Zudem hat die Deutsche Bahn am Mittwoch angekündigt, eine eigene unabhängige interne Untersuchung durch eine Anwaltskanzlei beauftragt zu haben. Diese solle „insbesondere klären, ob das Zugunglück im Zusammenhang mit möglichen internen Versäumnissen steht“.
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Mutmaßlich will sich der Konzern damit auch auf mögliche zivilrechtliche Auseinandersetzungen mit Geschädigten des Unfalls vorbereiten.
Bahn will 480.000 Betonschwellen austauschen
Zudem hat die Bahn angekündigt, rund 480.000 Betonschwellen auszutauschen. Damit war nach dem Unfall im vergangenen Jahr begonnen worden. Zunächst wurden bundesweit 200.000 Schwellen einer bestimmten Bauart und eines bestimmten Herstellers untersucht. Dann wurde das Programm auf weitere Hersteller ausgedehnt, die die gleiche Gesteinsart für den Beton verwendeten.
Noch sei die Unfallursache nicht abschließend geklärt, hieß es von der Bahn. „Nach derzeitigem Kenntnisstand spricht vieles dafür, dass Betonschwellen zumindest auch unfallursächlich gewesen sein könnten.“ Der Konzern weist stets darauf hin, dass diese Maßnahmen vorsorglich erfolgten.
Ein anderes zum Jahrestag vorgelegtes Gutachten sieht die Unfallursache nicht im Oberbau, sondern im Unterbau des Bahndamms. Es stammt von dem Hamburger Nahverkehrsberater Dieter Doege, der mithilfe der Lokführergewerkschaft GDL Bahnpersonal und auch Fahrgäste des Unglückszuges befragt hat. Es „ist für die primäre Unglücksursache unerheblich, ob im Unglücksbereich eventuell schadhafte (Brösel-)Schwellen verbaut worden sind“, schreiben Doege und seine Mitstreiter in einem zwölfseitigen Papier. „Die schweren Beschädigungen an Schwellen, Schienen und Fahrleitung“ hätten „mit der eigentlichen – also der entscheidenden – Unglücksursache nicht das Geringste zu tun“.
Zweites Gutachten sieht Bahndamm aufgeweicht
Der Bahndamm sei durch den parallel laufenden Bergbach durchfeuchtet gewesen, glaubt Doege. Dieser Bach – der Katzenbach – sei vor Jahrzehnten bei der Erweiterung der parallel laufenden Bundesstraße umgeleitet worden und pralle nun vor der Unglücksstelle fast rechtwinklig auf den Bahndamm. Wenige Wochen vor dem Unglück gab es Hochwasser im Tal, daher sollte die Bahnstrecke saniert werden. Zurzeit ist dort vorsorglich eine Langsamfahrstelle mit Höchsttempo 70 eingerichtet.
„Die Deutsche Bahn“, schreibt Doege als Fazit zu diesem Unglück, das sich ausgerechnet am Jahrestag der ICE-Katastrophe von Eschede 1998 ereignet hat, „hat wieder einmal keinerlei Ehrgeiz gezeigt, ihr Streckennetz in einem sicheren und zukunftsfähigen Zustand zu erhalten oder wieder herzustellen“.