Zehn Jahre Arabischer Frühling: Ägypter fürchten Rückkehr
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Aufstände in Ägypten: Die Visionen aus dem Beginn der Revolution haben sich zehn Jahre später zerschlagen.
© Quelle: Maxppp/dpa
London. Die Ägypterinnen und Ägypter, die am 25. Januar 2011, auf die Straße gingen, wussten, auf was sie sich einließen. Sie wussten, dass sie eine Festnahme riskierten – und Schlimmeres. Doch die Hoffnung trieb sie an, immer mehr strömten in den folgenden Tagen protestierend auf dem Tahrir-Platz in Kairo zusammen. Und unter dem Druck der Demonstranten trat Präsident Husni Mubarak schließlich zurück.
Doch zehn Jahre später haben sich die Visionen vieler zerschlagen, die damals für ihre Freiheiten alles wagten. Tausende Ägypter sind Schätzungen zufolge ins Ausland geflohen, um Repressionen der jetzigen Regierung unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi zu entgehen. Akademiker, Künstler, Journalisten und viele weitere Intellektuelle haben ihrem Land den Rücken gekehrt. Das schwächt jegliche politische Opposition.
Tiefe Gräben unter Mursi
Zu denen, die im Arabischen Frühling gegen Unterdrückung und Mubarak protestierten und dafür festgenommen wurden, gehört Mohammed Aboelgheit. Als er inmitten des Chaos wieder freikam, genoss er zunächst die gefühlte neue Freiheit: Er demonstrierte, ging seiner Arbeit als Journalist nach und schloss sich einer Kampagne für einen moderaten Präsidentschaftskandidaten an. Der Rückschlag folgte bald.
Nach einer Übergangszeit unter einem Militärrat wurde 2012 erstmals ein ziviler Präsident ins Amt gewählt. Doch unter Mohammed Mursi, Mitglied der Muslimbrüderschaft, taten sich neue tiefe Gräben in dem nordafrikanischen Land auf. Es kam zu neuen Massenprotesten. 2013 stürzte das Militär – unter dem damaligen Verteidigungsminister al-Sisi - Mursi, Protestcamps der Muslimbrüder wurden blutig geräumt. Al-Sisi wurde als Präsident in Wahlen bestätigt, die Menschenrechtler als undemokratisch angeprangert haben.
„Nach und nach bekam ich immer mehr Angst, fühlte mich immer mehr bedroht“, sagt Aboelgheit. Seine kritischen Artikel fielen auf, Freunde wurden ins Gefängnis gesteckt. „Ich wollte nicht warten, bis das auch mir passieren würde“, erklärt er. Aboelgheit floh nach London. Zuhause blieb er im Visier der Sicherheitskräfte. Als seine Frau zuletzt ihre Familie besuchte, wurde sie zur Befragung vorgeladen. Die Botschaft war klar.
60 000 politische Gefangene
Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gab es im Jahr 2019 rund 60 000 politische Gefangene in Ägypten. Was die inhaftierten Journalisten angeht, so rangiert Ägypten laut dem Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) weltweit hinter China und der Türkei auf Platz drei. Alle paar Wochen wird die Festnahme eines Journalisten oder eines Menschenrechtlers gemeldet. Al-Sisi betont jedoch, es gebe keine politischen Gefangenen. Ägypten trage Sorge, dass der islamische Extremismus nicht Raum greife.
„Al-Sisi will nicht nur die Rechte der Opposition aufheben und kritische Stimmen unterdrücken“, wirft der ägyptische Professor Chaled Fahmi von der Universität Cambridge dem Präsidenten in Kairo vor. „Al-Sisi glaubt nicht nur nicht an Opposition, sondern auch nicht an Politik.“ In Bezug auf persönliche Rechte sei jetzt die schwärzeste Periode in der jüngeren Geschichte Ägyptens.
“Du hast kein Land mehr”
Für die ins Ausland geflohenen Kritiker und Dissidenten bleibt derzeit kaum ein Weg zurück. Takadum al-Chatib war 2011 zur wissenschaftlichen Forschung in Deutschland, als er in die ägyptische Botschaft einbestellt und zu seiner Arbeit befragt wurde. Der Aufforderung, seinen Pass auszuhändigen, gab er nicht nach, musste aber erkennen, dass sich die Tür zur Heimkehr geschlossen hatte. Und auch nun öffnet sie sich nicht: „Es ist eine sehr schwierige Situation. Ich könnte jetzt nicht nach Hause“, sagt Al-Chatib.
Die Journalistin Asma Chatib, die über die blutige Niederschlagung der Muslimbrüder-Proteste berichtet hatte, geht sogar davon aus, dass sie nie wieder in Ägypten leben kann. Sie wurde unter Spionagevorwürfen 2015 zum Tode verurteilt und hat mit ihrer Familie Asyl in Südkorea beantragt. Chatib sagt, am Tag des Urteils habe sie sich eingestehen müssen: „Du hast kein Land mehr.“ Was sie den Kindern sagen soll, wenn diese einmal fragen, wo sie herkommen, weiß sie nicht.
RND/AP