Zehn Jahre Arabische Aufstände: Warum die Konflikte in der Region anhalten

Arabischer Frühling: Die ersten Jahre des Jahrzehnts sind geprägt vom Aufstand der Jungen ab Dezember 2010 gegen die diktatorischen Regime und die soziale Not in der arabischen Welt. Tunesien, Ägypten, Algerien – überall werden die Autokraten hinweggefegt. Neun Jahre später ist von der Arabellion wenig geblieben.

Der arabische Frühling begann mit den Massenprotesten in Tunesien (Archivfoto).

Kairo. Zumindest Tunesien macht weiter Hoffnung. Vor zehn Jahren – am 14. Januar 2011 – nahm Langzeitherrscher Zine El Abidine Ben Ali nach Massenprotesten Reißaus. Trotz noch immer großer Probleme hat das Land den Übergang in die Demokratie geschafft. Gleichzeitig ist die Liste der Krisen in der arabischen Welt lang: Bürgerkriege in Syrien, in Libyen und im Jemen. Autoritäre Regierungen und Menschenrechtsverletzungen in Ägypten und Saudi-Arabien. Massenproteste in Algerien, im Libanon und im Irak.

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Allerdings sei die Geschichte der Arabischen Aufstände noch lange nicht zu Ende erzählt, sagt der Nahost-Experte Carsten Wieland. Denn die Gesellschaften der Region hätten sich seitdem „radikal gewandelt“, auch in Ländern, die als stabil gälten. „Der Druck im Kessel ist nicht gewichen, der Druck wächst“, sagt Wieland, der früher als Diplomat für die UN-Syriengesandten arbeitete und heute als Nahost-Berater der Grünen-Bundestagsfraktion tätig ist.

So spricht vieles dafür, dass es in der Region wieder zu Protestbewegungen kommt, auch in Staaten, die als stabil gelten. Für die schwierige Lage der Region gibt es vielfältige Gründe.

Bestechliche Elite

Sie gehört zu den schlimmsten Plagen der Region. Auf dem Korruptionsindex der Organisation Transparency International sind unter den letzten 20 Plätzen fünf Länder der arabischen Welt zu finden. Syrien ist Drittletzter, einen Rang hinter dem Jemen. Massendemonstrationen im Irak und im Libanon in den vergangenen Jahren richteten sich gegen die bestechliche politische Elite.

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Der Irak gehört zu den ölreichsten Ländern der Welt, leidet aber unter Strommangel, wofür Kritiker die Korruption verantwortlich machen. Posten in Ministerien werden nicht an qualifizierte Experten, sondern an getreue Gefolgsleute vergeben. Im Libanon gilt die Korruption als eine der Ursachen für den drohenden Staatsbankrott.

Menschenrechtsverletzungen autoritärer Herrscher

Trotz der Massenproteste des vergangenen Jahrzehnts halten sich autoritäre Herrscher häufig an der Macht. In Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und dem Oman etwa regieren Monarchen, gesetzgebende Organe sind schwach oder arbeiten nur symbolisch. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und Syriens Präsident Baschar al-Assad verfügen über die höchste Gewalt im Staat. Kritik wird unterdrückt, Oppositionelle werden verfolgt.

„Autoritärer Überfluss und Menschenrechtsverletzungen sind eher die Regel als die Ausnahme“, schreibt Anthony Cordesman vom Thinktank CSIS. Es gibt auch abgeschwächte Versionen wie in der Monarchie Jordanien: König Abdullah II. beherrscht dort den politischen Alltag.

Zehn Jahre nach dem „Arabischen Frühling“: Fehlende Zukunftsperspektiven

Unzählige Familien leben in der Region heute in ärmlichen Verhältnissen. Die UN-Behörde ESCWA errechnete, dass 250 von 400 Millionen Einwohnern in zehn arabischen Ländern als arm einzustufen oder von Armut bedroht sind. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch: In Tunesien, Jordanien, Ägypten, Algerien, Saudi-Arabien und dem Irak liegt sie laut Weltbank bei rund 30 Prozent.

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UN-Sicherheitsrat billigt nun doch Hilfslieferungen nach Syrien
ARCHIV - 09.01.2020, USA, New York: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) ber��t zum Thema ��Erhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit unter Wahrung der UN-Charta�� im UN-Hauptquartier in New York. Nach langem Ringen hat sich der UN-Sicherheitsrat auf eine eingeschr��nkte Fortsetzung der humanit��ren Hilfe f��r Millionen Syrer geeinigt. Foto: --/XinHua/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Es war die fünfte Abstimmung im UN-Sicherheitsrat in der Angelegenheit in dieser Woche. Nun wurden neue Hilfslieferungen nach Syrien gebilligt.

Das größte ungelöste Problem sei eine fehlende wirtschaftliche Zukunft für die jungen Menschen, sagt der US-Nahost-Experte Kristian Coates Ulrichsen. „Das Gefühl wirtschaftlicher Ungerechtigkeit war Teil dessen, was die politischen Aufstände auslöste.“

Die Chancen, aus dieser Not auszubrechen, sind gering. Millionen Familien leben oft über Generationen am Existenzminimum. Viele schlagen sich ein Leben lang als Tagelöhner oder mit Jobs im informellen Sektor durch. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bevölkerungen in den arabischen Ländern schneller wachsen als ihre Wirtschaften.

Schlechte Bildungschancen

Die Region und ihre junge Bevölkerung – fast die Hälfte der Bewohner Nordafrikas und des Nahen Ostens ist jünger als 24 Jahre – sind auch von schlechten Bildungschancen geplagt. Nach UN-Angaben geht jedes fünfte Kind in Nordafrika und dem Nahen Osten nicht zur Schule. Bei bewaffneten Konflikten in Syrien, dem Irak, dem Jemen und Libyen wurden mehr als 8800 Bildungseinrichtungen zerstört.

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Selbst mit Hochschulabschluss kann der Arbeitsmarkt einer Sackgasse gleichen. Frustrierend ist das vor allem für junge Frauen, die an Universitäten bessere Leistungen als Männer erzielen und ihnen dort auch zahlenmäßig überlegen sind. Ihre Arbeitslosenquote ist in der Region aber mehr als doppelt so hoch wie die der Männer.

Erstarkte Extremisten

Die Aufstände weckten Hoffnung auf mehr Demokratie in der Region. Doch in vielen Ländern entstanden Machtvakuen, in denen Extremisten stärker werden konnten. Vor allem die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) nutzte das Chaos, um sich im Irak und in Syrien, aber auch in Libyen und anderenorts auszubreiten.

Der IS hat zwar die allermeisten Gebiete unter seiner Kontrolle wieder verloren, ist aber weiter aktiv. Syriens letztes großes Rebellengebiet um die Stadt Idlib im Nordwesten des Landes wird von einer Gruppe dominiert, die aus einem Al-Kaida-Ableger hervorgegangen ist. Nährboden findet die radikale Dschihad-Ideologie vor allem unter Muslimen, die unter Armut, Ausgrenzung und Hoffnungslosigkeit leiden.

Rivalitäten und ausländische Interessen

Vor allem die Rivalität zwischen dem sunnitischen Königreich Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran überschattet die Politik in vielen Ländern der arabischen Welt. Teheran verfügt über verbündete schiitische Milizen im Irak, in Syrien und im Libanon über starken Einfluss. Im syrischen Bürgerkrieg unterstützen sie die Regierungsarmee. Saudi-Arabien wiederum bekämpft im Jemen die Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden.

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Eine weitere Rivalität: Saudi-Arabien, die Emirate und Ägypten bekämpfen islamistische Bewegungen, die wiederum von der Türkei und Katar unterstützt werden. Das wirkt sich etwa auf Libyens Bürgerkrieg aus, wo die Rivalen miteinander verfeindete Parteien unterstützen.

Vor allem wegen der großen Ölreserven haben die großen internationalen Mächte ein starkes Interesse an der arabischen Welt. US-Truppen sind im Irak, in Syrien und in anderen Ländern der Region im Einsatz. Russland startete 2015 einen Militäreinsatz, um Assad zu unterstützen und hat sich dort zur bestimmenden Kraft entwickelt. Moskau mischt – wie Frankreich – auch im libyschen Bürgerkrieg mit. Die vielen unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure machen einen Kompromiss oft unmöglich.

RND/dpa

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