Aufschwung unter Schmerzen
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Wirtschaft und Inflation wachsen.
© Quelle: imago images/teamwork
Berlin. Die Zahl erzählt von Aufschwung. Um 1,5 Prozent ist die deutsche Wirtschaftsleistung innerhalb von drei Monaten gewachsen – so viel wie sonst in einem ganzen Jahr. Das war zwar etwas weniger als nach dem bitteren Jahresbeginn erwartet, aber trotzdem ein klares Zeichen: Nach zwei Lockdowns und monatelanger Agonie kommt die Wirtschaft wieder ins Laufen.
Bleibt ihr ein dritter Lockdown erspart, wird sie Ende des Jahres wieder auf dem Niveau sein, wo sie vor der Krise war. In anderen europäischen Ländern läuft die Erholung noch schneller.
Aber für viele fühlt es sich nicht nach Aufschwung an. Der Optimismus, den er verbreiten sollte, wird durch eine andere Zahl gedämpft: 3,8 Prozent. Das war die Inflationsrate im Juli – das Leben ist deutlich teurer als vor einem Jahr. Und wie der Mensch eben ist: Spätestens an der Tankstelle vergisst er die Erleichterung über seinen geretteten Job und verflucht den teuren Sprit. Die Preisentwicklung dürfte zum großen Thema der nächsten Monate werden – wirtschaftlich und politisch, Wahlkampf inklusive.
Der Mythos um den Sprit
Allerdings sollte man dem vermeintlichen „Inflationsmonster“ erst einmal ein paar Zähne ziehen. Da wäre zuerst der Sprit: Der ist nicht jetzt extrem teuer, sondern war vor einem Jahr krisenbedingt besonders billig. Ähnliches gilt auch für andere Güter, denn im Juli 2020 senkte die Bundesregierung vorübergehend die Mehrwertsteuer, um die Wirtschaft in Gang zu halten. Das machte das Leben billiger – für ein halbes Jahr, das längst vorbei ist. Zieht man diesen Effekt vernünftigerweise ab, verliert die Inflationsrate einiges an Schrecken. In der Euro-Zone insgesamt liegt sie bei gut 2 Prozent.
Die Stimmung hebt das trotzdem nicht, denn der Preisanstieg wird sich in den nächsten Monaten absehbar beschleunigen, Ende des Jahres erwarten Experten eine Vier vor dem Komma. Die Entwicklung danach ist aktuell der liebste Streitpunkt unter Ökonomen, aber eins ist sicher: Die Preise werden auf absehbare Zeit stärker steigen, als wir es seit über einem Jahrzehnt gewohnt sind. Die Zinsen werden dabei aber extrem niedrig bleiben, viele Ersparnisse also schneller schrumpfen.
Auf der Suche nach Schuldigen findet sich dann schnell die Europäische Zentralbank mit ihren Strafzinsen und Anleihekäufen. Und tatsächlich ist nur noch schwer vermittelbar, warum die EZB kaum Zeichen für einen Abschied von ihrer Krisenpolitik sendet. Sie geht damit doppelt ins Risiko: Kommt die Inflation nachhaltiger in Fahrt, als es die Notenbanker jetzt erwarten, werden sie irgendwann schärfer bremsen müssen, als es der Wirtschaft guttut. Flaut der Aufschwung aber ab, haben sie kaum noch zusätzliche Mittel, um ihn wieder in Gang zu bringen. Die EZB, die jahrelang Teil der Lösung war, droht Teil des Problems zu werden.
Aber vor einer Inflation, wie wir sie bisher erleben, könnte – und sollte – eine Notenbank niemanden bewahren. Teuerung ist seit Menschengedenken der logische Begleiter eines Aufschwungs. Wo Nachfrage wächst, steigen Preise – und danach meist Löhne. Würde die EZB heute die Zinsen erhöhen – womöglich so hoch, dass Sparer nach Abzug der Inflation noch Rendite haben –, bräche morgen die Wirtschaft zusammen.
So führt kein Weg daran vorbei, dass auch ein Aufschwung mit Schmerzen verbunden ist. Die Menschen werden sie lindern durch höhere Forderungen in den nächsten Tarifrunden und mehr Geldanlage in Aktienfonds statt Sparbüchern.
Mit Blick auf das nächste Jahr ist es Sache der Notenbanken, aber auch der Wirtschafts- und Finanzpolitik, ein Überschießen der Inflation auf der einen Seite und einen Zusammenbruch des Aufschwungs auf der anderen zu verhindern. Das ist anspruchsvoll, aber kein Hexenwerk.