Cannabis und die Bundestagswahl: Dreht sich da was?

Wird sich die Cannabispolitik nach der Bundestagswahl ändern?

Wird sich die Cannabispolitik nach der Bundestagswahl ändern?

Berlin/Rosenheim. Als er das erste Mal an einem Joint zog, war Christian zwölf Jahre alt. Der ältere Bekannte eines Freundes hatte sich nach der Schule auf dem Pausenhof einen angezündet und herumgereicht. Christian griff zu. Nach einem traumatischen Ereignis hat er angefangen zu rauchen. Da war er gerade zwölf geworden. Ein halbes Jahr später war der Sprung von der Zigarette zum Joint nicht weit. „Es hat mir gefallen, ich konnte meine Probleme vergessen“, konstatiert Christian heute.

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Das Gras wurde während der Schulzeit sein täglicher Begleiter. „Der Schwarzmarkt kennt keine Öffnungszeiten. Ist einer gefasst worden, stand der Nächste schon bereit.“ Es war Alltag geworden. Mit 19 hörte er auf, ging zum Bund. Nur die Nikotinsucht ließ ihn nicht los. Heute arbeitet er in der Hochtechnologie. „Ich kann mein Glück nicht zählen“, sagt er. „Inzwischen kenne ich die Folgen, die es nach sich zieht, von der Polizei erwischt zu werden.“

Heute ist Christian, der seinen Nachnamen für sich behalten möchte, Mitte dreißig. Manchmal konsumiert er noch Cannabis, fährt nach Holland, wenn er auf Besuch in seiner alten Heimat ist. Nur bei Gelegenheit, nicht wie bei vielen als bürgerliches Abendritual statt des Glases Rotwein. „Aber keine Joints mehr. Sie werden lachen. Ich konnte mit Cannabis meine Zigarettensucht besiegen.“

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Aber Cannabis hat Christian auf andere Weise nie losgelassen. Er ist jetzt junger Vater, er macht sich Gedanken, wie sein Kind einmal auf Drogen stoßen wird, was dann besser laufen kann. „Ich mache mir keine Illusionen“, sagt er. „Jeder junge Mensch will sich ausprobieren, jeder kommt mit Drogen in Kontakt, in jeder weiterführenden Schule in der ganzen Republik gibt es sie. Aber es muss doch nicht so laufen wie bei mir.“

Er hofft, dass er sich dann wenigstens keine Sorgen machen muss, dass lebensgefährlich gestreckte manipulierte Sorten auf dem Markt sind. Dass gewissenlose Dealer den Jugendlichen gleich auch härtere Sachen anbieten. Dass Cannabis noch den Reiz des Verbotenen hat. Und sein Konsum die Gefahr birgt, mit der Polizei Bekanntschaft zu machen und in einem Strafverfahren zu enden, dessen Folgen „Jugendliche noch jahrelang begleiten“.

Christian wohnt jetzt in Rosenheim in Oberbayern, „der Gegend mit der härtesten Repression gegen Cannabis. Und dennoch ist hier jeder dritte Beschuldigte ein Teenager“, wie er dem Sicherheitsbericht des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd entnommen hat.

Jugendliche von den Drogen fernzuhalten funktioniert anscheinend in Rosenheim eher nicht so gut. Die Stadt ist die Heimat der Bundes-Drogen­beauftragten Daniela Ludwig (CSU). Selbst die Unions­politikerin ist vor ein paar Wochen in einem Interview mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) von der jahrzehnte­langen Linie der Kriminalisierung abgerückt: Sie will Konsumenten, die bis zu sechs Gramm bei sich haben, nicht mehr strafrechtlich verfolgen. Der Besitz soll nur noch eine Ordnungswidrigkeit sein.

Daniela Ludwig (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung.

Daniela Ludwig (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung.

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Weiter aber geht es mit der Union nicht. „Cannabis zu legalisieren halte ich für falsch“, sagte CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet jetzt in der „Wahlarena“ der ARD. Er habe noch nie gekifft, ergänzte er.

Mehr als jeder siebte Jugendliche in Europa hat schon gekifft

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung in Europa aber hat dem CDU-Parteichef da eine Erfahrung voraus: 90 Millionen Europäerinnen und Europäer (27,2 Prozent) haben laut Drogenbericht 2020 schon mal gekifft, 18 Millionen Jugendliche (15 Prozent) haben aktuelle Erfahrungen, die weniger als ein Jahr zurückliegen. Cannabis ist längst zur Volksdroge geworden.

Die Gesundheits­gefahr ist unbestritten. Aber Alkohol ist mindestens genauso gefährlich, argumentierte bereits das Bundesverfassungs­gericht 1994. Cannabis gilt als Einstiegs­droge, sagte nun wieder Laschet. Das hänge mit dem Schwarzmarkt zusammen, kontert die „Legalize“-Front. Die Argumente sind seit Jahrzehnten ausgetauscht, das Land ist gespalten.

Der Deutsche Hanfverband, die wichtigste und professionell nüchtern im politischen Vorfeld agierende Lobbygruppe der Cannabisfreunde, fragt jährlich die Stimmung in der Bevölkerung ab. Die Zustimmung zu einer Freigabe für Genusszwecke verharrt seit Jahren knapp unterhalb der 50 Prozent. Jüngere und Anhängerinnen und Anhänger linker Parteien sind mit teilweise großer Mehrheit dafür, Ältere und Konservativere dagegen. 59 Prozent waren aber bereits 2018 dafür, den Besitz kleiner Mengen nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen.

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Liegt es an dieser unklaren Stimmungslage, dass die Liberalisierung in Deutschland nicht vorankommt? Oder liegt es doch hauptsächlich an einer Partei? Seit 2013 ist das Bundesgesundheits­ministerium in der Hand der CDU, seit 2014 stellt die CSU die Drogenbeauftragte. Keine guten Zeiten für eine Liberalisierung der Drogenpolitik. Zwar wurde Cannabis zum medizinischen Gebrauch nach langen Mühen zugelassen, aber bei allen Versuchen, die Droge als Genussmittel zu legalisieren, blockte die Unionsmehrheit ab.

Erste Versuche bereits 2016

Das Bundesamt für Arzneimittel, im Geschäftsbereich von Jens Spahns Gesundheits­ministerium angesiedelt, wird deswegen gerade vom Berliner Senat verklagt. Die rot-rot-grüne Hauptstadt­regierung hat bereits 2016, kurz nach Amtsantritt, ein Pilotprojekt beantragt: 349 registrierte Kifferinnen und Kiffer sollten in 20 Apotheken legal Gras und Haschisch erwerben dürfen und müssten ein Konsumtagebuch führen.

Das Ziel: einen risikoärmeren Konsum zu ermöglichen oder den Konsum insgesamt zu reduzieren. Das Projekt sollte wissenschaftlich begleitet werden. Um es zu ermöglichen, müsste aber das Betäubungsmittel­gesetz geändert werden – und dafür bräuchte es Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat.

Legaler Anbau von Cannabis: Blühen für medizinische Zwecke
06.01.2021, Schleswig-Holstein, Neum��nster: Cannabisplanzen stehen im Bl��hraum einer Produktionsanlage von Aphira f��r medizinisches Cannabis. Hoch gesichert und hinter dicken Stahlw��nden simulieren LED-Lampen in acht Bl��hkammern Sonnenauf- und -unterg��nge bei idealen Wachstumsbedingungen. (zu ��Plantage f��r Cannabis-Heilpflanzen ��sicher wie Fort Knox����) Foto: Christian Charisius/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Plantage unter Rotlicht: In einer Halle in Neumünster blühen ganz legal Tausende Cannabispflanzen. Die Sicherheits­vorkehrungen sind allerdings enorm.

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Auch SPD-Kandidat Olaf Scholz hat noch nie gekifft, sagte er kürzlich im Politikpodcast „Deutschland 3000“. Zwar habe es schon Leute in seiner Jugend gegeben, die gekifft hätten, „aber es hat mich nicht so interessiert“, sagte der Finanzminister. Politisch gesehen wolle er den „Konsum nicht fördern“, hatte er gegenüber dem RND gesagt, als er sich 2019 gemeinsam mit Klara Geywitz um den SPD-Vorsitz bewarb.

Das ist mehr als eine Jointlänge entfernt vom Vizeparteichef Kevin Kühnert, der forsch die deutsche Cannabis­verbotspolitik für „gescheitert“ erklärt. Der 32-Jährige spricht sich für eine Legalisierung unter Regeln und Bedingungen aus. „In Deutschland konsumieren mehr Minderjährige Cannabis als beispielsweise in den Niederlanden, wo es eine weitflächige Legalisierung gibt. Das sollte uns zum Nachdenken anregen“, sagt Kühnert im RND-Podcast „In Your Face“.

Im Wahlprogramm fordern die Sozialdemokraten, zunächst die Realitäten auf deutschen Schulhöfen, großstädtischen Partymeilen und suburbanen Landschaften anzuerkennen: „Wie Alkohol ist auch Cannabis eine gesellschaftliche Realität, mit der wir einen adäquaten politischen Umgang finden müssen.“

Gefordert werden dann Modellprojekte, wie in Berlin und Frankfurt am Main geplant. Das – und eine Entkriminalisierung der Konsumentinnen und Konsumenten – könnte der kleinste gemeinsame Nenner sein, auf den sich eine Koalition ohne Unionsbeteiligung einigen kann.

Wahlprogramme im Check: Das planen die Parteien beim Thema Gesundheit

Durch die Corona-Pandemie ist das Thema Gesundheit enorm in den Fokus der Parteien gerutscht. Einer der größten Streitpunkte: die Legalisierung von Cannabis.

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Die Forderungen von Grünen, FDP und Linken gehen teilweise viel weiter. „Ja, wir wollen Cannabis freigeben, natürlich kontrolliert, so wie man das beim Alkohol auch tut“, sagte Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock im Wahlkampf. Der Vollständigkeit halber: Auf die Frage, ob sie schon einmal an einem Joint gezogen hat, sagte sie der „Bild“ knapp und ehrlich: „Hab ich, war aber echt nicht so meins.“

Wenn die Politik das Thema aber erst einmal entspannt zur Seite legt, könnte das Bundesverfassungs­gericht Druck machen. Allein der Bernauer Jugendrichter Andreas Müller hat mehrere Fälle als Richtervorlage nach Karlsruhe verwiesen.

Auch das Amtsgericht Münster hat ein Verfahren ausgesetzt, in dem einem Mann der Besitz von 0,4 Gramm Marihuana zur Last gelegt wurde, und lässt prüfen, ob das Cannabis­verbot grundgesetzwidrig ist. Bei einem anderen Verfahren am Amtsgericht Pasewalk geht es um größere Mengen – und einen umstrittenen Grenzwert. „Ich habe einen Fall vorgelegt, in dem die Grenze von 7,5 Gramm THC-Wirkstoffgehalt entweder knapp überschritten oder knapp unterschritten wird“, sagt Richterin Clivia von Dewitz dem RND. „Oberhalb dieser Grenze ist die Verhängung einer Freiheitsstrafe, da ein Verbrechen, zwingend.“

Das Cannabisurteil des Bundesverfassungs­gerichts von 1994 muss dringend aktualisiert werden. Es passt nicht mehr in die Zeit.

Clivia von Dewitz,

Richterin

Die Grenze wurde 1984 vom Bundes­gerichtshof festgelegt – ob sie noch hält, soll nun Karlsruhe überprüfen. Zehn Jahre später urteilte das Bundesverfassungs­gericht, dass Alkohol und Cannabis als Rauschmittel nicht gleich behandelt werden dürfen. Von Dewitz fordert: „Das Cannabisurteil des Bundesverfassungs­gerichts von 1994 muss dringend aktualisiert werden. Es passt nicht mehr in die Zeit.“

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Christian hat sich unterdessen auf seine Weise in den Wahlkampf eingemischt. Er hat Geld gesammelt für vier großflächige Aufklärungs­plakate, die jetzt in Rosenheim hängen – an Orten, wo sie auch Daniela Ludwig auffallen. Die Motive kommen von der Lobbygruppe Hanfverband.

„Cannabis ist kein Brokkoli“ steht darauf, „und Bier ist kein Apfelsaft“. Mit dem ersten Vergleich wollte Ludwig darauf hinweisen, wie gefährlich Gras und Haschisch seien – und dass eine Legalisierung nicht infrage komme. Also regelt das der Schwarzmarkt.

Nicht nur in der Kifferhauptstadt Berlin, nicht nur an der holländischen Grenze, „auch hier in Rosenheim rieche ich es an jeder Ecke“, sagt Christian. Als selbst ernannter Grasaktivist sagt er den Jugendlichen, die er auf seinen Wegen durch Rosenheim trifft: „Kauft euch wenigsten Aktivkohlefilter, eure Lunge wird es euch danken.“

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