50 Jahre nach Brandts Kniefall – Deutschland und Polen im Stresstest
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Bundeskanzler Willy Brandt kniet am 7. Dezember 1970 in Warschau vor dem Mahnmal für den Getto-Aufstand von 1943.
© Quelle: ---/dpa
Berlin/Warschau. Es ist eine halbe Minute, die Geschichte schrieb: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist am 7. Dezember 1970 ein westdeutscher Bundeskanzler zu Besuch in Warschau. Am Denkmal, das an den Aufstand im Warschauer Getto erinnert, sinkt Willy Brandt dort überraschend auf die Knie.
50 Jahre ist diese Demutsgeste nun her, die Reue und Schuldeingeständnis Deutschlands als Verursacher des Zweiten Weltkriegs und Schuldigen für viele Millionen Tote bildhaft deutlich machte.
Das Foto des knieenden Brandt wurde zur Ikone. Am gleichen Tag gab es einen weitere Versöhnungsschritt: Westdeutschland erkannte die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens an.
Es war der offizielle Verzicht auf die früheren deutschen Ostgebiete auf dem Territorium Polens. Die Unionsparteien reagierten übrigens empört.
Digitales Riesenposter
50 Jahre später fallen die Jubiläumsfeiern wegen Corona mager aus. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ist zum Denkmal nach Warschau gereist. In der polnischen Hauptstadt hängt ein digitales Riesenposter mit der Aufschrift: „We will never forget.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier meldete sich per Videobotschaft: „Die Partnerschaft zwischen Deutschland und Polen ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Zukunft“, sagte er. „Aber wir werden auch die Vergangenheit nicht vergessen. Nicht das Leid der Menschen in Polen, nicht den historischen Mut zur Versöhnung und auch nicht einen Kniefall, der uns an all das erinnert.“
Die Grenze ist längst kein Thema mehr. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, selbst polnischer Abstammung, sagte dem RND: „Der Kniefall von Warschau ist zweifelsfrei eines der wirkmächtigsten Bilder in der Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen, die als Aufgabe auch 50 Jahre später bleibt.“ Umso wichtiger sei es, dass in Berlin „ein Ort der Erinnerung an das Leid der polnischen Opfer der deutschen Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg entsteht“.
Stresstest für die Beziehungen
Die deutsch-polnischen Beziehungen allerdings befinden sich in einem Stresstest. Das zeigt sich auch an den Worten des polnischen Botschafters Andrzej Przylebski, der den Kniefall „als Zeugnis des Verantwortungsbewusstseins für die Schuld der Deutschen im besetzten Polen“ würdigte, aber hinzufügte: Diese und andere ähnliche Gesten seien „natürlich schön und wichtig“. Aber wenn ihnen keine harte organische Arbeit auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen folge, „verblasst ihr Sinn ein wenig.“
„Die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland sind ein wenig besser als ihr Ruf“, sagte der Botschafter weiter. Sie würden allerdings durch die Unstimmigkeiten über den EU-Rechtsstaatsmechanismus wieder auf eine harte Probe gestellt.
Führende Vertreter der polnischen Opposition wiesen die Forderungen nach Kriegsreparationen energisch zurück. Die Sache sei aus rechtlicher Sicht erledigt, sagte Ex-Außenminister, Radek Sikorski, dem RND. „Sie versuchen, das Gespenst eines herrschsüchtigen Deutschlands am Leben zu erhalten.“ Der Versöhnungsprozess gehe weiter, „obwohl die regierenden Nationalisten in Polen versuchen, ihm zu schaden.“
Auch die frühere EU-Kommissarin Danuta Hübner sagte, die Debatte solle jenen Teil der polnischen Wählerschaft beschäftigen, der „immer noch anti-deutsche Vorurteile hegt“. Hübner nannte Brandts Kniefall die „zutiefst persönliche Geste eines Deutschen, der keine eigene Verantwortung für die schrecklichen Taten seiner Nation trug“.
Der ehemaliger polnische Regierungschef Donald Tusk formulierte anlässlich einer einer Gedenkfeier in Brandts letztem Wohnort, dem rheinland-pfälzischen Unkel, etwas bildhafter: „Wenn wir unseren Werten treu bleiben wollen, dann müssen wir manchmal niederknien. Und manchmal auf den Barrikaden stehen. Mutig und kompromisslos im Angesicht des Bösen, bescheiden im Angesicht der Wahrheit und des Leidens.“