Wiederaufbau schon vor Kriegsende? Wie die internationale Staatengemeinschaft der Ukraine helfen will
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal und Bundeskanzler Olaf Scholz (von links) am Dienstag bei der Wiederaufbaukonferenz in Berlin.
© Quelle: Getty Images
Berlin. Es tut dem polnischen Regierungschef gut, dass ihm in der Europäischen Union jetzt Recht gegeben wird. Und genauso leidet er darunter, dass er Recht behalten hat – mit seiner frühen Warnung vor Russland. „Wir haben unsere Seele verkauft“, klagt Mateusz Morawiecki am Dienstag bei der internationalen Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in Berlin über die jahrelange Gasabhängigkeit europäischer Staaten von Moskau.
Europa sei stärker als Russland, aber habe Wladimir Putin nicht gestoppt. Morawiecki warnt: „Es ist der Moment, da wir entscheiden, ob wir sein werden oder nicht sein werden.“ Das bedeutet für ihn: Gewinnt Putin seinen Krieg gegen die Ukraine, geht Europa verloren.
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Mateusz Morawiecki, polnischer Regierungschef
© Quelle: IMAGO/Christian Spicker
Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben Staats- und Regierungschefs, Expertinnen und Experten der G7-Staaten und EU-Länder zusammengerufen, um über eine Art Marshallplan für den Wiederaufbau der Ukraine zu beraten. Der Wiederaufbau wird auch dies bedeuten: die Modernisierung des Landes. Wenn der Krieg denn gewonnen wird.
„Eine kolossale Aufgabe“
Auch der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal ist angereist, Präsident Wolodymyr Selenskyj wird per Video zugeschaltet. Scholz ruft zu einem Kraftakt auf. Er spricht von einer „Generationenaufgabe, mit der man jetzt beginnen muss“, von der Leyen von einer „kolossalen Aufgabe“, die die „Stärke der gesamten Völkergemeinschaft“ notwendig mache. Das werde Jahrzehnte dauern und Hunderte Milliarden Euro kosten. Jeder Euro, jeder Dollar, jedes Pfund, jeder Yen sei eine Investition in die Ukraine, aber auch in die demokratischen Werte weltweit.
Unabhängig vom Wiederaufbau braucht Kiew laut von der Leyen 3 bis 5 Milliarden Euro monatlich für laufende Kosten wie Gehälter für Lehrer, Polizistinnen und Rentenzahlungen. Die EU müsse ein Drittel davon übernehmen, die USA sollten ebenfalls eine ähnliche Summe tragen und der Rest über internationale Finanzierungsinstitutionen wie den IWF abgedeckt werden.
Am Abend wird sie Bilanz ziehen und dabei auch ihre Sorge vor „Ermüdungserscheinungen“ der Geberländer äußern. Aber sie zeigt sich gewiss, dass die Politik es schaffen werde, immer und immer wieder zu kommunizieren, welch elementare Bedeutung das Überleben der Ukraine für Europa habe.
Wieviel Geld insgesamt zusammenkommen muss und wer es wie verwaltet, um das Land wieder auf die Beine zu bringen, ist offen. Auch, wann Schulen, Brücken, Wohnhäuser, Straßen, Verwaltungsgebäude, Unternehmen wieder aufgebaut werden. Selenskyj bittet: ab sofort. Nicht erst nach einem Ende des Krieges. Wer weiß auch schon, wann das wäre.
„Russland muss zahlen“
Dem pflichtet auch der stellvertretende Bundestagsunionsfraktionschef Johann Wadephul bei. Er sagt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), der Wiederaufbau der humanitären Infrastruktur – Strom, Wasser, medizinische Versorgung, Straßen, Schienen – müsse umgehend erfolgen, Unternehmen müssten dafür einen finanziellen Schutzschirm erhalten. „Das ermutigt die Ukrainer und sendet ein klares Signal Richtung Putin.“
Wiederaufbau der Ukraine soll gleichzeitig Modernisierung herbeiführen
© Quelle: Reuters
Nach Ende des Krieges müssten die gesamte Infrastruktur und die Wirtschaftsbasis komplett wieder aufgebaut werden. EU und Deutschland müssten einen wesentlichen Teil davon stemmen. Und: „Russland wird erhebliche Reparationszahlungen leisten müssen.“
Schmyhal und Morawiecki sehen noch eine andere sprudelnde Quelle, der dem Wiederaufbau helfen werde: eingefrorene Werte russischer Oligarchen. Die sollen ihr Geld nie wieder sehen.
Selenskyj zufolge sind mehr als ein Drittel der ukrainischen Energieinfrastruktur zerstört. Putin wolle, dass sich die Ukraine möglichst lange nicht erholen könne. Die Grausamkeit des russischen Terrors werde die Widerstandskraft der Ukraine aber nur erhöhen. Und später werde sein Land der Garant für Exporte von Strom und Gas und Lebensmittel für die Welt sein. Und noch etwas, was für die EU entscheidend ist, sagt Selenskyj sehr bewusst: Mit der Hilfe für die Ukraine „werden wir eine Flüchtlingswelle in die EU aufhalten können“.
Schmyhal lässt während seiner Rede Bilder der Trauer einspielen. Da ist die Ärztin Oxana – gestorben bei einem Luftangriff, die schwangere Viktoria, getötet durch eine iranische Kamikazedrohne und der elfjährige Adam, er hat einen Raketeneinschlag in ein Wohnhaus nicht überlebt. Schmyhal lobt Deutschlands Lieferung von Gepard-Panzern und des Flugabwehrsystems Iris-T. Neun von zehn Raketen würden abgefangen. Er bittet aber um noch mehr Waffen – vor allem Panzer und Artillerie.
SPD und Linke für Vermögensabgabe
Zur Frage, wie Deutschland das Geld für die Ukraine-Hilfe aufbringen soll, dringt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken auf eine Vermögensabgabe der Superreichen. Viele von ihnen seien dazu auch bereit. „Sie erkennen, dass der Zusammenhalt, aber auch unsere Volkswirtschaft an der Ungleichheit in Deutschland Schaden nimmt“, sagt sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Sie betont: „Zur Finanzierung eines handlungsfähigen, solidarischen Staates, der die Gesellschaft in unserem Land zusammenhält, den Wiederaufbau in der Ukraine unterstützt und gleichzeitig nicht die Augen vor der globalen Hungerkrise verschließt, müssen wir eine solidarische Vermögensabgabe der Superreichen endlich umsetzen.“
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch plädiert für eine „europaweite Beteiligung der Superreichen“. Er mahnt: „Es darf nicht sein, dass der normale Steuerzahler, der schon unter Inflation und Energiepreisen leidet, allein auch die Kriegsrechnung bezahlen muss.“ Er beklagt aber eine falsche „Reihenfolge“: „Vor dem Wiederaufbau muss der Frieden kommen. Richtig wäre: Friedens- dann Wiederaufbaukonferenz.“ Moskau sei in der Verantwortung. „Aber die Bundesregierung muss sich deutlich mehr um Diplomatie bemühen.“