Im Herbstwald mit Peter Wohlleben
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Herbstlich leuchten die Bäume am Berliner Grunewaldsee.
© Quelle: Paul Zinken/dpa
Berlin. Peter Wohlleben mag den Herbstwald. So sieht es jedenfalls auf dem Cover seines eigenen Wohlfühlmagazins „Wohllebens Welt“ aus. Deutschlands bekanntester Förster liegt dort lächelnd auf einem Bett aus Herbstlaub.
Was ihn an der Jahreszeit fasziniert – und wie der gefährdete Wald zu retten ist, erzählt er im Gespräch mit dem RND. Zehn Fragen und Antworten, vor einem Waldspaziergang an diesem Wochenende zu lesen.
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Die Sonnenstrahlen der tiefstehenden Herbstsonne streifen den Feldbergturm auf dem Gipfel des Feldbergs und die herbstlich-bunt gefärbten Wälder des Schwarzwaldes.
© Quelle: Philipp von Ditfurth/dpa
Welche Blätter bekommen im Herbstwald welche Farben?
Wenn die Blätter heruntergefallen sind, sieht man manchmal in den braunen Blättern kleine grüne Inseln. Das sind blockierte Rückzugsadern. Dort haben Bakterien und Pilze einfach dem Baum den Weg verlegt, um seine Stoffe wieder abzubauen, von denen sie leben. Diese Stoffe halten sich dann vielleicht noch 14 Tage oder drei Wochen, diese grünen Inseln, bis sie auch verwelken. Aber in dieser Zeit können mehrere Generationen von Bakterien noch davon leben. Das sind quasi kleine Raubüberfälle von Lebewesen, für die ein Blatt so groß wie ein ganzes Universum ist.
Das Gelb ist schon im Blatt angelegt. Das sind Carotinoide, also Farbstoffe, die erscheinen, wenn das Grün abgezogen ist. Das Gelb ist schon drin, rote Farbstoffe hingegen nicht. Diese pumpen bestimmte Baumarten, wie Kirschbäume, Wildobst und bestimmte Ahornarten erst kurz vor dem Laubfall hinein. Diese Arten sind besonders durch Krankheiten gefährdet, die Blattläuse übertragen. Eine Zeitlang hat man gedacht, dass dies eine Abwehrreaktion wäre, so nach dem Motto: „Hey, ich kann zum Herbst noch mal so viel Kraft aufwenden, meine Blätter rot zu verfärben – leg hier bloß keine Eier hin. Sonst werde ich deine Larven im nächsten Frühjahr durch Giftstoffe abwehren können, die ich eingelagert habe, weil ich so stark bin.“
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Denn das kostet ja Kraft, extra noch Farbstoffe in die Blätter zu pumpen. Man dachte, die Färbung wäre ein Signal an Blattläuse. Mittlerweile weiß man: Blattläuse können die Farbe Rot überhaupt nicht sehen. Insofern greift diese Erklärung nicht. Aber man hat entdeckt, dass Bäume sich mit Rot tarnen. Das ist für uns eine auffällige Farbe. Aber weil Blattläuse das nicht sehen können, übersehen sie Bäume, die rot gefärbt sind und gehen eher auf Bäume mit gelben und grünen Blättern. Das heißt, es ist letztendlich ein Ablenkungsmanöver.
Und was wir als besonders schön empfinden, ist für die Bäume eine Tarnfarbe gegen Krankheitsüberträger. Das geht allerdings nur, solange Bäume gut durch das Jahr gekommen sind.
Wir haben es im Jahr 2020 gesehen: Wenn der Baum schlappmacht, zum Beispiel durch den trockenen Sommer, dann fällt diese feuerrote Herbstfärbung fast aus. Die Bäume schaffen nur so ein schwaches Orange. Dieses Jahr ist es unterschiedlich. Manche Bäume haben sich offensichtlich schon sehr gut erholt, die werden wieder richtig rot, einige schaffen es aber immer noch nicht und haben nur orangene Blätter. Mehr bekommen die momentan noch nicht hin, weil die das einfach enorm viel Energie zusätzlich kostet.
Darf ich unbeschwert durch die Blätter rascheln oder störe ich dann die Igel, die sich auf den Winterschlaf vorbereiten?
Igel vergraben sich in Laubhaufen, Reisighaufen, Büschen und Ähnlichem. Also ich finde, wenn das Laub frisch heruntergefallen ist und man geht da mal so richtig mit den Füßen durch, das ist doch cool. Das erinnert uns sicher an die Kindheit. Das gehört zu einem Herbstspaziergang dazu. Große Laubhaufen sollte man nicht auseinandernehmen, da vergräbt sich der Igel hinein. Aber mit den Füßen durch das Herbstlaub zu rascheln – das muss sein.
Muss man eigentlich leise sein im Wald, um die Tiere nicht zu verschrecken?
Das steht in den Broschüren, die Jägerinnen und Jäger verteilen. Speziell Kinder werden darauf hingewiesen, leise im Wald zu sein. Wir waren gerade mit einer Gruppe von Waldführerinnen und Waldführern, die wir ausbilden, im Wald. Wir haben uns laut unterhalten. Zwei Rehe sind ungefähr 80 Meter von uns entfernt stehen geblieben, wir haben uns weiter laut unterhalten, und die Rehe sind nicht geflüchtet. Sie wissen: Alles, was leise ist, ist gefährlich. Was laut ist, ist ungefährlich. Familien mit Kindern im Wald können sich gerne laut unterhalten, gerne auf sich aufmerksam machen.
So ist es auch in der Serengeti. In dem Augenblick, wo sich Löwen offen zeigen, sind die ganzen großen Pflanzenfresser sehr entspannt. Sie werden nur dann nervös, wenn sie nur hier und da mal so ein bisschen Bewegung wahrnehmen und befürchten, dass sich die Löwen anschleichen. Dann breitet sich auf einmal eine lähmende Stille aus. Aber sobald sie sich offen zeigen, ist die Beute entspannt. Und das ist hier genau dasselbe. Wir sind ja Raubtiere aus Sicht der Rehe. Wenn wir uns offen zeigen, wissen die Tiere, das sind Menschen, die sind nicht auf der Jagd.
Pilzsucher sind stressig für die Tiere, weil sie leise durch den Wald streifen. Da knackt nur hier und da mal ein Ästchen, und die Tiere können uns nicht genau orten. Wo geht diese Person hin? Was macht sie da eigentlich? Geräusche allein sind nicht stressig. Auf Truppenübungsplätzen grasen Rehe und Hirsche in Ruhe am Rande der Schießbahnen während des Panzerschießens – sie wissen, dass sie dort nicht gestört werden.
Was kann ich im Herbstwald erkunden und sammeln - außer Blättern?
Natürlich erst mal einiges an Früchten und Nüssen. Die Klassiker sind die Bucheckern, die man mit nach Hause nehmen und rösten kann. Man kann sie auch roh essen, aber zu viel sollte man nicht zu sich nehmen, denn dann holt man sich eine Magenverstimmung. Aber geröstet in der Pfanne sind sie total lecker. Nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel haben die Leute Bucheckern gesammelt, um Öl herauszupressen. Diese Lebensmittelgewinnung ist in Vergessenheit geraten. Die Sammler haben mit dicken Hämmern gegen die Buchen geschlagen, damit mehr Eckern herunterfallen. Das war für die Bäume natürlich nicht so gut, weil diese eine sehr dünne Rinde haben.
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Peter Wohlleben.
© Quelle: Wohllebens Waldakademie
Man kann auch Kaugummi selber machen im Wald – aus Fichtenharz. Das muss aber ein harter, klarer Harztropfen sein, denn wenn es an sich schon weich ist, verklebt das zwischen den Zähnen. Wenn das Harz wirklich hart ist und man es ganz vorsichtig im Mund aufwärmt, kann man ganz, ganz vorsichtig anfangen, leicht mit den Zähnen zusammenzudrücken und irgendwann auch langsam zu kauen. Dann bekommt man wirklich ein rosa Kaugummi heraus. Das schmeckt jetzt nicht wie aus dem Geschäft, sondern eher nach Fichtennadelbad, aber immerhin. Es macht schon Spaß! Wenn es nicht klappt, spuckt man halt alles aus. Man muss wirklich vorsichtig anfangen und nicht direkt draufbeißen, sonst zersplittert es.
Wenn alles etwas kahler wird, wie erkenne ich als Besucher, ob es dem Wald gut geht?
Das ist im Winter etwas schwieriger als im Sommer. Wenn die Blätter fallen, sind abgestorbene Äste nicht mehr so gut zu erkennen. Außerdem sehen auch Nadelbäume im Winter ruppig aus, weil die im Herbst genauso wie Laubbäume ihr Laub verlieren, allerdings immer nur den ältesten Nadeljahrgang. Im Winter haben Nadelbäume immer einen Jahrgang weniger Nadeln am Zweig als im Sommer.
Bäume machen im Herbst ihr großes Geschäft, sie pumpen Schlackestoffe in die Blätter und werfen sie ab. Nadelbäume tun das genauso wie Laubbäume, sie werfen – mit Ausnahme der Lärche, die alle Nadeln verliert – aber eben nur einen Jahrgang an Nadeln ab. Unter Nadelbäumen finden wir im Herbst immer einen frischen Teppich an Nadeln.
Wie erkenne ich, ob es den Bäumen schlecht geht? Grundsätzlich immer dann, wenn die Rinde abplatzt. Dann kommen Parasiten wie etwa Borkenkäfer, und die Spechte hacken Löcher hinein, um die Larven zu fressen. Bäume, die ihre Rinde verlieren, denen geht es wirklich schlecht.
Ihre Höhlen bauen die Spechte oft in gesunde Bäume. Da fällt dann keine Rinde runter, sondern es ist nur das Spechtloch darin. Die möchten natürlich auch, dass es so lange wie möglich hält, ohne dass es fault. Doch die Höhle fault innen dennoch mit den Jahren immer weiter aus. Irgendwann verlässt der Specht diese Höhle, weil die Küken es nicht mehr zum Loch heraus schaffen würden, wenn sie flügge sind. Dann kommen Nachmieter, also Arten, bei denen die Tiefe der Höhle keine Rolle spielt. Fledermäuse zum Beispiel, Eichhörnchen oder Eulen.
Stirbt der Wald denn?
Die Nadelbaumplantagen sterben, der Wald stirbt nicht. Wir können uns jetzt nicht unbedingt entspannen, weil wir jetzt endgültig anfangen sollten, den Klimawandel zu stoppen, gar keine Frage. Aber noch stirbt der echte Wald nicht. Echter alter, intakter, nicht bewirtschafteter Laubwald sieht in Deutschland noch relativ gut aus. Das ist eine positive Nachricht. Und überall dort, wo wir uns nicht einmischen, kommt er tatsächlich überwältigend gut zurück.
Auch das ist die positive Nachricht. Momentan stirbt nicht der Wald, sondern es sterben Nadelbäume, die angepflanzt sind auf Standorten, wo sie nicht hingehören. Dort sterben sie übrigens schon seit mindestens 1840 immer wieder in großen Mengen. Schon damals hat man die ersten großen Borkenkäferkatastrophen in Deutschland erlebt. Es ist kein neues Phänomen, aber es wird durch den Klimawandel verschärft.
Wie gefährdet ist die Forstwirtschaft?
Ich vermute, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre 50 Prozent unserer Waldfläche zusammenbrechen und verschwinden wird. Das sind nämlich genau diese Nadelwaldplantagen. Dort, wo so hart gewirtschaftet wird, ist der Zustand sehr, sehr schlecht – unabhängig vom Klimawandel. Dort, wo Wald sich halbwegs selbst organisieren darf, sieht es dagegen noch relativ gut aus. Wälder organisieren sich seit 300 Millionen Jahren selbst. Unsere geregelte Forstwirtschaft haben wir erst seit 300 Jahren. Wir haben also noch nicht mal ein Baumleben lang angefangen, gezielt zu manipulieren, und wir haben es schlicht nicht drauf. Forstwirtschaft scheitert doch gerade krachend.
Noch sterben nur Bäume. Erst wenn man die kahl schlägt, dann ist der Wald weg, denn auch tote Bäume sind Biomasse, von denen sehr, sehr viele Tiere leben. Tote Bäume werfen Schatten, kühlen den Boden, speichern Wasser und erzeugen Humus. Das ist ganz wertvoll für den Wald, wenn man so eine Plantage sterben lässt und die toten Bäume zur Waldregeneration einfach stehen lässt.
Kann sich der Wald selbst retten?
Wir gucken immer auf Bäume und nicht auf das System. Und das ist noch super reaktionsstark. Schon Alexander von Humboldt hat beobachtet, dass natürliche Wälder die Landschaft kühlen und ihren eigenen Regen erzeugen. Erst wenn man Landschaft stark verändert, bricht das zusammen. Solange diese Systeme sich selber organisieren dürfen, sind sie zumindest nach aktuellem Stand sehr robust und widerstandsfähig. Und in dem Augenblick, wo wir Wälder ausdünnen, wo wir sehr viel Biomasse in Form von Holz herausnehmen, da können auch Laubwälder zusammenbrechen. Ich bin nicht gegen Holznutzung, im Gegenteil, Holz ist ein toller Rohstoff. Aber wir müssen immer wieder neu hinterfragen, wie stark wir Wälder zur Ader lassen, bevor das nicht mehr funktioniert. Diesen Punkt haben wir bei etlichen Wäldern leider überschritten.
Was würde sich der Wald von der nächsten Regierung wünschen?
Ich wünsche mir von der nächsten Bundesregierung, dass der Wald nicht mehr beim Landwirtschaftsministerium angesiedelt ist. Wald gehört ins Umweltressort. Wenn man aktuell etwas über den Wald liest, geht es immer um Holz, Holz, Holz. In Zukunft, wenn man die Bedürfnisse der Menschen zugrunde legt, wird es weniger um Holz gehen, sondern um Kühlung. Es geht darum, dass wir nicht so lange Dürren bekommen. All das kann Wald ganz stark mildern. Darum wird es in Zukunft viel stärker gehen.
Wenn man dann noch Holz gewinnen kann, ohne diese Funktion zu beeinträchtigen, wäre das der Königsweg. Wir müssen diese anderen Leistungen des Waldes in den Fokus nehmen. Man kann heute bereits per Satellit erfassen, welche Waldbesitzenden die Landschaft kühlen mit ihrem Wald, weil sie nicht so viel Biomasse rausholen. Die könnten eine Prämie bekommen. Die anderen, die die Landschaft aufheizen, die sollten zahlen, etwa eine CO₂-Steuer auf Holz. Das habe ich auch schon mit Robert Habeck besprochen. Das lässt sich sehr einfach nachvollziehen, man könnte es jährlich abrechnen und genau sehen, welche Waldbesitzer Fördergelder bekommen und welche nichts mehr, weil es bei ihnen im Wald wärmer geworden ist.
Können wir noch unbeschwert in die Zukunft schauen, wenn wir in der Natur unterwegs sind?
Natur ist ein Prozess, Natur kriegt man nicht kaputt. Ich sehe die Zukunft grundsätzlich optimistisch. Ich habe keine Angst vor einem Kipppunkt, ich hoffe auf einen Kipppunkt, bei dem es besser wird mit unserem Umgang mit der Natur, mit der Wildnis. Die Frage ist, wann wir diesen positiven Kipppunkt überschreiten. Das können wir schaffen, wenn wir eine Aufbruchstimmung mithilfe neuer Bäume erzeugen.
Das funktioniert auch sehr lokal, sehr regional. Das kann eine Stadt sein, das kann sogar ein einzelner Straßenzug sein. Es gibt ja diese Tiny Forests, kleine Wälder, die in den Städten begründet werden. Dass man Straßenbäume nicht mehr wie Laternen pflanzt, sondern dass man Ökosysteme schafft und selbst wenn es 100 Quadratmeter sind, ist der richtige Weg! Es muss State of the Art werden, die Natur immer irgendwie mit einzubeziehen. Es geht ja nicht nur um den enormen Kühleffekt (bis zu 20°C im Sommer!), sondern auch darum, dass die Leute Spaß dran haben, ein kleines bisschen Wildnis vor dem Fenster zu haben.