Wie grün sind Erdgas und Atomkraft wirklich?
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Niedersachsen, Emmerthal: Das Atomkraftwerk Grohnde ist gerade abgeschalten worden. Die letzten drei AKW in Deutschland folgen Ende dieses Jahres.
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Liebe Leserinnen und Leser,
ab heute erhalten Sie jeden Freitag den Klima-Check-Newsletter des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND). Darin liefern wir als Team aus Redakteuren und Reporterinnen, die sich politisch, wirtschaftlich und wissenschaftlich mit dem Klimawandel beschäftigen, Ihnen stets vorm Wochenende das Wichtigste zum Thema: Unsere Auswahl an Klimanachrichten, einen großen Fakten-Check zum Klimathema der Woche, denkwürdige Zahlen und Tipps für den persönlichen Klimaschutz. Wir wünschen Ihnen eine interessante, spannende, nützliche und natürlich nachhaltige Lektüre!
Den heutigen Tag haben wir dick im Kalender angestrichen – nicht nur, weil unser Klima-Check-Newsletter heute startet, sondern auch wegen einer wichtigen Deadline: In Brüssel müssen spätestens an diesem Freitag die Stellungnahmen der Mitgliedsstaaten zur EU-Taxonomie eintrudeln. Die strittigsten Punkte waren zuletzt die von der Kommission geplante Einstufung von Kernenergie und Erdgas als nachhaltige Energieträger. Damit sollen Investitionen nicht nur in erneuerbare Energien, sondern auch in Atomkraftwerke und moderne Gaskraftwerke angestoßen werden, um auf EU-Ebene spätestens 2050 klimaneutral zu wirtschaften.
„Nachhaltige Atomkraft“: Wie blinkt die Ampel?
In der Frage, ob Deutschland moderne Atomkraftwerke als nachhaltig einstufen soll, ist die Bundesregierung sich uneinig.
© Quelle: dpa-Video
Sie haben sicher mitbekommen, dass die Bundesregierung die Einstufung des Atomstroms als grün ablehnt, aber nichts gegen die entsprechende Etikettierung von Erdgas hat. Der Grund: Es wird hierzulande als Brückenenergieträger benötigt, bis Wind und Sonne sowie damit produzierter Wasserstoff ausreichen. Frankreich setzt dagegen voll auf Atomstrom und hat eine Mehrheit der EU-Mitglieder hinter sich, sodass die EU-Kommission die Taxonomie wohl durchsetzen wird und diese Mitte des Jahres in Kraft tritt.
Doch wie verhält es sich nun mit den puren Fakten – jenseits der politischen Interessen? Ein perfektes Thema für die Rubrik, mit der wir von nun an jede Woche diesen Newsletter eröffnen wollen.
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Faktencheck der Woche:
Ist Atomkraft emissionsfrei?
Nein, auch Kernenergie verursacht Emissionen von Treibhausgasen. Bei der Gewinnung, dem Transport und der Aufbereitung von Uran entstehen Emissionen. Auch der lange und aufwendige Bau der Atomkraftwerke sowie ihr Rückbau setzen CO₂ frei. Und nicht zuletzt muss der atomare Müll transportiert und unter strengen Vorgaben eingelagert werden – auch hier sind Emissionen einzukalkulieren.
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Wie berechtigt ist der Protest? Gegen die grüne EU-Einstufung für Atomenergie und Erdgas demonstrieren derzeit in ganz Deutschland Aktivisten, hier eine Aktion des „Koala-Kollektivs“ am 11. Januar 2022 in Frankfurt am Main vor der Euroskulptur am Willy-Brandt-Platz. Symbolisch übergießen die Protestierenden gelbe Atomfässer und rote Gasfässer mit grüner Farbe.
© Quelle: imago images/Tim Wagner
Ist die reine Herstellung von Atomstrom „grün“?
Selbst bei der Produktion von Atomstrom entstehen laut IPCC-Report von 2014 zwischen 3,7 und 110 Gramm CO₂-Äquivalente pro Kilowattstunde – je nachdem, ob man den gesamten Lebenszyklus oder die reine Energiegewinnung betrachtet. Obwohl die Kernenergie bei Emissionen besser dasteht als fossile Energieträger wie Kohle oder Gas: Der Abstand zu den erneuerbaren Energien ist beträchtlich. Laut Umweltbundesamt wird bei der Kernenergie 3,5-mal mehr CO₂ pro erzeugter Kilowattstunde freigesetzt als bei Fotovoltaik-Anlagen.
Und wie „grün“ ist Erdgas?
Erdgas verursacht laut Energieversorger Vattenfall 18 Prozent weniger CO₂ als Benzin, 50 bis 95 Prozent weniger Stickoxide als Diesel und nahezu gar keinen Feinstaub. Ein Rechtsgutachten für die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hält die EU-Pläne für den Neubau fossiler Gaskraftwerke dennoch für unvereinbar mit EU-Recht sowie mit dem Vorsorgeprinzip aus den europäischen Verträgen.
Warum sollen dennoch Gaskraftwerke entstehen?
Selbst wenn es ausreichend Windkraft- oder Solarkraftanlagen gibt: Die Sonne scheint nicht immer, auch der Wind weht nicht konstant. Darum müssen Bedarfslücken geschlossen werden. Dies kann mit Gaskraftwerken geschehen, die zunächst mit Erdgas betrieben werden, später jedoch auf Wasserstoff umgestellt werden können und sollen.
Lassen Investoren jetzt Geld für Gaskraftwerke fließen?
Allein in Deutschland werden bis 2030 neue Gaskraftwerke mit einer Kapazität von bis zu 30 Gigawatt benötigt, um einen beschleunigten Ausstieg aus der Kohle zu kompensieren. Dafür wird ein Investitionsvolumen von rund 30 Milliarden Euro benötigt, sagt Timm Kehler, Vorstand vom Lobbyverband der Gasindustrie Zukunft Gas. Er glaubt, der Kommissionsvorschlag berge zu wenig Anreize für Investitionen in Gaskraftwerke. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) warnt: „Investitionen in wasserstofffähige Gaskraftwerke sind zwingend notwendig für den Übergang in eine vollständig klimaneutrale Energieversorgung in der Europäischen Union“, so BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae.
Infografik der Woche
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht Deutschland in Sachen Klimaschutz deutlich im Rückstand. 2022 und auch 2023 sei das Erreichen der im Klimaschutzgesetz verankerten Ziele unmöglich. Doch welche Folgen haben diese absehbaren Gesetzesverstöße eigentlich? Thoralf Cleven hat sich unter möglichen Klägern umgehört und berichtet hier exklusiv über deren Einschätzung.
Verbrauchertipp der Woche: Regenkleidung ohne Erdöl
Wer gerne und viel draußen in der Natur ist, kann selten auf sie verzichten: Regenkleidung. Die praktischen Outdoorklamotten sind allerdings nicht immer so grün, wie man denken könnte. Warum das so ist und welche nachhaltigen Alternativen es gibt, lesen Sie hier:
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Ob als leuchtend gelber Friesennerz oder als pragmatischer Windbreaker: Regenjacken sind nicht nur nützlich – und inzwischen sogar wieder angesagt.
© Quelle: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dp
- In der Regel wird Regenkleidung aus Polyester oder Polyamid hergestellt, die auf Rohöl basieren und nicht abbaubar sind. Allerdings: Unter dem Aspekt Klima ist Polyester wahrscheinlich sogar umweltfreundlicher als manche natürliche Faser. Denn Energiebedarf, Chemikalieneinsatz und Wasserverbrauch sind weitaus geringer als zum Beispiel bei Materialien aus Baumwolle.
- Teilweise werden bei der Herstellung und der Imprägnierung von Regenjacken aber noch immer per- und polyfluorierte Chemikalien (PFC) eingesetzt. Sie gelten als besonders wasser-, schmutz- und ölabweisend. Für Mensch und Umwelt sind sie jedoch hochproblematisch: PFC, die durch Waschen und Abnutzung in die Umwelt gelangen, können nicht abgebaut werden und reichern sich so immer weiter an – das birgt Gesundheitsgefahren.
- PFC-freie Alternativen gibt es bislang nicht. Experten finden das aber nicht schlimm: Bei Outdoorkleidung reiche es völlig, wenn die Produkte wasserabweisend sind. Dafür können etwa Silikone, Wachse oder auch dicht gewebte Textilien genutzt werden. Mittlerweile verzichten laut Greenpeace immer mehr Outdoorhersteller auf die Chemikalien – achten Sie beim Kauf auf PFC-freie Membranen aus Polyester sowie Imprägnierungen aus Polyurethan oder auf Paraffin- oder Silikonbasis.
- Hilfreich bei der Auswahl: Bei Regenkleidung nach Labels wie den grünen Knopf oder Fair-Wear-Foundation-Produkte suchen. Diese stellen sicher, dass auch soziale Aspekte wie die Arbeitsbedingungen in Ordnung sind. Für mehr Nachhaltigkeit greift man zudem zu Regenkleidung mit langer Lebensdauer.
- Alle weiteren Fragen zu nachhaltiger Regenkleidung hat Kira von der Brelie hier beantwortet.
Der RND-Klima-Podcast – hier hören:
Wie wirkt sich die Klimakrise auf unsere Gesundheit aus? Eckart von Hirschhausen ist Arzt, Fernsehmoderator, Wissenschaftsjournalist – und Klimaschützer. In der ersten Folge des RND-Klima-Podcasts im Jahr 2022 erzählt er, warum er als Mediziner nicht unpolitisch bleiben kann, wenn es um die Rettung des Planeten geht. Warum Pandemien wie Corona Teil der globalen Umweltzerstörung sind. Und fragt, warum eigentlich niemand über Hitzetote spricht. Außerdem geht es um nachhaltige Neujahrsvorsätze und starke Frauen. Hören Sie die Folge direkt hier:
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Die gute Nachricht
Meeresforscher haben vor der Küste Tahitis in den Tiefen des Südpazifiks ein mehr als drei Kilometer langes Korallenriff entdeckt. Die von Nesseltieren gebildeten Struktur befinde sich in 35 bis 70 Metern Tiefe und scheine in einem guten Zustand zu sein, berichtete die Fachzeitschrift „New Scientist“. Es handele sich um eines der größten in dieser Tiefe entdeckten Riffe, hieß es beim Sender BBC unter Berufung auf die UN-Wissenschaftsorganisation Unesco, die die Mission leitete.
Experten fordern seit Längerem Maßnahmen gegen das Absterben der weltweiten Korallenriffe. Der Klimawandel lasse die Meerestemperaturen steigen, was wiederum zur berüchtigten Korallenbleiche führe.
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Auf diesem von Alexis Rosenfeld zur Verfügung gestellten Foto untersucht ein Forscher des französischen Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung im Dezember 2021 Korallen in den Gewässern vor der Küste von Tahiti in Französisch-Polynesien.
© Quelle: Alexis Rosenfeld/@alexis.rosenfe
Aktuelle Hintergründe
- Kaum hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) seine ehrgeizigen Ziele zum Ausbau der Windkraft verkündet, da wird er schon wieder ausgebremst: Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat an diesem Donnerstag gewarnt, es sehe viele große Herausforderungen beim Ausbau der Windenergie in der Nord- und der Ostsee. Für die Umsetzung der neuen Ziele der Bundesregierung seien noch zahlreiche Diskussionen nötig. Doch auch an Land sind Hürden zu überwinden – aus Sicht von Habeck vor allem allzu strenge Abstandsregelungen für Windkraftanlagen von Wohnhäusern. Reformen sind geplant – gegenüber Thoralf Cleven pochen die Kommunen dabei auf eine faire Lastenteilung.
- Fluten, Waldbrände, Dürre: Der Klimawandel hinterließ in den vergangenen Jahren seine Spuren. Die Jahre 2015 bis 2021 waren laut dem EU-Klimawandeldienst die heißesten, die jemals gemessen wurden. In 2021 lag die Durchschnittstemperatur 1,1 bis 1,2 Grad höher als zur vorindustriellen Zeit – Grund für einen klaren Appell des EU-Dienstes. Lesen Sie hier die Einzelheiten von Saskia Heinze.
280 Milliarden Euro
Weltweit verursachter Schaden durch Extremwetterereignisse im abgelaufenen Jahr
- Das Jahr 2021 reiht sich nach einer Analyse der Munich Re in den besorgniserregenden Langfristtrend zunehmender Zerstörungen durch Naturkatastrophen ein. Weltweit richteten Stürme, Hochwasser und andere Naturgefahren im vergangenen Jahr Schäden von 280 Milliarden Euro an, wie der Rückversicherer am Montag mitteilte. Versichert war davon laut Munich Re mit 120 Milliarden Euro weniger als die Hälfte. Thomas Magenheim berichtet hier über die Einzelheiten.
Bild der Woche
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Es grünt so grün: Am Donnerstag trafen sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, r.) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in der Münchner Staatskanzlei, um zum Beispiel über den Ausbau der Windkraft im Freistaat zu reden. Das Gespräch fand am Kabinettstisch statt, der von einer Wand aus Pflanzen umgeben ist. Ob Habeck, der den Bayern zuvor „Verhinderungsplanungen“ vorgeworfen hatte, deshalb so milde gestimmt war?
© Quelle: Tobias Hase/dpa
Termine
Samstag, 22. Januar, 12 Uhr – Berlin. Protestaktion des „Wir haben es satt!“-Bündnisses unter dem Motto „Neustart Agrarpolitik!“ Die jährliche Großdemonstration wird in diesem Januar durch kleinere Protestaktionen ersetzt. Dem Bündnis geht es um eine Landwirtschaft mit mehr Tierwohl, Umwelt- und Klimaschutz und faire Preise für die Produzenten.
Montag, 24. Januar (bis 28. Januar) – Onlineevent. 19. Internationaler Fachkongress für erneuerbare Mobilität „Kraftstoffe der Zukunft“. Veranstalter ist u.a. der Bundesverband Bioenergie (BBE) (aus Berlin).
Montag, 24. Januar, 18 Uhr – Onlineevent. 3. Hamburger Klimagipfel zum Klimaplan und Klimaschutzgesetz (aus Hamburg)
Mittwoch, 26. Januar – Straßburg. Voraussichtlich Entscheidung der EU-Kommission über die Einstufung von Investitionen in moderne Atom- und Gaskraftwerke.
Freitag, 28. Januar, 10 Uhr, Stuttgart. Landeskongress Gesundheit Baden-Württemberg unter dem Motto „Nachhaltiges Gesundheitswesen“.
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Bis nächste Woche,
Thoralf Cleven und Steven Geyer
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