Wie ein Bericht das deutsch-französische Verhältnis auf eine Belastungsprobe stellt

Medizinisches Personal bringt in Straßburg einen mit Covid-19 infizierten Patienten auf einem Bahnsteig von einem Krankenwagen in einen Hochgeschwindigkeitszug, der zu einer Intensivstation umgebaut wurde, um mehr Patienten versorgen zu können. (Archivbild)

Medizinisches Personal bringt in Straßburg einen mit Covid-19 infizierten Patienten auf einem Bahnsteig von einem Krankenwagen in einen Hochgeschwindigkeitszug, der zu einer Intensivstation umgebaut wurde, um mehr Patienten versorgen zu können. (Archivbild)

Paris. Es war ein Bericht über die Situation im Universitätsklinikum von Straßburg inmitten der Coronavirus-Krise, der eigentlich nie an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Angefertigt hatte ihn das Deutsche Institut für Krisenmedizin (DIFKM) aus Tübingen Ende März, das ihn an das Innenministerium von Baden-Württemberg schickte. Deutschland, so war laut DIFKM der Hintergedanke, solle sich rechtzeitig für den Fall vorbereiten können, dass sich die Lage in Krankenhäusern ähnlich zuspitzen würde wie in der besonders stark betroffenen Region Grand Est.

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Die dortigen Kliniken gerieten zu dieser Zeit zunehmend an ihr Limit. „Logistisch wurde das ganze Krankenhaus auf Covid-19 umgestellt", hieß es in dem Lagebericht über Straßburg. „Zum Beispiel erfolgt nur noch eine lebenswichtige Bypass-Operation pro Tag. Keine Tumor-Chirurgie mehr. Keine operative Frakturversorgung mehr." Weiter unten stand der Satz: „Seit 21.03.2020: Patienten über 80 Jahre keine Intubation (Beatmung) mehr. Stattdessen Sterbebegleitung durch Opiate und Schlafmittel." Er fand sich bald darauf als Schock-Satz in deutschen Medien wieder. Dass eine extra gegründete Ethikkommission über jeden Einzelfall entschied, wurde meist nicht erwähnt, moniert DIFKM-Chef Dr. Stefan Gromer. Er verstehe auch die Verstimmung der französischen Ärzte, die ihre privaten Telefonnummern im Bericht für deutsche Kollegen freigegeben hatten - und dann pausenlos Anrufe von Journalisten erhielten, nachdem sich dieser im Netz wiederfand.

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Zusätzliche politische Verstimmung

Der Straßburger Zeitung „Dernières Nouvelles d'Alsace" (DNA) zufolge sorgte der Vorwurf, in Deutschland würde die Situation in Frankreich dramatisiert, zudem noch für politische Verstimmung. Der Präsident des grenzüberschreitenden Gremiums Oberrheinrat, der grüne Landtagsabgeordnete Josha Frey, wandte sich an das Landesinnenministerium, um mehr über die Zusammenarbeit mit dem DIFKM zu erfahren. Tatsächlich hatte dieses den Besuch bei den Straßburger Kollegen auf eigene Initiative organisiert. Der Bericht habe „Spannungen in einer ohnehin schwierigen Situation für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erzeugt", beklagte Frei in einem Schreiben an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. In einer schriftlichen Antwort erwiderte Staatsrätin Gisela Erler, sie habe in einem Telefonat mit der französischen Europa-Staatsministerin Amélie de Montchalin versichert, dass man sich „der hohen ethischen Standards im französischen Gesundheitssystem sehr bewusst" sei.

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Dies habe das DIFKM auch nie in Frage gestellt, stellte Gromer klar, der den Besuch im Universitätsklinikum in Straßburg persönlich durchgeführt hatte und voll des Lobes für die Ärzte war. Dass die Situation in Ostfrankreich über Wochen hin dramatisch war und eine sogenannte Triage der Patienten durchgeführt wurde, hatte Brigitte Klinkert, Präsidentin des Départementrates Haut-Rhin, gegenüber Medien bestätigt. Um französische Kliniken zu entlasten, wurden dutzende Patienten in Deutschland behandelt.

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Anfeindungen von Grenzgängern beider Seiten

Inzwischen hat sich die Lage auch in der Region Grand-Est entspannt. Am Montag beginnt in Frankreich die schrittweise Lockerung der Ausgangssperre. Strikte Grenzkontrollen bleiben allerdings bestehen. Teilweise kam es in den vergangenen Wochen sogar zu Anfeindungen von Grenzgängern auf beiden Seiten. „Das ist ein großer Rückschlag für das europäische Zusammenwachsen", sagt Josha Frey. Für französische Pendler auf dem Weg nach Deutschland, die mehrere Papiere vorzeigen müssten, handele es sich um einen „wahnsinnigen Verwaltungsaufwand". Auch Politiker der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung setzten sich in einer gemeinsamen Erklärung für eine enge Abstimmung der Nachbarländer ein: Es müsse endlich „Schluss sein mit Gitterzäunen und Schlagbäumen im Herzen Europas". Das bilaterale Gremium war am 22. Januar 2019 bei der Unterzeichnung des Aachener Vertrages gegründet worden. Dieser sollte ein Meilenstein in der deutsch-französischen Freundschaft sein, der der Zusammenarbeit in den Grenzregionen besondere Bedeutung zuerkannte.

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