„Der Tag“

Wer rettet heute die Welt?

Die Polizei fährt mit einem Wasserwerfer bei einer Demonstration an Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten vorbei.

Die Polizei fährt mit einem Wasserwerfer bei einer Demonstration an Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten vorbei.

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

Tim Bendzko hat es nicht geschafft. 47 Wochen war sein Song „Nur noch kurz die Welt retten“ in den deutschen Singlecharts, doch gerettet ist die Welt auch mehr als zehn Jahre später immer noch nicht. Im Gegenteil, die Klimakrise ist längst Realität und spitzt sich weiter zu, und Klimafachleute der Nasa befürchten, dass 2023 noch heißer wird als das vergangene Jahr.

Vor diesem Hintergrund sind das keine schönen Bilder, mit denen Deutschland in diesen Tagen international für Schlagzeilen sorgt. Demonstrierende stehen unter schwarzen Regenwolken vor Kohlebaggern, protestie­ren für den Klimaschutz in Lützerath – und ihnen gegenüber dunkel uniformierte Polizistinnen und Polizisten mit Schlag­stöcken, Helmen und Schutzschilden. Mit Wasserwerfern und Pfefferspray gingen die Einsatzkräfte gegen die Klimaprotestlerinnen und Klimaprotestler gestern Nachmittag vor, auch die Schlagstöcke kamen zum Einsatz, wie Sie in unserem Liveblog lesen können. Es gab mehrere Verletzte, einige Demonstrierende sollen mit Krankenwagen und Rettungshelikopter ins Krankenhaus gebracht worden sein.

Die Polizeikräfte führen Klimaschützer zu einem großen Lkw des Energiekonzerns RWE, der an einen Gefange­nen­­transporter erinnert. Das Unternehmen spricht von „Verwaltungshilfe“, die man der Polizei damit biete, und erklärt auf Nachfrage einer Journalistin, dass sich der Konzern die Kosten für das Fahrzeug von der Polizei erstatten lassen kann.

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Deutschland, das ist nicht das Land der Klimaschützerinnen und Klimaschützer, vermitteln diese Bilder. Deutschland, das ist das Land, in dem die Polizei Profitinteressen eines klimaschädlichen Konzerns durchsetzen muss und am Ende noch eine Rechnung vorgelegt bekommt.

Die Polizei spricht von 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die gestern Nachmittag vor dem Dorf Lützerath demonstriert haben, Fridays for Future von 35.000. „Lasst euch von der Polizei nicht aufhalten“, sagte ein Sprecher auf der Kundgebungsbühne. „Macht alles, was ihr für richtig haltet.“ Und das taten auch Hunderte, versuchten, Polizeiketten zu durchbrechen und bis zur Abbruchkante des Tagebaues vorzudringen. „Ich bin absolut entsetzt“, so Aachens Polizeipräsident.

Es geht darum, Druck zu machen, schreibt mein Kollege Steven Geyer. „Die Umweltbewegung hat in den 1970er- und 1980er-Jahren gelernt, dass ohne Druck von der Straße nichts passiert“, kommentiert er die Proteste. „Darauf müssen auch die Demonstrantinnen und Demonstranten von Lützerath setzen: Dass es nie um ein paar Bauernhöfe ging, sondern darum, die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, dass wir aufhören müssen mit dieser Landschafts-, Natur- und Klimazerstörung.“

Die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer (rechts) und Greta Thunberg stehen im weitgehend geräumten Braunkohleort Lützerath.

Die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer (rechts) und Greta Thunberg stehen im weitgehend geräumten Braunkohleort Lützerath.

Für viele der Demonstrantinnen und Demonstranten ist klar: Das Klima rettet die Bundesregierung nicht mehr, das müssen sie selbst in die Hand nehmen. „Lützerath ist noch da, und solange die Kohle noch in der Erde ist, ist dieser Kampf nicht zu Ende“, sagte die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg am Tagebau. Konzerne wie RWE müsse man eigentlich zur Rechenschaft ziehen. „Dass die Grünen mit solchen Unter­nehmen Kompromisse schließen, zeigt, wo ihre Prioritäten liegen“, sagt sie.

Welche Kompromisse die Grünen beim Klimaschutz eingegangen sind, zeigt sich auch nach rund einem Jahr Ampelregierung. Das von der FDP geführte Verkehrsministerium ist das große Sorgenkind beim Klimaschutz, und die Grünen hätten das Ministerium am liebsten selbst besetzt. Längst zeigt sich: Kein Sektor ist so weit vom Erreichen der Klimaziele entfernt wie der Verkehrssektor, wie meine Kollegin Alisha Mendgen und mein Kollege Andreas Niesmann berichten. (+) Schon 2021 hatten Autos, Lastwagen, Flugzeuge, Schiffe und Bahnen mehr Klimagase ausgestoßen als vorgesehen. Laut Schätzung der Denkfabrik Agora Energiewende ist die Lücke zwischen Vorgabe und Realität im vergangenen Jahr noch einmal gewachsen. Zwischen Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat sich eine „toxische Beziehung“ entwickelt.

Klimaschutz ohne Kompromisse – für dieses Ziel wollen die Aktivistinnen und Aktivisten in Lützerath heute weiterkämpfen.

Der Tag

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Zitat des Tages

Ich hatte die Freiheit, es mir aussuchen zu können, wann ich mich zur Ruhe setzen möchte, und habe schon zehn Jahre überzogen. Das finde ich großartig.

Jürgen Drews,

Schlagersänger

Der „König von Mallorca“ dankt ab und blickt im RND-Interview auf seine Karriere zurück. (+)

 

Leseempfehlungen

Im schwedischen Kiruna ist jüngst das bislang größte Vorkommen seltener Erden in Europa entdeckt worden. Die Erze sind extrem gesucht und für Elektrogeräte, aber auch die Energiewende unverzichtbar. Ob sich der Abbau wirtschaftlich rechnet, ist aber keineswegs gesagt. Mein Kollege Ben Kendel beantwortet die wichtigsten Fragen zum Fund.

Als „Arche der Reichen“ galt ein ebenso bizarres wie umstrittenes Bauprojekt in den österreichischen Alpen – Luxus abseits von Klimakatastrophe und Kriegen. Das kam nicht gut an. Nun geht es um die Schönheit der Natur, Spiritualität und Freude. Für Kritikerinnen und Kritiker ist das Greenwashing pur, wie RND-Korrespondent Patrick Guyton aufgeschrieben hat (+).

 

Aus unserem Netzwerk

In Brandenburg macht ein Video über soziale Netzwerke und Whatsapp die Runde. Es zeigt, wie ein Jäger einen Hirsch in einem Gartenteich ersticht – und wie dieser sich danach minutenlang im Wasser windet, bevor er stirbt. Brutale Tierquälerei finden die einen, absolut legal und unvermeidlich die anderen. Die „Märkische Allgemeine Zeitung“ (+) hat mit dem Anwalt des Jägers gesprochen.

 

Termine des Tages

  • 10 Uhr: Gedenken und Demonstrationen zum 104. Todestag der Kommunistenführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.
  • 18 Uhr: Deutschland trifft bei der Handball‑WM auf Serbien.
 

Was heute wichtig wird

In Hessen könnte durch weitere Regenfälle am Sonntag punktuell die höchste Hochwasser­meldestufe erreicht werden. Unter anderem am Pegel Marburg, hier auf dem Bild zu sehen, sei Stufe 3 möglich, erklärte eine Sprecherin des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie. Ab dieser dritten Meldestufe werden Ortschaften vom Hochwasser eingeschlossen, Straßen sind unpassierbar.

In Hessen könnte durch weitere Regenfälle am Sonntag punktuell die höchste Hochwasser­meldestufe erreicht werden. Unter anderem am Pegel Marburg, hier auf dem Bild zu sehen, sei Stufe 3 möglich, erklärte eine Sprecherin des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie. Ab dieser dritten Meldestufe werden Ortschaften vom Hochwasser eingeschlossen, Straßen sind unpassierbar.

 

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Wir wünschen Ihnen einen guten Start in den Tag,

Ihr Sven Christian Schulz

 

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