Angriffskrieg auf die Ukraine

„Wer ist Wladimir Putin?“ Arte-Doku gibt dreistündige Antwort

Aufnahme aus der Dokumentation „Wer ist Wladimir Putin?“, die noch in der Arte-Mediathek abrufbar ist.

Aufnahme aus der Dokumentation „Wer ist Wladimir Putin?“, die noch in der Arte-Mediathek abrufbar ist.

Gibt es noch Details den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine betreffend, die uns überraschen, die uns vielleicht sogar staunen lassen? Arte hat es mit einem Themenabend geschafft.

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Mit einem Doku-Dreiteiler lockte der deutsch-französische Kulturkanal am Dienstagabend all jene, die sich auch nach über einem Jahr Krieg in Osteuropa, nach täglichen News-Häppchen in der Tagesschau und zahllosen Talkshows die Frage stellen: „Wer ist Wladimir Putin?

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Dabei gelingt der amerikanischen Dokumentarfilmerin Norman Percy Erstaunliches, weil sie die Geschichte dieses Konfliktes, dessen Ende noch nicht abzusehen ist, wie ein abge­schlossenes historisches Ereignis analysiert, dessen unheilvolle Entwicklung bereits früh auf diesen Krieg zuzusteuern schien.

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Früh, also noch vor der Krim-Annexion, beginnt die Dokumentation. Namhafte Zeitzeugen aus allen beteiligten Staaten kommen ausgiebig zu Wort – darunter die britischen Ex‑Premiers David Cameron, Theresa May und Boris Johnson, die ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Wolodymyr Selenskyj, der CIA‑Direktor Bill Burns, der ehemalige US‑Außenminister John Bolton, Merkels Sprecher Lars-Hendrik Röller, Andrej Kelin vom russischen Außenministerium und viele mehr.

Da sind diese Bilder aus der Vorkriegszeit, die mit unserem heutigen Wissen eine ganz eigene Sprache sprechen: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte den russischen Präsidenten (den er mit Umarmungen begrüßt) und dessen ukrainischen Amtskollegen Selenskyj (dem er kühl die Hand entgegenstreckt) zusammen mit Angela Merkel im Dezember 2019 nach Paris eingeladen. Ein Versöhnungsgipfel sollte es werden.

Und während in trauter Viererrunde der frisch gewählte ukrainische Präsident mit sorgen­voller Miene und Stimme seine Unzufriedenheit mit dem Status quo in der Ostukraine kundtut, meidet ein sichtlich gelangweilter, beinahe angewidert dreinschauender Wladimir Putin jeden Blickkontakt zum Mann aus Kiew.

Während Selenskyj im Dezember 2019 beim Treffen mit Putin in Paris seine Sorgen über die Lage in der Ostukraine äußert, schaut Putin gelangweilt weg.

Während Selenskyj im Dezember 2019 beim Treffen mit Putin in Paris seine Sorgen über die Lage in der Ostukraine äußert, schaut Putin gelangweilt weg.

Während deutsche Medien den Gipfel damals noch als Zeichen der Hoffnung deuteten, wirken die Bilder in der Dokumentation mit dem heutigen Wissen verstörend klar: Putin sucht gar keine Übereinkunft. Er ist Merkel und Macron zuliebe anwesend, gibt sich aber keine Mühe, zu kaschieren, dass er diese Zusammenkunft für Zeitverschwendung hält.

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Seine Körpersprache verrät Abneigung und Arroganz dem Mann aus Kiew gegenüber. Auf der anschließenden Pressekonferenz äußerte Putin kühl, zu einer Belebung, Modifizierung oder Vertiefung des Minsker Abkommens nicht bereit zu sein – weil er da längst ganz andere Pläne hatte? Der Verdacht drängt sich auf.

Chronologie der Vorkriegsmonate

Nicht minder beeindruckend ist die Chronologie der letzten Monate vor dem Krieg: Ein europäischer Politiker nach dem anderen reist nach Moskau, sitzt an dieser absurd langen Tafel einem Mann gegenüber, der alles an sich abprallen lässt.

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace, der am 11. Februar 2022, also 13 Tage vor Kriegsbeginn, in Moskau seinen russischen Kollegen Sergej Schoigu und dessen General­stabschef Waleri Gerassimow traf, schildert in der Doku seine Eindrücke. „Sie gingen von folgenden Annahmen aus: Die Ukrainer würden nicht kämpfen. Die russische Armee sei nahezu unbesiegbar. Die internationale Gemeinschaft würde zerbrechen. Und die Ukrainer würden sie willkommen heißen.“ Vier Annahmen, vier Irrtümer, wie wir heute wissen.

Wallace redete seinem russischen Kollegen ins Gewissen: „Sie (die Ukrainer) werden kämpfen!“. Daraufhin Schoigu: „Nein, meine Mutter stammt aus der Ukraine.“ Wallace weiter: „Er leugnete auch jede Invasionsabsicht.“ Die Politiker aus London und Moskau, die sich seit Jahren kannten, führten dabei einen geradezu absurden Dialog. Wallace beschreibt Gerassimows Rollenspiel so: „Ich belüge dich, und du weißt es. Ich weiß, dass du es weißt, aber ich belüge dich trotzdem.“

Als wir hinausgingen sagte General Gerassimow zu mir: Wir lassen uns nie mehr demütigen. Wir hatten die viertstärkste Armee der Welt, jetzt sind wir auf Platz zwei. Es geht um uns und die USA.

Ben Wallace,

britischer Außenminister

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Wallace weiter: „Als wir hinausgingen, sagte General Gerassimow zu mir: Wir lassen uns nie mehr demütigen. Wir hatten die viertstärkste Armee der Welt, jetzt sind wir auf Platz zwei. Es geht um uns und die USA.“

Und es entsteht beim Zuschauer einmal mehr der Eindruck, dass die Macher im Kreml in jenen Monaten, Wochen, Tagen einer katastrophalen Selbsttäuschung erlegen waren.

Einer Illusion von Stärke und Macht

Einer Illusion von Stärke und Macht, der sich übrigens auch der Fernsehzuschauer nicht entziehen kann, wenn er die Bilder auf sich wirken lässt, die der Kreml damals aussendete: Da sieht man Putin, der trotz seiner Körpergröße von nur 1,70 Meter (sein Vorgänger Medwedew ist nur 1,63 Meter groß) mächtig und groß wirkt, während er allein über einen roten Teppich durch die Hallen des Kreml vorbei an zackigen, paillettenbehangenen Wachen defiliert, die mit ihren Gewehren und hohen Mützen wie Nussknacker aussehen.

Das alles hat etwas Operettenhaftes. Dann läuft der kleine Mann durch eine absurd hohe Tür, hinter der Menschen wie am Hof eines Imperators auf das Eintreffen seiner Majestät warten und brav klatschen.

Aufnahme aus der Dokumentation „Wer ist Wladimir Putin?“, die noch in der Arte-Mediathek abrufbar ist.

Aufnahme aus der Dokumentation „Wer ist Wladimir Putin?“, die noch in der Arte-Mediathek abrufbar ist.

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Goldener Wandschmuck und Kronleuchter geben dem Ambiente etwas Imperiales, Gewaltiges. Das alles scheint nichts mit dem Land gemein zu haben, dessen Einkommen ausschließlich auf Rohstoffimporten basiert, dessen Bruttoinlandsprodukt kleiner als das Südkoreas ist, dessen Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner auf dem Niveau des ärmsten EU-Mitglieds Bulgarien rangiert, wo die Lebenserwartung der Menschen unter der des Irak und Indonesiens liegt.

Und wer ist nun dieser Wladimir Putin? Nach 180 Minuten Zuschauen hat man zumindest eine Idee davon: Putin ist ein notorischer Lügner und ein größenwahnsinniger Spieler, der sich und die ganze Welt getäuscht hat. Und der als Präsident gerade dabei ist, sein armes Land für kommende Generationen vollständig zu ruinieren. Vielleicht gibt es darüber bald den finalen vierten Teil der Doku.

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