Norbert Röttgen: Außenseiter, Diplomat, Steigbügelhalter?
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Norbert Röttgen.
© Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa-Pool/dp
Nicht viele hätten gedacht, dass Norbert Röttgen am Samstag beim CDU-Parteitag zur Wahl stehen würde. Und noch dazu Chancen hat. Seine Kandidatur war vor knapp einem Jahr eine große Überraschung – offenbar für alle in der CDU außer für Röttgen selbst. Der Solotrip illustriert, wie der einstige Fraktionsgeschäftsführer, Bundesumweltminister und derzeitige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag in der Partei bis dahin gesehen worden war: als Einzelgänger, hochintelligent, beredt und belesen, aber wenig teamorientiert und zuweilen etwas abgehoben.
Mit einem Unterstützertrupp mit dem verschworenen Namen „Röttgang“ und vielen auf sozialen Medien gut dokumentierten Gesprächen mit Kreisverbänden steuerte der 55-Jährige gegen. Die Rolle des chancenlosen Außenseiters bei der Wahl hat er darüber alsbald abgelegt. Er profitierte ausgerechnet von der Corona-Krise und die dadurch notwendige zweimalige Verschiebung des Bundesparteitags. Dadurch gewann Röttgen Zeit für Profilierung.
Bei den zahlreichen außenpolitischen Topthemen von der Vergiftung des Kremlkritikers Nawalny über die Ostseepipeline Nord Stream 2 bis hin zum irrlichternden US-Präsidenten Trump war er als fundierter und versierter Gesprächspartner in Talkshows und Nachrichtensendungen gefragt, was ihm in der Partei Respekt eintrug.
Seine umweltpolitische Expertise ist ohnehin unbestritten. Und sein Wille und seine Fähigkeit, die CDU zu modernisieren, gilt als glaubwürdig. Zuletzt bemühte er sich, durch die Forderung nach Abschiebungen auch nach Syrien seinem liberalen Image ein paar schärfere Noten hinzuzufügen. Auch das kam in der Partei gut an.
Röttgens Schwerpunkte kurz und knapp
- „moderne Mitte“
- kein Lagerdenken
- weiblichere, jüngere, digitalere CDU
Die Schwächen des Norbert Röttgen
Zumindest in Nordrhein-Westfalen – der CDU-Landesverband stellt mit 298 die meisten der 1001 Delegierten – hängt Röttgen noch die Niederlage bei der Landtagswahl 2012 an. Sein Wahlkampf als Spitzenkandidat galt als missglückt. Und seine Weigerung, aus der Bundesregierung in die Düsseldorfer Opposition zu wechseln, tragen sie ihm bis heute als arrogantes Verhalten nach.
Merkel entließ ihn schließlich als Umweltminister – allerdings auf Drängen der CSU, die sich mit ihm über die Atomkraft stritt. Einen großen Fehler hat er nun möglicherweise im Ringen um den CDU-Vorsitz auf den allerletzten Metern gemacht. In einem Interview bezeichnete er die FDP wegen ihres Abbruchs der Jamaika-Koalitionsverhandlungen 2017 als „unsichere Kantonisten“.
Eine Koalition im Bund mit der Partei, mit der Laschet in Düsseldorf vertrauensvoll regiert und die immer noch vielen in der CDU als Wunschpartner gilt, stellte er regelrecht in Abrede. Mit innenpolitischen Themen punktete Röttgen weniger. Und jenen, die den künftigen CDU-Chef auch als Kanzlerkandidaten haben wollen, missfiel, dass Röttgen anfänglich erkennen ließ, dass er die Kanzlerkandidatur auch einem anderen überlassen würde: Markus Söder.
Nach 16 Jahren Kanzlerschaft Merkels wollen viele CDU-Politiker die einzigartige Chance, nach Merkels selbstbestimmtem Abschied die Kanzlerkandidatur für die CDU zu sichern, nicht leichtfertig verspielt sehen.
Andererseits: Bei den Söder-Fans in der CDU könnte Röttgen damit wieder punkten.