„Der Tag“

Wenn Russen neben Ukrainern schießen

Der Präsident des IOC, Thomas Bach, hält eine abschließende Rede bei den olympischen Winterspielen 2022.

Der Präsident des IOC, Thomas Bach, hält eine abschließende Rede bei den Olympischen Winterspielen 2022.

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

das Internationale Olympische Komitee (IOC) steht heute vor einer wegweisenden Entscheidung: Dürfen russische und belarussische Athletinnen und Athleten wieder an internationalen Wettkämpfen teilnehmen? Für IOC-Präsident Thomas Bach ist die Suche nach der Antwort „keine beneidenswerte Aufgabe“.

Denn bei seiner Sitzung in Lausanne will das IOC-Exekutivkomitee über Eckpunkte diskutieren, die Athletinnen und Athleten den Weg zurück auf die internationale Bühne – und zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris – ebnen sollen. Möglicherweise dürfen Sportlerinnen und Sportler aus beiden Ländern also schon bald wieder unter neutraler Flagge antreten. Ein Plan, der angesichts des brutalen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine nicht nur die Sportwelt spaltet.

Wieder einmal müssen wir uns die Frage stellen: Wie stark sind Sport und Politik miteinander verwoben? Für Bach scheint die Antwort klar zu sein. „Wir wollen den Sport nicht als politische Waffe, sondern als verbindende Kraft“, sagte der Olympiasieger von 1976 vergangene Woche in Essen. Die Politik solle die Autonomie des Sports anerkennen, so sein Wunsch. Sportlerinnen und Sportler dürften nicht zum Instrument der Politik werden. Ein Ausschluss nach politischen Gesichtspunkten würde den „Verfall des internationalen Sportsystems“ auslösen. Verbände aus vielen Teilen der Welt teilen diese Ansicht.

Auf den ersten Blick mag das vielleicht plausibel klingen – schließlich sind Russinnen und Russen nicht schuld am Überfall auf das Nachbarland. Doch spätestens mit der Fußball-WM in Katar dürfte auch den letzten Zweiflerinnen und Zweiflern klar geworden sein: In dieser Welt ist eine Trennung unmöglich geworden.

Blaupause im Fechten?

Fechten ist ein Negativbeispiel dafür, wie die Entscheidung des IOC sich auswirken könnte. Der Welt-Fechtverband hat bereits Anfang März für die Rückkehr von Russland und Belarus gestimmt. „Der Internationale Fechter-Verband ist gegen die Ukraine“, sagte die ukrainische Fechterin Olga Kharlan (Olympiasiegerin und Weltmeisterin), die wie alle Ukrainerinnen und Ukrainer in Zukunft nicht mehr antreten wird. Auch deutsche Fechter und Fechterinnen haben ihren Boykott angekündigt.

Olga Kharlan bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Sie gewann hier die Bronzemedaille im Säbelfechten.

Olga Kharlan bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Sie gewann hier die Bronzemedaille im Säbelfechten.

Es ist ein schmaler Grat. Deswegen hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Demzufolge wäre ein fortwährender Ausschluss von Russland und Belarus keine Diskriminierung und damit zulässig. Während der DOSB daher „klare Kriterien und universelle Regeln“ vom IOC fordert, gehen andere Nationen auf die Barrikaden. Die Ukraine, Estland, Lettland, Litauen und Polen haben das IOC in einer gemeinsamen Erklärung aufgefordert, die Sperre zu verlängern. „Es gibt keinen einzigen Grund, von der Ausschlussentscheidung (…) abzurücken“, heißt es.

Was die Rückkehr von Russinnen und Russen in der Realität noch bedeuten könnte, hat Rodelolympiasieger Felix Loch vor einigen Wochen besonders bildlich beschrieben, als er über Biathlon sprach. „Da steht dann jetzt der Russe neben dem Ukrainer und schießt 50 Meter entfernt auf Scheiben. Da läuft es mir eiskalt den Rücken runter, wenn man überlegt, dass die gerade 1000 Kilometer entfernt irgendwo im Graben liegen und sich gegenseitig beschießen“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk.

Wie auch immer die Entscheidung heute ausfällt, die Diskussion im Anschluss wird ziemlich sicher riesig sein. Vergessen dürfen wir dabei nicht, dass es immer noch um Menschen geht – auf allen Seiten. So berichtete die belarussische Australian-Open-Siegerin Aryna Sabalenka erst kürzlich vom Hass, der ihr in der Kabine und auf der Tour entgegenschlägt.

Ob sich Vorfälle dieser Art nach einer Wiederzulassung vermeiden lassen, ist unklar. Um 16 Uhr beginnt die Pressekonferenz in Lausanne. Spätestens dann wissen wir mehr.

Wir wünschen Ihnen einen guten Start in diesen Tag,

Ihre Chantal Ranke

Der Tag

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Zitat des Tages

Wir befinden uns mitten in einer Krise, die unsere essenzielle Einheit gefährdet.

Benjamin Netanjahu,

Israels Ministerpräsident

Wochenlang gingen Hunderttausende Menschen in Israel immer wieder auf die Straße, um gegen die umstrittenen Regierungspläne für eine Justizreform zu demonstrieren. Gestern hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu einen vorübergehenden Stopp der umstrittenen Justizreform angekündigt. „Ich habe entschieden, die zweite und dritte Lesung in dieser Sitzungsperiode auszusetzen“, sagte Netanjahu am Montag in Jerusalem. Das Gesetzesvorhaben wird damit frühestens Ende April im Parlament zur Abstimmung vorgelegt. Netanjahu hat sich trotz seiner langjährigen Regierungserfahrung bei dem Vorhaben gehörig verschätzt, kommentiert RND-Auslandskrisenreporter Can Merey.

 

Wer heute wichtig wird

Die Spitzenpolitiker von SPD, Grünen und FDP setzen am Dienstagmorgen ihr unterbrochenes Krisentreffen im Kanzleramt fort. Im Koalitionsausschuss suchen sie Kompromisse in diversen Streitfragen. Vor allem geht es dabei um mehr Klimaschutz im Verkehrsbereich und einen schnelleren Bau von Autobahnen. Das Treffen, das bereits am Sonntagabend gegen 18.30 Uhr begonnen hatte, war am Montagmittag unterbrochen worden, da Kanzler Olaf Scholz (SPD) und mehrere Minister zu deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen nach Rotterdam reisten.

Die Spitzenpolitiker von SPD, Grünen und FDP setzen am Dienstagmorgen ihr unterbrochenes Krisentreffen im Kanzleramt fort. Im Koalitionsausschuss suchen sie Kompromisse in diversen Streitfragen. Vor allem geht es dabei um mehr Klimaschutz im Verkehrsbereich und einen schnelleren Bau von Autobahnen. Das Treffen, das bereits am Sonntagabend gegen 18.30 Uhr begonnen hatte, war am Montagmittag unterbrochen worden, da Kanzler Olaf Scholz (SPD) und mehrere Minister zu deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen nach Rotterdam reisten.

 

Termine des Tages

In Frankreich haben die Gewerkschaften für diesen Dienstag erneut zu Streiks und Kundgebungen gegen die umstrittene Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron aufgerufen. Für den zehnten landesweiten Protesttag rechneten die Behörden mit rund 650.000 bis 900.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Nach der wochenlangen Blockade Deutschlands auf EU-Ebene im Streit über die Zukunft von Autos mit Verbrennungsmotor stimmen die EU-Staaten am heutigen Dienstag über das Gesetzesvorhaben ab.

Der Bundesgerichtshof äußert sich heute zu den zulässigen Speicherfristen für bestimmte Schufa-Einträge. Dabei geht es um abgeschlossene Privatinsolvenzen. Ein Betroffener will erreichen, dass die Schufa die Informationen darüber deutlich früher löschen muss als derzeit üblich.

 

Leseempfehlungen

Von der gehassten Ehebrecherin zum Vorbild-Royal: Noch vor seiner Krönung besucht König Charles III. mit seiner Frau Camilla Deutschland. Als Queen Consort wird sie hier empfangen – den Titel wünschte sich die Queen vor ihrem Tod für ihre Schwiegertochter. Bis dahin war das lange undenkbar. Ein Blick auf Camilla, die viel Durchhaltevermögen auf dem Weg zu ihrem heutigen Status brauchte.

Könnte Trump auch im Gefängnis Präsident werden? Noch steht es nicht fest, aber Donald Trump könnte schon bald angeklagt werden. Was wäre bei einer Verurteilung mit seiner Präsidentschaftskandidatur? Die US-Verfassung liefert überraschende Antworten.

 

Aus unserem Netzwerk: Anwältin eines Mörders

Beate Falkenberg verteidigte den Dreifachmörder, der in Rövershagen (Kreis Rostock) seine Eltern und seine Schwester ermordet hat. Die Rechtsanwältin aus Rostock spricht im Interview mit der „Ostsee-Zeitung“ darüber, wie es ist, einem Mörder rechtlichen Beistand zu leisten – und wie sie mit Kritik und Drohungen umgeht. (+)

 

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