Wenn Robert Habeck vor Wut ins Kissen beißt
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„Ich würde auf die Hälfte der grünen Prozentpunkte verzichten, wenn die Regierung endlich anfinge, vernünftig zu arbeiten“: Grünen-Chef Robert Habeck zum Thema Klimapolitik.
© Quelle: Thomas Trutscher/imago images
Herr Habeck, ab Herbst steht erstmals eine Frau an der Spitze der EU-Kommission. Können Sie sich darüber freuen?
Ja. Ich freue mich, dass endlich eine Frau Kommissionspräsidentin wird, und durchaus auch darüber, dass es Ursula von der Leyen ist. Sie hat eine überzeugende Rede gehalten und sich Ziele gesetzt, die auch wir verfolgen. Wie Frau von der Leyen wollen wir soziale Mindeststandards, eine Bankenunion, einen CO2-Preis, mehr verfasste Demokratie. In der Bundesregierung und im Europäischen Rat wird sie es damit allerdings schwer haben, denn sie widerspricht damit teilweise den Positionen der deutschen Regierung.
Das klingt offener, als es Ihre Brüsseler Parteikollegen waren. Ska Keller und Sven Giegold wirkten wie Fundamentalopposition zu von der Leyen.
Wir wollen natürlich Verbindlichkeit bei Themen, die uns wichtig sind. Deswegen waren wir dafür, die Wahl von der Leyens zu verschieben. Wir wollten nicht die Katze im Sack kaufen.
In den Augen vieler hat von der Leyen eine fast grüne Bewerbungsrede gehalten. Wieso reichte das nicht?
Wir haben uns immer so aufgestellt, dass der Inhalt entscheidet, nicht die Ankündigung von Inhalt. Das ist aber alles Vergangenheitsbewältigung. Wir sind längst weiter. Es gab gerade Gespräche mit Frau von der Leyen. Sie scheint erkannt zu haben, dass sie das Parlament braucht. Und im Parlament die Grünen.
Zur Innenpolitik: Halten Sie es für realistisch, bis 2035 keine Inlandsflüge mehr zu benötigen?
Es ist möglich und erstrebenswert, bis ins Jahr 2035 keine Inlandsflüge mehr in Deutschland zu haben. Die Bahnstrecken müssen dafür aber massiv ausgebaut werden. Schnelle Verbindungen wie zwischen Berlin und Hannover oder Hamburg oder wie beim Sprinter zwischen Berlin und München brauchen wir viel häufiger.
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„Die Bahnstrecken müssen massiv ausgebaut werden“: Zugfan Habeck während seiner Sommerreise 2018 im überfüllten ICE, auf einem Pressefoto der Grünen.
© Quelle: Dominik Butzmann
Wie wollen Sie die Anreize für Verbraucher verändern?
Das ist gar nicht so kompliziert. Kerosin für Binnenflüge muss normal besteuert werden. Im Gesetz steht das übrigens auch so, aber dann kommt die Ausnahme für die gewerbliche Luftfahrt. Wir müssen nur die Ausnahme streichen. Mit den Einnahmen von etwa 500 Millionen Euro könnte man die Mehrwertsteuer auf Bahntickets verringern, was etwa 400 Millionen Euro kostet. Das könnten wir ab Herbst 2019 einführen. Da müssten wir gar nicht bis 2035 warten.
Glauben Sie, dass die Menschen das mitmachen? Die Flugzahlen sind auf Rekordniveau.
Die meisten Inlandsflüge sind keine Freizeitflüge. Da treffen sie vor allem Geschäftsleute und Beamte. Da können wir direkt ansetzen.
Wie?
In der Bundesreisekostenverordnung steht, dass Flüge bezahlt werden, wenn sie wirtschaftlicher sind. In der Praxis werden Beamte und Berater von Ministerien angehalten zu fliegen, weil das so günstig ist. Ich fände es richtig, das zu ändern. Der Staat muss beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle übernehmen. In der Reisekostenverordnung sollte festgeschrieben werden, dass in der Regel die klimafreundlichste Alternative genutzt werden sollte. Das würde Binnenflüge deutlich reduzieren. Für Unternehmen wäre es sicher ein Anreiz, sich anzuschließen.
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Noch immer fliegen Beamte täglich von Bonn nach Berlin. Wäre ein Komplettumzug der Regierung nach Berlin nach 30 Jahren ein gutes Zeichen?
Das Bonn-Berlin-Gesetz ist zwar weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, aber es ist Strukturpolitik. Die hat ihr Recht. So gehen wir in Braunkohleregionen vor, deshalb kriegen kleine Städte Hochschulen, deshalb steht in Flensburg das Kraftfahrt-Bundesamt. Mir ist lieber, dass wir Nordrhein-Westfalen die Bonner Ministerien lassen und sie dafür aus der Kohle aussteigen als umgekehrt. Aber klar kann man auch moderne Technik nutzen. Manch eine Videokonferenz würde dann einen Teil der Flüge überflüssig machen.
Sie sind viel unterwegs. Können Sie den eigenen Ansprüchen genügen?
Nicht immer, es wäre vermessen, das zu behaupten. Nie bin ich so viel Auto gefahren wie als Umweltminister, weil ich in jeden Winkel des Landes wollte. Jetzt gibt es häufig die Erwartung, dass man als Politiker am Nachmittag in Berlin einen Termin wahrnimmt und am Abend einen in München. Das funktioniert nur, wenn man fliegt. Selbst, wenn man die Veranstaltung am Abend mit dem Zug erreicht, ist das Problem am Morgen wieder da, weil der erste Termin in Hamburg oder Berlin ist. Das Verständnis für Absagen ist eher gering. In Wirtschaft und Politik hat man sich in den letzten Jahren eine Allzeitverfügbarkeit angewöhnt. Es wird sicher etwas dauern, da wieder rauszukommen.
Wie lösen Sie das Problem?
Mir persönlich helfen Nachtzüge. Man muss sich erst mal an den Schlaf gewöhnen, wenn es so ruckelt und der Zug immer mal wieder hält, aber ich mag es. Die Deutsche Bahn bietet allerdings keine Nachtzüge mehr an. Zum Glück sind Schweizer und Österreicher eingesprungen. Die sind permanent ausgebucht. Wir brauchen mehr Nachtzüge.
Ist das eine Lösung für belastete Spitzenpolitiker, die morgens in Topform sein müssen – schließlich haben Sie selten ein Abteil nur für sich?
Für mich ist es meist okay. Aber ich verstehe, wenn mancher Kollege oder manche Kollegin das nicht für machbar hält, schließlich sind die Abteile nicht nach Geschlecht getrennt.
Wenn es nach Ihnen geht: Welche Einschränkungen müssen wir wegen des Klimaschutzes akzeptieren?
Ich sehe es als Umstellung. Eingeklemmt in die engen Flieger ist auch kein Genuss. Und die Flughäfen mit ihre Luxusboutiquen und ihrem zur Schau gestellten Wohlstand sind nicht unbedingt eine Erbauung. Abends im Nachtzug noch ein Bier zu trinken und morgens am Ziel aufzuwachen, ist für mich die angenehmere Form zu reisen.
Trotzdem leben wir in einem Wirtschaftssystem, das darauf ausgerichtet ist, alles immer besser und bequemer zu machen. Sind wir an einem Wendepunkt?
Die Logik, dass Wirtschaften maximalen Ressourcenverbrauch bedeutet, ist an ihr Ende gekommen. Wir sollten uns aber nicht einreden lassen, dass unser Leben dadurch unbequemer und entbehrungsreicher wird. Wir müssen technischen und gesellschaftlichen Fortschritt kombinieren. Mitfahrgelegenheiten werden digital angeboten. Man muss nicht selbst fahren, es gibt weniger Stau, weil weniger Autos unterwegs sind – das ist doch ein Gewinn an Freiheit. Und ich kenne Leute, die sich treffen, um die Klamotten zu tauschen, die in unseren Schränken so massenhaft rumhängen. Die haben eine gute Zeit, neue Klamotten und sparen Ressourcen.
Freuen sich die Grünen heimlich, dass die große Koalition am Klimaschutzgesetz scheitert, damit sie in zwei Jahren zeigen können, wie es geht?
Im Gegenteil, an jedem Morgen, an dem ich sehe, dass mal wieder nichts passiert ist, beiße ich vor Wut ins Kissen. Ich würde auf die Hälfte der grünen Prozentpunkte verzichten, wenn die Regierung endlich anfinge, vernünftig zu arbeiten.
Was verändert sich aus Ihrer Sicht durch den Schritt von Frau Kramp-Karrenbauer ins Kabinett?
Der Schritt kann die Arbeit in der Koalition erschweren. Meine Erfahrung ist, dass ein Kabinett als eigene Institution zusammenarbeiten muss. Es braucht einen Geist der Gemeinsamkeit. Was nicht passieren darf, ist, dass Frau Kramp-Karrenbauer als CDU-Vorsitzende ihr parteiinternes Kuddelmuddel ins Kabinett holt.
Die Verteidigungsministerin will höhere Rüstungsausgaben. Wie soll man mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato umgehen?
Die Frage ist: Wofür 2 Prozent? Was ist die Aufgabe der Nato? Aus meiner Sicht muss man sich besonders auf neue Formen der Konflikte einstellen, inklusive Cyberkriegen. Es sollte vor allem darum gehen, Kriege zu verhindern. Im Übrigen hat sich die Bundesregierung auch verpflichtet, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent aufzustocken, ohne sich daran zu halten. Darüber gibt es keine Debatte. Dabei würde ich das auch angesichts von Flucht und Migration erwarten.
US-Präsident Trump will, dass Bundeswehrsoldaten in Syrien amerikanische Bodentruppen ersetzen. Können Sie sich das vorstellen?
Ich halte das für falsch. Die Situation in Syrien ist verfahren. Es gibt kein Szenario, wie es enden soll. Das war aber immer unsere Grundbedingung für ein Engagement – auch als Lehre aus Afghanistan. Außerdem fehlt ein UN-Mandat. Die Entsendung von Bodentruppen nach Syrien ist für die Grünen keine Option.
Zum Schluss: Ihre Twitter-Abstinenz tut Ihren Beliebtheitswerten keinen Abbruch. Fühlen Sie sich bestätigt?
Diese Beliebtheitsrankings sind fürchterlich. Als ob es sinnvoll wäre, Politiker nach Wochenleistungen zu benoten. Das ist die Verdieterbohlisierung der Politik. Was Twitter angeht: Mein Eindruck ist, dass viele einen anderen Dialog wollen und dass wir miteinander vernünftig reden. Sie kommen zu ganz altmodischen Veranstaltungen, hören zu, sind ernst. Und wollen ihrerseits ernst genommen werden und Teil eines gemeinschaftlichen Gesprächs sein. Da hat sich etwas verändert, und zwar zum Besseren.
Von Markus Decker und Gordon Repinski/RND