Was Annalena Baerbock schreibt
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Grünen-Kanzlerkandidatin und Parteichefin Annalena Baerbock veröffentlicht pünktlich zum Wahlkampf ein Buch.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu geben: Wer als Spitzenpolitiker ganz nach oben will, braucht ein Buch mit seinem Bild und Namen auf dem Cover.
Es gibt eine Biografie über Armin Laschet, der Unions-Kanzlerkandidat geworden ist, und gleich zwei über Markus Söder, der trotzdem nicht Unions-Kanzlerkandidat geworden ist. Andere mit Aspirationen haben selbst Bücher vorgelegt, Olaf Scholz zum Beispiel und Friedrich Merz. Der eine ist SPD-Kanzlerkandidat, der andere hat trotzdem den CDU-Vorsitz verpasst. Die Bücher des Autoren Laschet, das der Vollständigkeit halber, sind schon ein paar Jahre älter.
Annalena Baerbock mit großer Mehrheit als Grünen-Kanzlerkandidatin bestätigt
Auf dem Parteitag der Grünen in Berlin haben die Delegierten Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin gewählt.
Bei den Grünen wiederum hat Parteichef Robert Habeck schon ganze Regalmeter Bücher geschrieben, Romane inklusive. Das jüngste stammt aus dem Januar. Habeck wäre gerne als Spitzenkandidat für die Grünen in den Wahlkampf gezogen. Das macht jetzt aber Annalena Baerbock als erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei und die hat nun also auch – genau – ein Buch geschrieben.
Eine Art Regierungserklärung
„Jetzt“, heißt es denkbar knapp und es ist mit seinen 240 Seiten eine Art lange Regierungserklärung. Das Wahlprogramm der Grünen wird kombiniert mit persönlichen Anekdoten, jeweils passend zum jeweils behandelten politischen Kapitel.
Es geht also ums Klima, um die USA und um China. Aber es lässt sich auch erfahren, dass Baerbock Autoreifen wechseln kann, Heimat mit Zuckerrübengeruch verbindet, in einer Mietwohnung mit Gemeinschaftsgarten wohnt und als Kind die Olympiade nachgespielt hat und mit ihren Eltern auf Anti-Atomkraft-Demonstrationen war. Und dass eine ihrer noch kleinen Töchter zu Stöckelschuhen „Hackelschuhe“ sagt.
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Eine lange Passage des Buches widmet Baerbock der Kinder- und Jugendpolitik, kommt von Kinderrechten im Grundgesetz und Kinderarmut auf die Abnabelungsprozesse von Jugendlichen, die in der Corona-Zeit schwerer waren als sonst.
Sie selbst habe als Jugendliche als Babysitterin und danach in einer Bäckerei gejobbt, um sich erst Markenjeans und dann eine Interrail-Tour bezahlen zu können, erzählt sie. Und schließt daraus, dass Nebenjobverdienste von Jugendlichen nicht auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden sollten.
Mit Oma auf der Küchenbank
Über den Bildungsweg der Mutter, die nach dem Unfalltod ihrer Schwester in der Schule als lernschwach eingestuft wurde und sich dann über die Realschule und eine Ausbildung zum Uni-Diplom hochkämpfte, hat Baerbock auch in ihrer Rede auf dem Wahlparteitag der Grünen gesprochen. Die Aufstiegsgeschichte dient ihr als Beispiel für den Rechtsanspruch auf biografische Brüche, für Weiterbildung und für Schülerförderung.
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Sehr liebevoll kommt immer wieder die in den 1950er-Jahren aus Polen nach Deutschland umgesiedelte Großmutter zu Wort, mit ihrer Arbeit als Putzfrau, ihrer Sparsamkeit und ihren Erzählungen auf der Kücheneckbank, in denen die Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg die Behaglichkeit durchbrechen.
Baerbock hat bislang keine Homestories gemacht. Sie versucht, ihre Familie und ihr Privatleben weitgehend herauszuhalten aus der Öffentlichkeit.
Dosiert und bewusst lässt sie mit dem Buch etwas mehr Nähe zu. Im Wahlkampf werden neben den sachlichen Positionen auch die Personen eine Rolle spielen. Baerbock gibt es jetzt also nicht nur als kühle Sachpolitikerin, sondern auch als Jugendliche, die ein Jahr in die USA geht, um mal rauszukommen aus ihrem Dorf und außerdem früher den Führerschein machen zu können. Die Erfahrung von ländlicher Abgeschnittenheit, der Bezug zum Auto sind hier die politischen Komponenten.
Deutsche Meisterschaft und Trümmerbruch
Viel erzählt Baerbock vom Sport. Sie hat in Fußballvereinen gespielt und jahrelang Trampolinspringen als Leistungssport betrieben – Durchhaltevermögen, Mut und Teamfähigkeit sind die Stichworte.
Einmal sei sie kurz davor gewesen, um die Deutsche Meisterschaft zu springen. Dann kam ein Trümmerbruch im Fußgelenk dazwischen. „In einem Moment bist du voll im Plan, Sekunden später ist alles dahin“, schreibt Baerbock.
Sie habe weiter trainiert, sei aber nicht mehr Deutsche Meisterin geworden.
Dass das nach einem schwungvollen Beginn als Kanzlerkandidatin und den darauf folgenden Wochen mit eigenen Fehlern und Umfragerückgang als Parallele gelesen werden kann, war vermutlich nicht beabsichtigt.
Sie sei durch den Sport das „Schwanken zwischen Gewinnen und Verlieren, zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt“ gewohnt, das schreibt sie auch.
Baerbock, Annalena: Jetzt. Wie wir unser Land erneuern. Ullstein, 240 Seiten, 24 Euro. Erscheint am 21. Juni.